Jörg Seiler

Aussöhnung im Konflikt


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Schritt weiterzugehen. Nach der Unterzeichnung und Ratifizierung des Warschauer Vertrags am 3. Juni 197253 reagierte Rom binnen drei Wochen – und errichtete vier neue polnische Diözesen.54 In der vatikanischen Erklärung55 wurde zur Begründung auf pastorale Notwendigkeiten hingewiesen. Die vor dieser Entscheidung nicht konsultierte Deutsche Bischofskonferenz tat sich freilich schwer, gerade diese Begründung als ausschlaggebend zu akzeptieren.56 In Rom hieß es damals, man beabsichtige weiterhin keine endgültigen Regelungen vor einem noch zu schließenden Friedensvertrag, aber eine vatikanische Reaktion auf die Ratifizierung des Warschauer Vertrages sei unausweichlich notwendig, schließlich könne man in Rom nicht deutscher sein als die Deutschen selbst.

      Kritiker dieser Entscheidung wiesen darauf hin, dass die vatikanische Neuregelung nur die Anpassung im Westen Polens vorgenommen, die „übrigen Grenzen“ Polens aber nicht berücksichtigt habe. Corrado Bafile, seit 1960 Apostolischer Nuntius in Deutschland, versicherte den zahlreichen Kritikern der vatikanischen Entscheidung in einem allgemeinen Antwortschreiben am 31. Juli 197257, er stehe den vorgebrachten Argumentationen keineswegs fremd gegenüber, die Kritiker fänden bei ihm Respekt und Anteilnahme. Gleichzeitig warb er um Verständnis für den Heiligen Stuhl, der verpflichtet sei, zunächst und vor allem die Seelsorge optimal zu gewährleisten. Von polnischer Seite seien in den vergangenen Jahren immer wieder schwere Vorwürfe erhoben worden, Rom lasse sich zu sehr von politischen Erwägungen leiten und ablenken.

      „In der Tat“, schrieb der Nuntius, „wäre es für die polnischen Katholiken unverständlich gewesen, wenn der Heilige Stuhl sich in der neuen Situation länger geweigert hätte, den polnischen Bischöfen in ihrem Willen zur inneren Festigung der Kirche beizustehen. Das jetzt entstandene Missverständnis bezüglich der päpstlichen Anordnung bestehe hauptsächlich darin, dass die Errichtung der neuen Diözesen und die Ernennung der Bischöfe als ein Akt nicht so sehr kirchlicher oder pastoraler als vielmehr politischer Natur aufgefasst wird, d.h. als politische Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Eine solche Auffassung sei jedoch nicht gerechtfertigt. Der Heilige Stuhl habe mit seiner Anordnung keine Anerkennung politischer Art ausgesprochen: das wäre auch gar nicht seine Aufgabe gewesen. Der Heilige Stuhl hat vielmehr eine Maßnahme kirchlicher Natur in einer Angelegenheit seiner Zuständigkeit getroffen und sich dazu erst entschieden, nachdem die Grenzlinie an der Oder-Neiße zwischen den beteiligten Staaten als unverletzlich erklärt worden war.“58

      Auf den Vorwurf, der Heilige Stuhl habe zwar die Bistumsgrenzen an die Oder-Neiße-Grenze angepasst, in Bezug auf die „Diözesen, die an den übrigen Grenzen Polens liegen“, aber nichts dergleichen getan, antwortete Bafile:

      „Demgegenüber ist geltend zu machen, dass derartige Probleme sich nicht mittels schematischen Vorgehens lösen lassen, unabhängig von den realen Bedürfnissen der Seelsorge. Es ist doch so: während für die Gebiete jenseits der Oder - Neiße seit Jahren eine Neuordnung der Diözesen nachdrücklich verlangt wurde, liegt ein ähnliches Anliegen betreffs der Gebiete entlang der übrigen polnischen Grenzen im allgemeinen nicht vor. Außerdem sind in den Gebieten jenseits dieser letztgenannten Grenzen die gegenwärtigen Verhältnisse nicht gerade günstig für eine neue Organisierung der Seelsorge.“59

      Die Neuregelung in Polen hatte eine wichtige Signalwirkung für die Politik der vielen kleinen Schritte der 1970er Jahre in der DDR. Mit der in der Verlautbarung vom 28. Juni 1972 errichteten Apostolischen Administratur Görlitz, die aus dem Gebiet der Erzdiözese Breslau ausschied, hatte der Vatikan erstmals in einem kirchenrechtlichen Akt von der Deutschen Demokratischen Republik Kenntnis genommen.

      Am 21. Dezember 1972 unterzeichneten Egon Bahr und Michael Kohl in Ost-Berlin den Grundlagenvertrag. Nach dem Inkrafttreten dieser Vereinbarung – der Bundestag ratifizierte am 11. Mai 1973, die Volkskammer am 13. Juni 1973 – verstärkte die DDR den Druck auf den Vatikan und die katholischen Bischöfe. Jetzt wollte die DDR auch kirchenpolitisch wie ein souveräner Staat behandelt werden. Dabei ging es erstens um die Forderung der völligen kirchenrechtlichen Trennung der Kirche in den beiden Teilen Deutschlands, zweitens um die Errichtung einer Diözese auf dem Gebiet der DDR, drittens um die Einrichtung einer eigenen Bischofskonferenz und schließlich um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen der DDR zum Vatikan.

