Martin Gebhardt

Katholiken in den Thüringer Kleinstaaten


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gemeinsame genuine Basis, auch entgegen einer historisch bedingten bzw. juristischen Auslegungsdifferenz innerhalb des Kirchen- und Gemeindeverständnisses, so dass die Verwendung des Begriffs legitim erscheint.

      Sowohl Kleinstaaterei als auch lutherisches Landeskirchentum stellen wichtige Rahmenbedingungen für das vorliegende Forschungsfeld dar und finden entsprechend Erwähnung. Eine umfängliche Darstellung beider ineinandergreifender Einzelfaktoren und der sich hieraus ergebenen gesellschaftlichen Gesamtbilder kann und soll im Kontext der vorliegenden Arbeit jedoch nicht erfolgen, sondern muss auf einzelne Punkte konzentriert bleiben, die zur Einordnung und zum Verständnis des Forschungsvorhabens notwendig sind.

      In der vorliegenden Arbeit wird dargelegt, wie sich unter dem Einfluss von lutherischem Landeskirchentum und kleinstaatlicher Ordnung Katholiken sammelten und aus diesen losen Interessengemeinschaften Kirchengemeinden bis hin zu kanonisch errichteten Missionsstellen bzw. Pfarreien entstanden. Dabei geht es zunächst darum, historische Gegebenheiten in den acht verschiedenen Kleinstaaten Thüringens auf der Mikroebene zu beschreiben und zu bewerten. Da dies in grundsätzlicher Form für das ganze Thüringer Staatengebilde geschehen muss, erheben die Einzeldarstellungen der Gemeindehistorien nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern müssen sowohl in Anbetracht der sich hieraus ergebenen Fülle als auch unter der beschriebenen Zielfragestellung auf wesentliche Eckpunkte beschränkt bleiben. Dennoch stellt die Aufarbeitung der geschichtlichen Entwicklung der Einzelgemeinden die wesentliche Grundlage vorliegender Arbeit dar. Ziel der Arbeit ist es dabei, Entwicklungsfaktoren zu generieren, die als allgemein wiedererkennbare Muster ein Grundgerüst für die Beschreibung der (Wieder-)Entstehung des Katholizismus in Thüringen und der entsprechenden katholischen Kirchengemeinden darstellen.

      Eine Gesamtdarstellung der Entstehung des Katholizismus nach der Reformation in den Thüringer Kleinstaaten steht in dieser Form bisher noch aus. Wenige Vorarbeiten, die das Thema jedoch nicht umfänglich und vernetzend darstellen, lassen sich jedoch finden. Zu verweisen ist insbesondere auf die Arbeit von Bernhard Opfermann, der 1988 sein Handbuch zur Geschichte der katholischen Kirche auf dem Gebiet des damaligen Bischöflichen Amtes Erfurt-Meiningen veröffentlichte.7 Hierin werden in Kurzform die geschichtlichen Entwicklungen der Pfarreien und deren Filialgemeinden aufgeführt und mit statistischen Daten, wie Katholikenzahl und Listen der vor Ort tätigen Priester, ergänzt. Da Opfermann nur das Gebiet des bis 1994 bestehenden Bischöflichen Amtes Erfurt-Meiningen betrachtete, wurden die Territorien von drei Thüringer Kleinstaaten, Sachsen-Altenburg und beide Linien Reuß, außer Acht gelassen.

      In den stark staatskirchenrechtlich geprägten Arbeiten von Joseph Freisen nimmt dieser in drei Publikationen Bezug auf das vorliegende Forschungsthema: Innerhalb seines Werkes „Verfassungsgeschichte der Katholischen Kirche Deutschlands in der Neuzeit“ beschreibt und bewertet er das staats-kirchenrechtliche Verhältnis in allen Staaten des Deutschen Reiches.8 Darüber hinaus ist bereits zehn Jahre zuvor eine detailgenauere Arbeit von Freisen erschienen, die jedoch nur einzelne Staaten in den Blick nimmt, dabei allerdings auch verschiedene thüringische Territorien.9 Zum Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach veröffentlichte er eine Einzelschrift.10 Freisen ermöglicht einen ersten historischen Überblick. Die Grundausrichtung seiner Schriften bleibt allerdings eine juristische.

      Eine weitere, wichtige Einzeldarstellung liefert Alfons Probst. Auch er beleuchtet aus juristischer Perspektive das Verhältnis von Staat und Kirche anhand der entsprechenden Verhältnisse im Herzogtum Sachsen-Meiningen.11

      Grundsätzlich muss zu den aufgeführten rechtshistorischen Schriften gesagt werden, dass sie einen ersten Zugang zum Thema gewähren. Die Frage nach dem Katholizismus im kleinstaatlichen Thüringen ist zugleich eine Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche und muss sich demnach auch dieser Forschungsperspektive stellen. Für eine umfassende Darstellung im Sinne der vorliegenden Arbeit genügt eine rein rechtshistorische Fragestellung jedoch nicht.

