Jörg Seiler

Aussöhnung im Konflikt


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entspreche.

       5. Die Einladung

      Im November 1965 luden die polnischen Bischöfe Amtsbrüder aus 57 Ländern ein, im Mai 1966 zur Millenniumsfeier der Christianisierung nach Polen zu kommen. An die deutschen Bischöfe erging am 18. November 1965 eine besondere Einladung, die den unerwarteten Satz enthielt, der nicht nur die deutschen Bischöfe, sondern aus unterschiedlichen Gründen auch die Gläubigen auf beiden Seiten und die politische Öffentlichkeit in Bonn, sowie in Ost-Berlin und Warschau aufhorchen ließ:

      „In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. Und wenn Sie, deutsche Bischöfe und Konzilsväter, unsere ausgestreckten Hände brüderlich erfassen, dann erst können wir wohl mit ruhigem Gewissen in Polen auf ganz christliche Art unser Millennium feiern.“33

      Die Initiative und der Entwurf für den polnischen Versöhnungsbrief, den der Primas erst nach einigem Zögern unterschrieben hatte, stammten vom Breslauer Erzbischof Bolesław Kominek. Am 4. Oktober 1965 hatte Kominek im Rahmen eines Abendessens in Rom die drei deutschen Bischöfe, mit denen er in einer Caritas-Gruppe zusammenarbeitete, Franz Hengsbach (Essen), Joseph Schröffer (Eichstätt) und Otto Spülbeck (Meißen), über den beabsichtigten Brief vorinformiert, ohne dass diese Bischöfe die Bedeutung dieser Information richtig eingeschätzt hätten. Am Namenstag der Hl. Hedwig, dem 16. Oktober, versuchte er mit einer versöhnlichen Predigt den Schaden zu begrenzen, den die August-Predigt des Primas angerichtet hatte. Noch am gleichen Tag übersandte er Kardinal Döpfner zusammen mit dem Text seiner Predigt eine Reliquie der Heiligen und ließ wissen, er habe „das heilige Messopfer in der Intention einer guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit beider Völker“34 gefeiert.

      Zu den kommunikativen Schwierigkeiten dieser Tage auf der deutschen Seite gehört, dass der für die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge zuständige Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen aus taktischer Vorsicht erst am Vortag der Abstimmung in der Bischofskonferenz von der polnischen Einladung Kenntnis erhielt.

      „Es hat mich etwas befremdet“, beschwerte sich Janssen bei Döpfner, „dass ich in keiner Weise über die Gespräche informiert wurde, die mit polnischen Bischöfen geführt wurden. Von Laien habe ich zum ersten Mal davon gehört am Tage vor unserer Konferenz im Campo Santo. Ich wäre doch sehr dankbar, wenn ich wenigstens erfahren würde, zu welcher Haltung und Diktion man sich denn einigt. Es ist doch unmöglich, dass mit Journalisten solche Dinge eher besprochen werden, als sie uns mitgeteilt sind.“35

      Zu den organisatorischen Pannen gehörte schließlich auch, dass der Brief an den noch amtierenden Vorsitzenden Kardinal Frings in dessen römischem Postfach abgelegt wurde, obwohl der Kardinal zu dieser Zeit nach Köln zurückgereist war. Severin Gawlitta hat kürzlich in einer akribischen Untersuchung der Vorgänge zwischen dem 18. November 1965 und dem 5. Dezember 1965 versucht, unter Berufung auf Aufzeichnungen des Meißener Bischofs Otto Spülbeck die „Legende“ von der verspäteten Zustellung der polnischen Einladung zu widerlegen, sowie der Behauptung die Schlagkraft zu nehmen, die deutsche Antwort sei nicht auf dem gleichen hohen Niveau erfolgt, weil den deutschen Bischöfen nur wenig Zeit zur Formulierung ihres Briefes verblieb. Gawlitta nimmt an, die Bischöfe Spülbeck, Hengsbach und Schröffer seien in den Besprechungen der polnisch-deutschen Bischofskommission, die sich mit caritativen Fragen beschäftigte, „direkt an (den) vorausgegangenen Besprechungen über den Briefwechsel beteiligt gewesen“36 und hätten den Entwurf des polnischen Schreibens bereits am 27. Oktober untereinander besprochen. Erzbischof Kominek habe dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Frings dann vermutlich nicht vor dem bzw. am 23. November 1965 eine auf den 1. November datierte Vorabversion an dessen Kölner Adresse zukommen lassen, die im Erzbischöflichen Archiv in Köln aber nicht nachweisbar ist. Am 25. November habe Spülbeck Döpfner informiert, der polnische Brief sei bereits verschiedenen Pressevertretern zugänglich gemacht worden, ohne dass Döpfner selbst bis zu diesem Tag ein Exemplar in den Händen gehabt hätte. Kominek ließ Döpfner nach dessen telefonischer Rückfrage „bei den Polen“ dann aber noch am 25. November eine Kopie des auf den 1. November datierten Frings-Schreibens zukommen und wies ihn am 27. November gesondert darauf hin, dass der Vorsitzende Frings diese Version „schon vor etlichen Tagen“37 zugestellt bekommen habe.