      Am 14. Juli 1973 ernannte Papst Paul VI. die Bischöflichen Kommissare von Erfurt, Schwerin und Magdeburg, Hugo Aufderbeck, Heinrich Theissing und Johannes Braun, zu Apostolischen Administratoren und den Bischöflichen Kommissar von Meiningen, Karl Ebert, zum Weihbischof von Erfurt.60 Dadurch wurde „die Jurisdiktion der Ordinarien von Fulda, Würzburg, Paderborn, Hildesheim und Osnabrück für ihre in der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Diözesananteile suspendiert.“61

      Am 22. September 1976 wählte die Deutsche Bischofskonferenz Joseph Kardinal Höffner als Nachfolger des am 24. Juli 1976 überraschend verstorbenen Julius Kardinal Döpfner zu ihrem Vorsitzenden. Döpfner hatte noch alles versucht, den nächsten Schritt in Richtung einer kirchenrechtlichen Anerkennung der DDR – die Errichtung der Berliner Bischofskonferenz – zu verhindern, blieb aber erfolglos. Der Heilige Stuhl hatte gerade noch Rücksicht auf den Termin der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 genommen, ließ sich aber am 26. Oktober 1976 von der Umwandlung der Berliner Ordinarienkonferenz in die „Berliner Bischofskonferenz“ nicht abhalten:

      „Die neue Bischofskonferenz tritt an die Stelle der früheren Berliner Ordinarienkonferenz, welche als Regionalkonferenz im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz galt, und hat die Funktionen und Befugnisse, welche die geltenden kirchenrechtlichen Bestimmungen den unabhängigen Bischofskonferenzen für ihre betreffenden Territorien zuerkennen. […] Die Errichtung der Berliner Bischofskonferenz entspricht Bedürfnissen, die kirchlicher Natur sind.“62

      In der offiziellen Stellungnahme der deutschen Bischöfe hieß es:

      „Die Deutsche Bischofskonferenz versteht diese kirchenrechtliche Verselbständigung der Berliner Ordinarienkonferenz nicht als Trennung, sondern sie weiß sich mit ihren bischöflichen Mitbrüdern in der DDR auch fernerhin eng verbunden. […] Die seelsorglichen Erwägungen, die den Heiligen Stuhl veranlasst haben, die genannte Maßnahme zu treffen, sind in der heute vom Presseamt des Heiligen Stuhls veröffentlichen Erklärung dargelegt. Die Deutsche Bischofskonferenz verweist auf diese Erklärung.“63

      Polen stand von jetzt an und für die nächsten 15 Jahre mit hoher Priorität auf der politischen Tagesordnung in Deutschland. Karol Wojtyła wurde jetzt auch von der politischen Seite ein gefragter Gesprächspartner. Als Erzbischof von Krakau hatte Wojtyła zu Kardinal König in Wien und zu einigen deutschen Bischöfen freundschaftliche Beziehungen gepflegt und sich in ganz verschiedenen Angelegenheiten als Vermittler betätigt. In diesen Zusammenhang gehört auch die Anregung Wojtyłas, ein Stipendienprogramm aufzulegen, das polnischen Stipendiaten ein Studium in Paris ermöglichen sollte. Das daraufhin von Johannes Schauff und vielen anderen – Heinrich von Brentano, Herbert Czaja, Baron Theodor zu Guttenberg, Reinhold Lehmann, Herbert Wehner – 1969 gegründete „Werk für europäische Partnerschaft“ wurde bis 1990 vom Auswärtigen Amt mit insgesamt 2 Millionen DM unterstützt.

       7. Besuch aus Polen 1978

      Nach den beiden Polen-Reisen der Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz – 1973 reiste Julius Kardinal Döpfner erstmals nach Polen, im April 1977 der Kölner Kardinal Höffner – kam es vom 20. bis 25. September 1978 unter Leitung des 77-jährigen Primas Wyszyński, der Polen nach 1945 bis zu diesem Tag nur verlassen hatte, um den Vatikan und Italien zu besuchen, zum ersten Gegenbesuch einer zehnköpfigen polnischen Delegation in der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Reisedramaturgie wurde von beiden Seiten peinlich genau darauf geachtet, dass dieser Besuch vor allem zum Besuch des Primas wurde. Dies bedeutete u. a., dass der Erzbischof von Krakau sich in diesen Tagen bewusst im Hintergrund hielt. Kardinal Wojtyła versäumte aber nicht, verschiedentlich an den im Juli 1976 verstorbenen Kardinal Döpfner zu erinnern, der „Gott auf dem Wege der Annäherung an die Kirche in Polen und an unser Volk suchte, nach den Schreckenserfahrungen des Zweiten Weltkrieges.“64 Ohne das Vorbild Kardinal Döpfners wäre damals wahrscheinlich keine neue Qualitätsstufe der deutsch-polnischen (Kirchen-)Beziehungen erreicht worden. Döpfner hatte bereits in seiner berühmt gewordenen Hedwigs-Predigt vom 16. Oktober