Jörg Seiler

Aussöhnung im Konflikt


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Erklärungen abgegeben hätten, zu denen sie nicht befugt gewesen seien. Besonders enttäuscht seien sie über die Unterschrift von Wojtyła, der „während der Nazi-Okkupation ein Arbeiter unserer Fabrik“40 gewesen sei. In seinem Antwortschreiben, das damals nur in der Untergrundpresse zirkulierte, erklärte Wojtyła:

      „Als wir während der Okkupation zusammen arbeiteten, hat uns vieles verbunden, vor allem die Achtung vor den Menschen, vor dem Gewissen, der Individualität und der sozialen Würde. Das habe ich überreichlich von den Arbeitern bei Solvay gelernt; diese grundlegenden Prinzipien aber kann ich in dem offenen Brief nicht entdecken.“ Und außerdem sei es in einer so langen und verwickelten Geschichte, wie sie Deutschland und Polen verbinde, undenkbar, dass die „Menschen nicht Grund haben, sich gegenseitig um Verzeihung zu bitten.“41

      Der protestantische deutsche Außenminister Gerhard Schröder (CDU) gab 1966 dem neuen deutschen Botschafter beim Hl. Stuhl die Weisung mit:

      „Ich bitte Sie, bei Ihren Gesprächen das besondere Interesse Deutschlands an einem gerechten Ausgleich mit den Völkern Osteuropas, vor allem mit dem polnischen Volk, zum Ausdruck zu bringen. Für jede Hilfe in dieser Richtung sind wir dem Hl. Stuhl dankbar.“42

      Im Zentrum heftiger innenpolitischer und ökumenischer Auseinandersetzungen in Deutschland standen ab 1965/1966 die Ost-Denkschrift der EKD (1. Oktober 1965) über die „Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen Nachbarn“, die Bamberger Erklärung des 81. Deutschen Katholikentages (13.-17. Juli 1966) und das Bensberger „Memorandum deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen “ (März 1968).

      Im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zum Bamberger Katholikentag kam auf Initiative von Walter Dirks, „nach dem Schneeballsystem aus einander Altbekannten zusammengerufen“, eine sehr diverse Gruppe von Katholiken im Mai 1966 in der Katholischen Akademie Bensberg zusammen. Sie trafen sich, um „Fragen, die katholischerseits vernachlässigt schienen wie der Staat Israel, die Wehrdienstverweigerung und eben das Nachbarschaftsverhältnis zum katholischen Polen – unter den Friedensinitiativen des Konzils gründlich [zu] diskutieren.“43 Nach zweijähriger Diskussion veröffentlichte dieser Kreis im März 1968 das Bensberger „Memorandum deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen“, das wie die Ost-Denkschrift der EKD zu der Frage der polnischen Westgrenze klar Position bezog:

      „Daher wird es für uns Deutsche unausweichlich, uns mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass wir die Rückkehr dieser Gebiete in den deutschen Staatsverband nicht mehr fordern können.“44

      Das Bensberger Positionspapier trug ca. 140 Unterschriften – auch von Nicht-Mitgliedern des Kreises. Prominente Mitglieder des Bensberger Kreises wie Paul Mikat oder Otto B. Roegele distanzierten sich von dieser Erklärung, während andere Prominente wie Karl Rahner, Joseph Ratzinger oder Robert Spaemann die deutsch-polnische Annäherung damals mit ihrer Unterschrift unterstützten. Die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Vertriebenenorganisationen konnte sich diese Überraschung nur mit der Überlegung erklären, einige, „vornehmlich Hochschullehrer, Ordensleute und Theologen rankten sich bis heute an den Idealen der Jugend hoch ohne diese in der rechten Weise an der Wirklichkeit zu messen.“45 Die Hoffnungen, die das Memorandum bei vielen Unterzeichnern weckte, kleidete der damalige Tübinger Theologieprofessor Joseph Ratzinger in seiner Antwort an den Bensberger Kreis in den Satz: „Im Übrigen bin ich dankbar und glücklich, dass endlich eine solche Initiative ergriffen wird, auf die ich seit langem gewartet habe.“46 Die Zustimmung Ratzingers stand freilich unter dem Vorbehalt einer Korrektur des Entwurfs, den der Münsteraner Theologe Johann Baptist Metz verfasst hatte.

