Johannes Winkel

Der kommende Mensch


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Zur Sicht des Menschen in den markinischen Wundergeschichten

       Literaturauswahl

       Meinen Freunden

      Vorwort

      Nicht wenige Schriften des Neuen Testaments kommen ohne Wundergeschichten aus. Das Markusevangelium, aber auch die übrige Evangelienliteratur nicht. Woran liegt das? Was hat es damit auf sich? Fast die Hälfte des Markusevangeliums (ohne die Kapitel 11–16) besteht aus Wundergeschichten – Geschichten von den Taten des Nazareners Jesus, des Gesalbten Gottes. Sie sind sorgfältig konzipiert und komponiert, bilden das Gerüst des ältesten Evangeliums und tragen es. Was wäre das Markusevangelium ohne sie?

      Können wir diesen ungeliebten, in der kirchlichen Verkündigung der Gegenwart nicht selten vernachlässigten, rasch abgefertigten, manchmal auch belächelten Kindern, diesen fremden, befremdlichen Gästen unvoreingenommen begegnen und sie sagen lassen, was sie sagen wollen? Unter Berücksichtigung neuerer wissenschaftlicher Literatur zum Markusevangelium soll ein solcher Versuch hier vorgelegt werden, konzentriert auf die Schrift, exegetisch verantwortet und hoffentlich nicht noch wunderlicher als die Wundergeschichten selbst.

      Die Texte des Markusevangeliums werden in eigener Übersetzung geboten und danach ausgelegt. Bezugnahmen auf andere Bibeltexte werden in den Übersetzungen kursiv hervorgehoben. Vergleichsstellen innerhalb des Evangeliums und auch sonst sind auf ein erträgliches Maß reduziert. Ein Essay über die Sicht des Menschen in den markinischen Wundergeschichten bildet den Abschluss. Das Ganze möchte für Predigt, Bibelarbeit und Unterricht nützlich sein.

      Meiner Frau Eva-Maria als auch meinem Freund Andreas Staemmler sei herzlich für ihre ständige Gesprächsbereitschaft und ihre Mühe gedankt, womit sie zum Werden des Buches beitrugen. Konstantin Winkel hat dankenswerterweise die Druckvorlage besorgt. Dem Echter-Verlag gebührt Dank, sich auf die Veröffentlichung eingelassen zu haben und die hier behandelte Thematik noch nicht als erledigt zu betrachten.

       Johannes Winkel

      Die Taufe Jesu und seine

      Versuchung

       Markus 1, 9–13 – Q 3, 21f; 4, 1.10f

      9 Und es geschah in jenen Tagen,

      und er wurde getaucht in den Jordan von Johannes.

      10 Und sogleich,

      heraufkommend aus dem Wasser,

      sah er (Jesus)

      die Himmel sich teilen

      (vgl. Dtn 28,12; Ps 72, 23; Jes 24,18; Ez 1,1; Mal 3,10; JosAs 14, 2)

      und den Geist wie eine Taube herabkommen zu ihm

      (Jes 42,1).

      11 Und eine Stimme geschah (ertönte) aus den Himmeln

      (Gen 15, 4; Dtn 4, 36)

      »Du bist mein geliebter Sohn,

      an dir fand ich Gefallen«

      (Jes 42,1 [hebr]; Ps 2, 7; vgl. Mk 9, 7; 12, 6; 2 Petr 1,17; EbEv 3)!

      12 Und sogleich treibt der Geist ihn hinaus in die Wüste.

      13 Und er war in der Wüste vierzig Tage

      (vgl. Ex 16, 35; Dtn 2, 7; 8,1ff; 29, 4; Ez 4, 6),

      versucht werdend von dem Satan

      (vgl. 1 QM 1, 2f),

      und er war bei den wilden Tieren

      (vgl. Apg 11, 6; 28, 4f; Tit 1,12; Jak 3, 7; Offb 6, 8; 18, 2),

      und die Engel dienten ihm (wiederholt).

      In den ersten drei Evangelien des Neuen Testaments ist jeweils eine Erzählung von der Taufe Jesu (Mk 1, 9–11; vgl. Mt 3,13–17; Lk 3, 21f; anders Joh 1,19ff) allen anderen Erzählungen über sein Wirken vorgeordnet. So bedeutsam erschien sie den biblischen Autoren: als erhellendes Vorwort zu allem, was über Jesus, über seinen Weg und seine Wirksamkeit zu berichten war. In der Tauferzählung geht es um das Herabkommen des Geistes auf Jesus, um seine Erwählung und Ausstattung. Die beiden Verse im Anschluss bei Markus erzählen von seiner Versuchung (vgl. Mt 4,1–11; Lk 4,1–13).

      In jenen Tagen geschah es, da kam Jesus her von Nazareth in Galiläa, und er wurde getaucht in den Jordan von Johannes. Da kam er nun also, der Mensch Jesus von Nazareth zu seinem Vorboten und Wegbereiter an den Jordan. Er bückte und beugte sich und ließ sich von ihm in den Jordan tauchen wie alle anderen. Und sogleich, heraufkommend aus dem Wasser, sah Jesus die Himmel sich teilen und den Geist wie eine Taube herabkommen zu ihm. Unmittelbar beim Heraufkommen aus dem Wasser sah Jesus ein eigenartiges Geschehen. Er sah die ansonsten verschlossenen Himmel sich teilen und göttlichen Geist, göttliche Kraft sich ihm mitteilen wie eine Taube. Belebende, ihn unsichtbar treibende Gotteskraft, ihm sichtbar gemacht (und den Lesern angezeigt), nicht in Gestalt eines kraftstrotzenden Stieres oder eines schnell dahingaloppierenden Pferdes oder eines gewaltigen Kriegers, sondern eben wie eine Taube zu ihm hin. Die Taube galt in Israel als reines, makelloses Tier (vgl. Mt 10,16) und als der einzige zum Opfer geeignete Vogel (vgl. Lev 3,14). Schon in der Urzeit, in der Geschichte von der Sintflut, die sich über die Sünder ergossen hatte, spielte sie eine Rolle und kündete einigen wenigen, die damals davonkamen, neue Lebensmöglichkeit auf der Erde (vgl. Gen 8, 8–12).

      Und eine Stimme ertönte aus den Himmeln: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir fand ich Gefallen!« Nachdem es für Jesus etwas zu sehen gab bei seinem Kommen aus dem Wasser, gab es für ihn auch noch etwas zu hören: eine Stimme aus den Himmeln. Von dorther, von wo Gottesgeist wie eine Taube zu ihm herabgekommen war. Die Worte – »Du bist mein geliebter Sohn, an dir fand ich Gefallen« – erinnern an die Berufung des Gottesknechts nach Jesaja 42. Sie erinnern aber auch an die Einsetzung des messianischen Königs nach Psalm 2. Daran lässt die an ihn sich wendende Stimme aus den Himmeln nicht den geringsten Zweifel, dass er, Jesus von Nazareth, der angekündigte und erwartete Heilbringer der Endzeit ist: »An dir fand ich Gefallen!« Gott bekundet Jesus nicht seine Sympathie damit. Die Anrede bedeutet: ›auf dich fiel meine Wahl, dich erwählte ich. Du bist mein geliebter Sohn, der einzige und einzig geliebte, mir nah und mir gemäß, mein Mitherrscher, neben dem kein anderer steht. Du bist erwählt, meine Absichten in die Tat umzusetzen und den Menschen meinen Frieden zu bringen, Sündenerlass und neue Lebensmöglichkeit.‹

      Am