Johannes Winkel

Der kommende Mensch


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Lage. Das genügt.

      Nachdem er herzu getreten und die Hand ergriffen hatte, richtete er sie auf. Etwas Besonderes geschieht nicht. Jesus tritt herzu, wie man an ein Krankenbett tritt, die Hand des Kranken ergreift und ihn, wenn er will, ein wenig aufrichtet. So oder so ähnlich hat es jeder bei einem Krankenbesuch bestimmt schon einmal getan. Hier geschieht es ebenso, aber auch anders. Da er herzu trat, ihre Hand ergriff und sie aufrichtete – verließ sie das Fieber. Dabei sprach er kein Wort, keinen Zauberspruch, wie es in der Antike bei der Bekämpfung des Fiebers üblich war. Wie sein Kommen in die Synagoge zuvor des unreinen Geistes Verschwinden war, so ist hier sein Kommen, sein Reichen der Hand, sein Aufrichten der Kranken des Fiebers Gehen. Dann stand die Frau selber auf und begann – als wäre sie nicht krank gewesen und als müsste sie nicht noch ein wenig ruhen – ihnen zu dienen, das heißt, sie zu bewirten. Nicht nur ihren Wohltäter, sondern sie alle im Haus. So demonstrierte sie ihnen, dass sie genesen war. Ihr Tun am Sabbat – dankbarer Dienst.

      Wie Jesus diese Frau geheilt hat oder zu heilen vermochte, wird nicht erzählt. Dass er in Vollmacht lehrte, in Vollmacht handelte, ist auch hier die einzige Erklärung, die uns gegeben wird.

      Am Abend aber, als die Sonne unterging, brachten sie zu ihm all die Kranken und die Besessenen. Die ganze Stadt war da versammelt vor der Tür. – Nicht nur über die Landesgrenzen hinaus, sondern auch in Kapharnaum selbst hatte sich die Kunde des Nazareners, von seiner Art, Menschen mit Vollmacht zu lehren, wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Als der Sabbat vorüber war, am Abend, als die Sonne unterging, hob die Geschäftigkeit in der Stadt wieder an. Anders als sonst. Da brachten sie all die Kranken und die Besessenen, das heißt die mit Bosheit Geschlagenen oder mit Bösem sich Plagenden, zu ihm. Auf Tragen oder an der Hand, notdürftig gesichert oder nicht gesichert, wie auch immer. Die ganze Stadt war da auf den Beinen und versammelt vor der Tür, wo Jesus eingekehrt war.

      Und er heilte viele Kranke mit verschiedenen Krankheiten und trieb viele Dämonen aus. Doch den Dämonen gestattete er nicht zu reden, denn sie kannten ihn. Jesus ließ nicht lange auf sich warten. Er kam vor die Tür und half den Menschen vor Einbruch der Dunkelheit in der Kraft des Geistes, die mit ihm war, so dass Kranke gesund und Besessene ihre Plagegeister loswurden. Wie das im Einzelnen aussah, ist der Fantasie des Lesers überlassen. Dem Evangelisten kommt es auf etwas anderes an. Darauf, dass Jesus viele Kranke heilte, nicht nur eine oder einen, und dass er mit verschiedenen Krankheiten fertig wurde, nicht nur mit einer oder einigen. Ferner, dass er viele Dämonen austrieb. Viele heißt viele, aber nicht alle. An jenem Abend heilte Jesus viele, aber nicht alle Kranken von all ihren Krankheiten und Gebrechen. Er schlug viele, aber nicht alle Dämonen samt ihren Dämonien aus dem Feld. Viele von jenen, die da erwartungsvoll Simons Haus in Kapharnaum belagerten, werden erleichtert, viele möglicherweise auch enttäuscht gewesen sein, dass Jesus, ein Mann mit diesen Fähigkeiten, nicht zu ihnen oder den Ihrigen gekommen war an diesem Abend. Noch ist nicht aller Tage Abend.

