Jörg Seiler

Aussöhnung im Konflikt


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Administraturbezirkes Breslau, nahm z. B. einen deutschen Vorschlag auf und regte im November 1963 in Rom an, sich gegenseitig für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse von Edith Stein (1891-1942) und Maximilian Kolbe (1894-1942) einzusetzen. Kominek gilt auch als der geistige Vater der polnischen Einladung an die deutschen Amtsbrüder, zur Millenniumsfeier 1966 Polen zu besuchen.

      Das II. Vatikanische Konzil hatte jenseits aller offiziellen Termine und Beratungen auch eine einzigartige Gelegenheit geboten, weltweit persönliche Beziehungen zu Menschen zu knüpfen, denen man sonst nie begegnet wäre, Vertrauen zu Menschen aufzubauen, mit denen eine persönliche Begegnung bis dahin nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich gewesen war. Diese Erfahrung machten auch die polnischen und deutschen Konzilsväter. Ohne ihre vertrauensbildenden Kontakte und Gespräche am Rande des Konzils wäre es am 18. November / 5. Dezember 1965 sehr wahrscheinlich nicht zu dem nicht nur die Öffentlichkeit überraschenden Briefwechsel gekommen. Will man an einem Beispiel herausfinden, ob und wie sich ein damals begründetes vatikanisch-multinationales Konzilsnetzwerk mittelfristig entwickelt hat, eignen sich die deutsch-polnischen Beziehungen 1965-1987 besonders gut.

      Aus deutscher Sicht umfassen diese Jahre die Amtszeit der beiden Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Julius Döpfner (1965-1976) und Joseph Höffner (1976-1987). Auf polnischer Seite soll Karol Wojtyła, der Erzbischof von Krakau (1964-1978), näher betrachtet werden, der nicht nur in unserem Untersuchungszeitraum – von seinem Engagement für den Briefwechsel 1965 bis zu seinen beiden Deutschlandbesuchen als Papst Johannes Paul II. 1980 und 1987 – einer der wichtigsten Gesprächspartner für deutsche Katholiken gewesen ist und der Lage der katholischen Kirche in Deutschland außergewöhnliche Aufmerksamkeit gewidmet hat. Unter dem Gesichtspunkt der bilateralen Beziehungen handelt es sich einerseits um die Zeit der wichtigen ostpolitischen Veränderungen und andererseits um die entscheidende Phase der Transformation des katholischen Polen am Ende des kommunistischen Nachkriegseuropas.

       4. Konflikt und Versöhnung 1965

      Bei einer Generalaudienz in Rom würdigte der ehemalige Erzbischof von Krakau, in dessen Diözese das Vernichtungslager Auschwitz lag, – inzwischen Papst Johannes Paul II. – am 28. November 1990 in einem polnischen Grußwort die Bemühungen der deutschen und der polnischen Kirche um Versöhnung, als einen bedeutenden Beitrag zum Wiederaufbau einer „moralischen Einheit Europas“. Die „prophetische“ Botschaft von 1965 sei ein Pionierschritt für die Aussöhnung in Frieden und Gerechtigkeit gewesen.21

      Erzbischof Józef Michalik und Karl Kardinal Lehmann zogen 2005 in einer Gemeinsamen Erklärung zum 40. Jahrestag des Briefwechsels das Fazit:

      „‘Wir vergeben und bitten um Vergebung‘. In diesem Wort gipfelte 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Versöhnungsbotschaft. Dieser Satz hat höchste Wirkmächtigkeit entfaltet und sich tief in das historische Bewusstsein der Völker eingegraben. […] Dieser Briefwechsel hat Sprachlosigkeit überwunden.“22

      Aus der Sicht des Jahres 1965 musste man zwangsläufig noch zu einer anderen Einschätzung kommen. Für die Zeitgenossen beherrschten Streit und Konflikt, Spannungen und Missverständnisse die Szene, die Konflikte der Vergangenheit dominierten die Tagesordnung der Gegenwart. Die Polnische Bischofskonferenz hatte 1965 zunächst zum „20. Jahrestag des Aufbaus ‚polnischen Kirchenlebens in den West- und Nordgebieten am 1. September 1965‘ an die Neuorganisierung des kirchlichen Lebens in den polnischen Westgebieten durch Kardinal Hlond erinnert und behauptet: „Diese Entscheidungen wurden von Rom approbiert.“23 Die bevorstehenden Feierlichkeiten des Millenniums „werden ein besonderer Ausdruck der allgemeinen Überzeugung und eine Manifestation des Willens des polnischen Gottesvolkes – der Bischöfe, Priester und Gläubigen – sein, eine Manifestation des ungebrochenen Willens, in diesem Gebiet auszuharren, da diese Erde untrennbar mit dem polnischen Mutterland vereint ist.“24 Dies sei, so der Primas, „Standpunkt aller Kinder des polnischen Volkes, die ohne Rücksicht auf ihre politische Orientierung und Weltanschauung, im Sinne der natürlichen Gerechtigkeit die Westgebiete als untrennbar vereint mit dem polnischen Mutterland erachten.“ Papst Johannes XXIII. habe die Westgebiete als „nach Jahrhunderten wiedergewonnene Erde Polens“25 bezeichnet. In einer provozierenden Predigt im Breslauer Dom am 31. August 1965 vertrat Kardinal Wyszyński die Meinung:

      „Alles, was Kardinal August Hlond tat, geschah mit der höchsten Billigung des Heiligen Stuhles. Ich bin authentischer Zeuge eben dieser Haltung des Heiligen Stuhles, des Heiligen Vaters Pius’ XII., Johannes’ XXIII. und Pauls VI., dessen segnende Haltung in Bezug auf unsere kirchliche und religiöse Arbeit in den Westgebieten unverändert treu ist, für uns sehr wertvoll, voller Verständnis und geistiger Approbation.“26

      „Wenn wir auf die Heiligtümer der Piasten schauen, uns hineinfühlen in ihre Sprache, dann wissen wir: bestimmt ist das kein deutsches Erbgut, das ist polnische Seele. Daher waren sie niemals und sind kein deutsches Erbgut! Sie reden zum polnischen Volk ohne Kommentar. Wir brauchen keine Erklärungen, ihre Sprache verstehen wir gut.“27

      Diese Äußerungen stimmten fast wortidentisch mit einer Predigt Wyszyńskis im Breslauer Dom vom 29. Mai 1952 überein: „Wir sind in unser Eigentum zurückgekehrt, als rechtmäßige Eigentümer; wir kamen hierher zurück aufgrund der richterlichen Entscheidung der göttlichen Gerechtigkeit.“ Und weiter:

      „Wenn wir diese Gotteshäuser […] ansehen, […] dann wissen wir, es ist kein von den Deutschen hinterlassenes Erbe. Sie haben eine polnische Seele! Niemals waren sie deutsches Erbe, und sind es auch heute nicht. Das sind die Spuren des königlichen Stammes der Piasten. […] Wir verstehen ihre Sprache!“28

      Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Josef Jansen, machte nach dieser erneuten Bekräftigung Ende Oktober 1965 „die chauvinistische Haltung hoher polnischer Kirchenkreise“29 zum alleinigen Thema einer Unterredung im Staatssekretariat. Kardinal Döpfner verlangte eine zufriedenstellende öffentliche Interpretation.

      Auf der Pressekonferenz nach der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe zeigte Döpfner am 3. September 1965 zwar mit Nachdruck Verständnis für die schwierige Lage der Polen, die von ihrer Regierung bedrängt würden, eine endgültige Ordnung der kirchlichen Verwaltung in den deutschen Ostgebieten zu erreichen, und für die schwierige Lage des Vatikans, der ohne gültige internationale Verträge nicht bereit sei, Bistumsgrenzen zu verändern. Die Feststellung Kardinal Döpfners, es bestehe leider die Gefahr, dass der polnische Episkopat kirchliche und nationale Gesichtspunkte zu stark identifiziere, bewirkte aber ihrerseits eine erneute Verstimmung bei der Polnischen Bischofskonferenz.30 Die Bischöfe beider Länder standen in diesen August-Tagen 1965 kurz vor der Abreise zu den Abschlusssitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wie angespannt die bilateralen Beziehungen zwischen deutschen und polnischen Katholiken damals waren, lässt sich an folgender Meldung ablesen:

      „Die Grußbotschaft des polnischen Episkopats, die in der Jubiläumssitzung am 1. September in Breslau von Kardinal Wyszyński und den anwesenden 60 polnischen Bischöfen gebilligt worden ist, soll erst nach Kenntnisnahme des Inhalts durch den Hl. Vater veröffentlicht werden. Die Botschaft, die nach übereinstimmenden Informationen die Bitte an den Hl. Vater enthält, die Möglichkeiten einer baldigen Eingliederung der in den deutschen Ostgebieten gelegenen Diözesen in die polnische Kirchenverwaltung zu überprüfen, war kurz nach Beendigung der Jubiläumssitzung nach Rom abgesandt worden.“31

      Ein Sprecher der Erzdiözese Breslau erklärte, dass der polnische Episkopat durch eine vorläufige Nichtveröffentlichung dieser Botschaft an den Hl. Vater unter Umständen mögliche missverständliche Deutungen vermieden sehen wolle.

      Kardinal Döpfner suchte in Rom unverzüglich das persönliche Gespräch mit dem polnischen Primas. Nach dem ersten Vier-Augen-Gespräch in der zweiten Oktoberhälfte 1965 – ein zweites Gespräch fand am 1. Dezember 1965 statt – meldete Die ZEIT: „Die Meinungsverschiedenheiten sind dabei, wie zuverlässig verlautet, nicht beigelegt worden.“32 Kardinal Döpfner habe sein grundsätzliches Verständnis für den polnischen Standpunkt zum Oder-Neiße-Problem bekundet, dabei jedoch unterstrichen, dass seiner Meinung nach die polnische katholische Kirche der Gefahr des Nationalismus zu