      Kardinal Frings hatte aus Krankheitsgründen Rom am 20. November verlassen und war erst am 29. November wieder zurückgekehrt. Am späten Nachmittag des 29. November erläuterte Frings in einer extra zu diesem Tagesordnungspunkt anberaumten Sitzung der deutschen Bischöfe die polnische Einladung. Am 30. November 1965 veröffentlichte der Episkopat die polnische Botschaft. Gesichert ist, dass der Berliner Erzbischof Bengsch dann am Abend des 30. November in mehrstündiger Arbeit einen Entwurf für das Antwortschreiben verfasste, den der Görlitzer Weihbischof Schaffran am nächsten Tag durch ein 8-Punkte Programm ergänzte.

      Die deutschen Bischöfe waren sehr bestrebt, „Vergebung“ und „Verzeihung“ möglichst von der „Politik“ zu lösen: Die Bereitschaft zu gemeinsamem Gebet, zu caritativer Unterstützung und gegenseitigen Besuchen war 20 Jahre nach Kriegsende ohne Zweifel gewachsen.

      „Wir sind Kinder des gemeinsamen himmlischen Vaters“, schrieben die deutschen Bischöfe. „Alles menschliche Unrecht ist zunächst eine Schuld vor Gott, eine Verzeihung muß zunächst von Ihm erbeten werden. An Ihn richtet sich zuerst die Vaterunserbitte ‚Vergib uns unsere Schuld!‘ Dann dürfen wir auch ehrlichen Herzens um Verzeihung bei unseren Nachbarn bitten. So bitten wir zu vergessen, ja, wir bitten, zu verzeihen […] und einen neuen Anfang zuzulassen.“38

      Für die Zustimmung zu einer kirchlichen Neuordnung in den Oder-Neiße-Gebieten, die Anerkennung eines Heimatrechts der Polen dort oder eine klare Festlegung in der Grenzfrage fühlten die Bischöfe sich weder zuständig noch kompetent. Genau diese politischen Zugeständnisse, zumindest eine verlässliche Aussage in der Grenzfrage, hatten die polnischen Amtsbrüder allerdings erwartet – unausgesprochen, fast selbstverständlich. Die polnischen Bischöfe konnten davon aber weder in Rom noch nach ihrer Rückkehr aus Rom öffentlich reden.

      Die Vollversammlung der deutschen Bischöfe, die letzte gesamtdeutsche Versammlung für lange Zeit, beriet und verabschiedete die deutsche Antwort am 2./3. Dezember 1965 im Campo Santo Teutonico in Rom mit der Maßgabe, dass die drei Mitglieder der erwähnten Caritas-Kommission und der Görlitzer Weihbischof Schaffran als Mit-Autor des in der Konferenz verabschiedeten deutschen Antwort-Entwurfs den endgültigen Text mit Vertretern der polnischen Bischöfe abstimmen sollten. Dass Döpfner in seinem zweiten bilateralen Gespräch mit dem Primas, das für den 1. Dezember anberaumt war, den Briefwechsel nicht zum beherrschenden Thema gemacht haben sollte, ist nicht anzunehmen. Die Veröffentlichung der deutschen Antwort erfolgte dann am 5. Dezember 1965 in beiden Sprachen und führte zunächst auf verschiedensten Seiten zu Enttäuschung und Empörung, auf der politischen Ebene bei den staatlichen Stellen in Ost-Berlin und Warschau und den beiden Bischofskonferenzen, bei den völlig unvorbereitet überraschten Katholiken in Polen, in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR.

      Neben Kominek gehörte 1965 vor allem Karol Wojtyła zu den polnischen Bischöfen, die intern dafür geworben hatten, dass dieser Brief überhaupt zustande kam. Zurück in Polen hatte Wojtyła sich wie alle Unterzeichner dafür bei den staatlichen Stellen zu rechtfertigen, die eine Erklärung von ausländischem Boden aus, in der Polen Deutsche um Vergebung baten, wo es nichts zu vergeben gab, für Kompetenzanmaßung, Landesverrat und Beeinträchtigung polnischer Interessen hielten. Wojtyła wies bei seiner Vorladung am 1. Februar 1966 zunächst die Einschätzung zurück, es handle sich um ein politisches Dokument. Wojtyła bezeichnete die Botschaft aber als

      „großes, erfolgbringendes Werk. […] Die deutschen Bischöfe wurden gezwungen, sich zur Schuld zu bekennen. Dies ist ein Ausdruck dessen, dass sich die Deutschen überhaupt zu den an der polnischen Nation begangenen Verbrechen bekannten. Dies hat niemand im Laufe der ganzen 20 Jahre geschafft. Wir spielten die Rolle eines Beichtvaters, so wie wir das im Beichtstuhl mit dem Sünder tun.“39

      Die polnische Propaganda hatte sich damals als ein Element ihrer Kampagne einen „Offenen Brief“ der Arbeiter der Sodafabrik in Krakau