      Das mit über 1300 Zeitungsmeldungen im Frühjahr 1968 außerordentlich stark diskutierte Memorandum wurde zu einem herausragenden politischen Ereignis. Nun wurden die ausgestreckte Hand der polnischen Bischöfe und die jedenfalls für die polnische Seite enttäuschende Antwort der deutschen Bischöfe erneut diskutiert. Die Deutsche Bischofskonferenz gab eine kritische Stellungnahme zum Bensberger Memorandum ab, für den Primas aus Polen war es – „nicht so sehr vom politischen als vielmehr vom sozial-religiösen Standpunkt“ – eine Freude, „Ihnen danken zu dürfen für Ihren christlichen Mut, ehrlichsten guten Willen und Ihren internationalen Weitblick.“47

      Die Clubs katholischer Intelligenz und die politische Gruppe des ZNAK mit Stomma und Mazowiecki begrüßten das lange erwartete Signal. Mazowiecki stellte das Memorandum im Mai 1968 ausführlich in der Monatszeitschrift Więź vor, auch wenn er es „hauptsächlich für den innerdeutschen Gebrauch bestimmt“ hielt. Drei Gründe waren für ihn dabei ausschlaggebend: Der Text sei von einer hohen moralischen Sensibilität gegenüber den Fragen geprägt, die das deutsch-polnische Verhältnis so schwierig machten, das Memorandum versuche, den Deutschen manche polnische Reaktionen verständlich zu machen, und ziehe schließlich aus der richtigen Analyse klare politische Konsequenzen. Stomma würdigte die Prominenz der vielen Unterzeichner und war sich sicher: „Die Tatsache, dass sich eine solche Gruppe von Laien abzeichnete, änderte die Lage. Wir hatten jetzt unseren eigentlichen Partner gefunden. Der leere Platz war nun ausgefüllt.“48

       6. Ostpolitisches Störfeuer 1965-1976

      Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz hatte Döpfner nicht nur mit der Aufarbeitung der historischen Belastungen zu kämpfen, sondern auch mit den aktuellen Irritationen, die von der neuen vatikanischen Ostpolitik ausgingen, wie sie Papst Paul VI. und sein Außenminister Agostino Casaroli für richtig hielten.

      Zwischen der Deutschen Frage und den deutsch-polnischen Konfliktfeldern bestand dabei selbst dann ein unmittelbarer Zusammenhang, wenn man versuchte, die politischen Angelegenheiten und die Fragen der Seelsorge voneinander zu trennen. Der Vatikan stand in diesem Zusammenhang bei den meisten Problemen vor der dreidimensionalen Schwierigkeit, die ihm von Polen und Deutschland vorgetragenen gegensätzlichen Wünsche, die möglichen Auswirkungen vatikanischer Entscheidungen auf deren gegenseitige Beziehungen und die Folgen für deren jeweiliges bilaterales Verhältnis zum Vatikan zu berücksichtigen. Nur manchmal konnten beide Seiten gleichzeitig berücksichtigt werden. Im Oktober 1966 erfuhr z. B. der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Erzbischof Bengsch von Berlin könne beim nächsten Konsistorium zum Kardinal ernannt werden, wenn „gleichzeitig ein Pole den Roten Hut erhält. […] Erzbischof Kominek steht wohl nicht mehr auf der Kandidatenliste, wohl der Erzbischof von Krakau.“49 Tatsächlich wurden Karol Wojtyła und Alfred Bengsch am 26. Juni 1967 dann gemeinsam in das Kardinalskollegium aufgenommen. Alfred Bengsch hatte bereits im Frühjahr 1967 auf ein politisches Junktim aufmerksam gemacht, das sich wenige Jahre später tatsächlich – wenn auch in umgekehrter Richtung – in einem Dominoeffekt auswirken sollte:

      „Sollten in der DDR Schritte erforderlich sein, so wäre mit zu überprüfen, ob nicht auch in den polnisch besetzten Gebieten zugleich eine wenigstens vorläufige Lösung gefunden werden kann. Es erscheint mir notwendig, dass bei allen Überlegungen beide Gebiete im Blick behalten werden, dies schon deshalb, weil ja die Bundesrepublik für beide Gebiete auf die Geltendmachung ihrer konkordatär festgelegten Rechte verzichten müsste.“50

      Nach einer Unterredung im vatikanischen Staatssekretariat hatte Bengsch diesen Gedanken sogar als offiziellen Vorschlag unterbreitet:

      Sollte sich die Möglichkeit ergeben, in den polnischen Westgebieten Apostolische Administratoren einzusetzen, „halte ich es für notwendig, dasselbe gleichzeitig in den ostdeutschen Jurisdiktionsgebieten zu tun. […] Auch ich würde eine Änderung für die ‚DDR’ allein nicht befürworten. […] Wenn aber in den westpolnischen Gebieten Administratoren eingesetzt werden, ergibt sich eine andere Lage.“51

      Als daraufhin „offenbar in den Bonner Ministerien unnötige Unruhe hervorgerufen“ wurde, schrieb Bengsch im April 1967 an Nuntius Bafile, er sei auch mit einer anderen Regelung einverstanden.

      „Wichtig ist nur, wie mir scheint, dass alles, was nicht mehr von den westdeutschen Ordinarien veranlasst oder getragen werden kann, von der Autorität des Heiligen Stuhles veranlasst oder getragen wird.“52

      Die Vertragspolitik der