      Eine sehr kurze, allgemeine historische Zusammenfassung erstellte der ehemalige Pfarrer von Weimar, Wilhelm Breitung, anlässlich des Thüringer Katholikentages 1920.12 Es handelte sich dabei um ein Heft für die Teilnehmer des Treffens und ermöglichte einen Überblickt auf die Geschichte der katholischen Kirche in Thüringen.

      Einen weiteren Überblick zum Thema verschafft Josef Pilvousek in seinem Artikel „Diaspora und Eigensinn: Die Katholische Kirche in Thüringen“.13 Darüber hinaus sei weiterführend auf einige Publikationen Pilvouseks hingewiesen, die die Geschichte der katholischen Kirche Thüringens grundsätzlich beleuchten und damit wichtige Hintergründe zum Verständnis des Themas bereitstellen.14

      Zur Geschichte der einzelnen Pfarreien gibt es zahlreich erschienene Jubiläumsfestschriften.15 Sie liefern einen Überblick über die Entwicklung der Gemeinden vor Ort, nehmen jedoch zum Teil nur mangelnden Bezug auf die historischen Quellen und den historischen Gesamtzusammenhang.

      Eine umfängliche Beschreibung der Entwicklungsgeschichte des Katholizismus in Thüringen nach der Reformation steht bisher noch aus. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, die Forschung zur Geschichte der katholischen Kirche in Mitteldeutschland zu vervollständigen, indem sie die Prozesse der Wiederzulassung katholischer Glaubenspraxis, der Gemeindeentstehung und des Gemeindeaufbaus im Umfeld der landeskirchlich geprägten Kleinstaaten in den Blick nimmt.

      In Folge der Reformation entwickelten sich die thüringischen Herrschaftsgebiete der Ernestiner, der Schwarzburger und der Reußen zu lutherischen Landeskirchen. Die Bevölkerung dieser Staaten wurde durchgehend lutherisch, katholische Glaubenspraxis erlosch. Ein zeitlicher Rahmen der vorliegenden Arbeit kann nicht statisch auf ein bestimmtes Jahr festgelegt werden. Die Forschung beginnt zu dem Zeitpunkt, an dem in einem Kleinstaat Katholiken öffentlich in Erscheinung traten. Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts ist dies jedoch nicht der Fall gewesen. Als zeitlichen Endpunkt wird der Untergang der Monarchien in Deutschland im Jahr 1918 angesetzt, da hier letztlich die Existenz der Kleinstaaten endete, auch wenn diese bis zur Gründung eines vereinigten Thüringens 1920 in Form von Freistaaten zunächst weiterhin bestanden. Der Schwerpunkt der Arbeit bezieht sich demnach auf die Entwicklungen und Ereignisse im 19. Jahrhundert. Zu dieser Zeit existierten als Staaten der Ernestiner: das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha, das Herzogtum Sachsen-Meiningen und das Herzogtum Sachsen-Altenburg. Das Haus Schwarzburg regierte zwei Fürstentümer: Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen. Im Osten Thüringens lagen die Staaten des gefürsteten Hauses Reuß, das sich in eine ältere und in eine jüngere Linie unterteilte. In den Fokus der Darstellung werden explizit nur diese Territorien der Thüringer Kleinstaaten genommen. Ländereien, die nicht in den genannten Herrschaftsbereichen lagen, so insbesondere preußische Territorien, sind daher nicht Teil dieser Arbeit. Als preußische Territorien werden das katholisch geprägte Eichsfeld und die Stadt Erfurt demnach nicht näher als Teil der vorliegenden Forschungsarbeit untersucht16, jedoch in ihrer Bedeutung für die Entwicklung katholischen Lebens innerhalb der Thüringer Staaten gewürdigt.

      Neben den bereits angeführten Publikationen stellen die schriftlichen Quellen in Archiven das Fundament der Arbeit dar. Grundlegend sind hierbei die Akten des Bistumsarchivs Erfurt hervorzuheben. Es verwahrt die Korrespondenzen zwischen den katholischen Gemeinden Thüringens und den Bischöflichen Ordinariaten und Generalvikariaten in Paderborn und Fulda. Im Jahr 2000 wurden vom Bistumsarchiv Fulda alle Akten, die das Gebiet der Thüringer Kleinstaaten, insbesondere des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenachs, tangieren, an das Bistumsarchiv in Erfurt übergeben.17 Im Erzbischöflichen Bistumsarchiv Paderborn finden sich nur noch vereinzelt Quellen, die Thüringen betreffen, obwohl die Diözese Paderborn eine wesentliche Bedeutung für das Thema hat. Der Großteil dieser Akten ist im Bistumsarchiv Erfurt einzusehen. Hierzu gehören auch die Bestände des Geistlichen Gerichts Erfurt, das ein „Zwischenglied“ zwischen Bistumsleitung in Paderborn und Thüringer Diözesananteilen einnahm. Betreffs des Herzogtums Sachsen-Coburg