      Statt dies näher zu erklären, wird noch erzählt, dass Jesus den Dämonen Redeverbot erteilte. »Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes!« Mit diesen Worten hatte der böse Geist am Morgen in der Synagoge Jesus aufzuhalten versucht, gegen ihn vorzugehen. Denn wer seinen Namen kennt, den kann er nicht vernichten, ohne sich in Selbstwidersprüche zu verwickeln. Den muss er gewähren lassen, ja ihn retten und schützen (vgl. Ps 91,14–16)! Doch da hatte der schriftgelehrte böse Geist die Rechnung ohne den Heiligen Gottes gemacht. Der verschloss ihm das Maul und trieb ihn samt seinen Flausen mit einem Machtwort aus dem Menschen hinaus.

      An unserer Stelle ist es nun ein wenig anders. Jesus möchte nicht, dass die Dämonen ihn bekannt machen. Denn sie kennen ihn. Sie wissen, wer er ist. Sie schreien auf, wenn er kommt, und bangen um ihr Leben. Doch ihr Wissen um ihn, das sie, sobald sie es mit ihm zu tun bekommen, herausschreien (vgl. auch Mk 3,11 f), soll ihnen im Hals stecken bleiben. Sie sollen niemand damit kommen. Weshalb? Könnte es die Menschen nur verwirren, sie nur in Angst und Schrecken versetzen, sie aber nie und nimmer befreien? Würde es Jesus selbst auf seinem Weg im Wege stehen und ihn behindern? Wird nur einer ihn bekannt machen, wie er will, und wann er will, und wem er es entdecken will, aber kein Dämon, kein unreiner, kein unheiliger Geist? Es ist wohl so gemeint.

      Dann brach die Nacht herein. Jesus beendete sein Tagewerk, und alles verlief sich. Die Menschen begaben sich nach Hause. Morgen ist auch noch ein Tag. Dass Jesus nachts wie alle anderen ruhte, wird vorausgesetzt, aber nicht erzählt.

      Jesu Kommen in die Umgebung

      von Kapharnaum

       Markus 1, 35–45

      35–38 Aufbruch am Morgen

      39 Der Besuch der Lehrhäuser in Galiläa

      40–45 Die Heilung des Aussätzigen

      35 In der Frühe, als es noch völlig Nacht (war),

      erhob er sich und ging aus,

      und er ging hin an einen einsamen Ort

      (und) begann dort zu beten.

      36 Simon aber eilte ihm nach mit seinen Begleitern.

      37 Und sie fanden ihn

      und sagen zu ihm:

      »Alle suchen dich!«

      38 Da sagt er zu ihnen:

      »Lasst uns anderswohin gehen,

      in die angrenzenden Marktflecken,

      damit ich auch dort verkündige.

      Denn dazu bin ich ausgegangen.«

      39 Und er kam,

      verkündigend in ihren Synagogen in ganz Galiläa

      und die Dämonen austreibend.

      40 Da kommt zu ihm ein Aussätziger,

      bittet ihn,

      [fällt auf die Knie]

      und sagt zu ihm:

      »Wenn du willst,

      kannst du mich reinigen.«

      41 Und er erbarmte sich,

      streckte seine Hand aus,

      berührte (ihn)

      und spricht zu ihm:

      »Ich will,

      werde rein!«

      42 Und sogleich ging weg von ihm der Aussatz,

       und er wurde rein

      (2 Kön 5,14).

      43 Doch er (Jesus) fuhr ihn an

      und trieb ihn sogleich fort

      44 und sagt zu ihm:

      »Pass auf,

      sage niemandem etwas,

      sondern geh hin,

      stelle dich selbst dem Priester vor

      (Lev 13, 49; vgl. 13,1ff)

      und bringe für deine Reinigung dar,

      was Mose angeordnet hat

      (vgl. 14,1ff),

      zum Zeugnis ihnen!«

      45 Der aber ging fort,

      begann viel zu verkündigen

      und die Sache auszubreiten,

      so dass er (Jesus) nicht mehr öffentlich

      in eine Stadt hineingehen konnte,

      sondern sich außerhalb an einsamen Orten aufhielt.

      Doch ständig kamen sie zu ihm von überallher.