Martin Gebhardt

Katholiken in den Thüringer Kleinstaaten


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Ereignisse im ernestinischen Thüringen griffen auch auf die Herrschafts- und Einflussgebiete der Schwarzburger und Reussen über. Die politische Konkurrenz zu den Wettinern und das Suchen der Schwarzburger nach reichsunmittelbarer Bestätigung ihrer Herrschaft beim Kaiser lies zunächst Heinrich XXXI. von Schwarzburg-Blankenburg (1473-1526) der Reformation skeptisch gegenüberstehen.80 Das Gedankengut und die Dynamik der Reformation fand dennoch Ausbreitung in der Bevölkerung. Beachtenswert ist, wie verschieden die Herrschaftslinien der Schwarzburger darauf reagierten: Brachte der älteste Sohn Heinrichs XXXI., Graf Günther XL. (1499-1552), der die Herrschaft Sondershausen 1526 erbte und diese 1538 um Frankenhausen erweitern konnte, der Reformation anfangs ebenfalls Bedenken entgegen, führte sein Vetter Heinrich XXXII. (1499-1538) ab 1530/1531 diese im Bereich der Herrschaft Arnstadt-Blankenburg, ein.81 Erst als Günther ihn beerbte öffnete er, auch unter dem Druck der Wettiner, das gesamten Herrschaftsgebiet der Reformation. Ab 1540 bekannten sich die Schwarzburger Gebiete zu Luthers Lehre.82

      Die Abhängigkeit der Reussen von ihren ernestinischen Lehnsherrn galt auch in der Religionspolitik. Die Reformation war in ihren Anfängen demnach eine Entscheidung des Kurfürsten: Die Visitationen Kursachsens wurden auf Anordnung Johann Friedrichs auch in den Reussischen Landen durchgeführt.

      Die neue Lehre veränderte die bestehende Gesellschaft tiefgreifend. Sie wurde zum festen Bestandteil einer neuen staatlich-gesellschaftlichen Ordnung, in der die Kirche ein Organ des Staates wurde. Katholisches Glaubensleben erlosch damit in den Thüringer Herzog- und Fürstentümern vollständig.

       Festsetzung und Etablierung konfessioneller Verhältnisse im Reich

      Die Folgen der Reformation waren weitreichend. Die Herausbildung der konfessionellen Unterschiede war ein komplexer Vorgang und blieb oftmals undifferenziert.83

      In der Vermengung der konfessionellen Auseinandersetzung, der damit verbundenen gesellschaftlichen Unruhen und der politischen Neuordnung des Reiches erwuchs ein Konfliktpotential, das Europa, besonders aber die deutschen Länder, in eines der größten Unglücke ihrer Geschichte führen sollte: in den Dreißigjährigen Krieg. Nach dreißig Jahren Krieg und Elend musste nicht nur der politische Friede hergestellt werden, sondern es wurde auch unabdingbar, eine einvernehmliche Lösung im Bereich der konfessionellen Toleranz zu finden. Es musste ein Kompromiss sein, der es ermöglichte, zumindest das religiöse Konfliktpotential zu mindern.

      Im Westfälischen Frieden von 1648 wurden die konfessionellen Verhältnisse im Reich dauerhaft geregelt. Erst im Zuge der napoleonischen Kriege löste eine neue Rechtsstruktur die bis dato bewährte Ordnung ab. Die Vertragsartikel des Westfälischen Friedens umschrieben das konfessionelle Miteinander insbesondere auch dort, wo katholisches und protestantisches Bekenntnis direkt zusammentrafen. Die Ansiedlung von Katholiken in den lutherisch geprägten Territorien Mitteldeutschlands ist demnach in den Rahmenbedingungen dieses Friedensvertrages zu betrachten.

      Ein Schlüsselbegriff stellt das sogenannte „Normaljahr“ dar. Dieses setzte mit dem Jahr 1624 eine entscheidende Marke, an der sich die künftige Ordnung des Reiches festmachen sollte.84 Auf den Ist-Zustand der politischen und konfessionellen Ordnung des genannten Jahres einigten sich die Vertragspartner als Punkt des künftig angestrebten „Status quo“. Diese Jahreszahl markiert einen Kompromiss, der weder die katholische noch die protestantische Seite bevorzugte.

      Ausdrücklich wurde die Gleichwertigkeit der einzelnen Bekenntnisse bekundet und die zwangsweise Ordnung des „cuius regio – eius religio“ gelockert. Der Religionsfriede von 1555 wurde somit ausdrücklich bestätigt und außerdem um das calvinische Bekenntnis erweitert, das fortan auch anerkannt war.85

      Große Bedeutung erlangte der Friedensvertrag für die konkrete religiöse Praxis: War es bis dahin streng genommen nicht gestattet als Katholik in lutherischem Gebieten seinen Glauben auch nur im Privaten nachzugehen, und natürlich auch umgekehrt, so wurde dies nun der Einzelperson zugestanden.86

      Zwar war die Konfession des Landes grundsätzlich festgelegt und daher auch das „exercitium publicum religionis“, doch wurde die private Glaubenspraxis der Fremdkonfession zugebilligt, die sich auch durch private Hausandachten (devotio domestica) äußern durfte.87 Für Katholiken in Mitteldeutschland hätte dies bedeutet, dass man auch ihnen dies zugestanden hätte und sie zur privaten Glaubensausübung keinerlei Genehmigung des Landesherrn bedurften. Allerdings ist das Stichjahr 1624 zu beachten. Der entsprechende Gesetzestext ist nur anzuwenden, wenn zum 1. Januar 1624 auch Katholiken im Staat lebten.88 Da dies im Falle der Thüringer Kleinstaaten nicht der Fall war bzw. ohne öffentliche Wahrnehmung blieb, traten die Bestimmungen des Westfälischen Friedens diesbezüglich nicht in Kraft, so dass das Normaljahr für Katholiken diesbezüglich in den Thüringer Kleinstaaten nicht galt.89 Die Konsequenzen daraus lassen sich an der später geübten Praxis innerhalb der Thüringer Herrschaftsgebiete ablesen: Die Abhaltung katholischer Andachten, auch im Privaten, wurde erst nach Anfrage und darauffolgender Genehmigung des Landesherrn ermöglicht.90

      Die Bestimmungen des Westfälischen Friedens waren in jeder Hinsicht ein Kompromiss. Die ansatzweise Durchbrechung des „cuius regio – eius religio“ und die Duldung einer anderen Konfession sind damit nicht als freiwilliger Schritt zur Toleranz, sondern als einfache Notwendigkeit zu werten.91 Deutlich wird dies auch am sichtbaren Willen konfessionell einheitliche Gebiete zu schaffen. Der Landesherr hatte demnach das Recht, nach einer einzuhaltenden Frist, Mitglieder anderer Konfessionen des Landes zu verweisen.92 Politik blieb demnach auch künftig Religionspolitik und deutlich an den Landesherrn gebunden, der somit weiterhin die Konfession seiner Untertanen, wenn auch nun abgeschwächt, bestimmen konnte. Viele Menschen waren „Grenzgänger“ zwischen den Konfessionen, ja verbanden in sich die verschiedenen Bekenntnisse und wiesen eine gewisse konfessionelle Hybridität93 auf. Die Konversion eines Landesherrn war daher nicht unüblich und stellte oftmals ein Mittel der Außen- und Wirtschaftspolitik dar.94 Ein daraufhin erforderlicher Konfessionswechsel seiner Untertanen war jedoch mit den neuen Bestimmungen ausgeschlossen worden.95

      Offen blieb ferner die Frage der katholischen Diözesanordnung. Man verständigte sich auf einen Kompromiss, der bis zur Beendigung der Glaubensspaltung gelten sollte. In den Gebieten der neuen Lehren blieb die Jurisdiktion der katholischen Bischöfe bis auf Weiteres suspendiert. Formal bestanden sie damit aber immer noch weiter.96 Die geistlichen Territorien wurden teilweise zu Gunsten weltlicher Herrscher aufgehoben, worin erste Ansätze einer Säkularisation zu erkennen sind.97 Die Jurisdiktion über Diözesangebiete, deren Bischofsitze untergingen, ging nach katholischem Verständnis direkt auf den Papst über, der die protestantischen Gebiete Norddeutschlands, aber auch Skandinaviens, zu einer Nordischen Mission zusammenfasste und diese 1622 der „Congregatio de Propaganda Fide“ unterstellte.98 Zur Verbesserung der administrativen Struktur wurde 1667 ein Apostolisches Vikariat für die Nordische Mission99 installiert, dessen Apostolischer Vikar einem Nuntius zugeordnet war.100 Fernerhin entstand bereits 1743 ein gesondertes Vikariat für das albertinische Kurfürstentum Sachsen, bedingt durch die wachsende Zahl von Katholiken am Hof, des zum Katholizismus konvertierten Kurfürsten und Königs Friedrich August (1670-1733), welches für den Ostthüringer Raum von besonderer Bedeutung werden sollte.101

      Grundsätzlich war die Bedeutung der Apostolischen Vikariate der Nordischen Mission für Thüringen nur gering, da eine ruhende Jurisdiktion der Mainzer und Würzburger Bischöfe angenommen werden muss. Einzig die Ostthüringer Gebiete der Herren zu Reuß und die Gegend um Altenburg entzogen sich dieser Zugehörigkeit.

      Die Bestimmungen des Westfälischen Friedens hatten für katholisches Leben in den Thüringer Herrschaften keine Auswirkung. Die im Friedensvertrag ausgehandelte Festlegung des „Normaljahres 1623“ blieb für die Katholiken bedeutungslos, da 1623 keine katholischen Christen vor Ort lebten. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, vor welchen Problemen Katholiken in Thüringen standen. Entgegen dem sonst geltenden Recht waren sie es, die jeweils neu ihre Position im Staat aushandeln mussten. Ab Ende des 18. Jahrhunderts, besonders aber zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist dies für fast alle thüringischen Kleinstaaten belegbar. Von daher ist die Entwicklung der katholischen Gemeinden Thüringens