Martin Gebhardt

Katholiken in den Thüringer Kleinstaaten


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      Die fortbestehende politische Zersplitterung Thüringens im 19. Jahrhundert wirkte wie ein Gegenbild zu den wachsenden Einigungsbestrebungen in Deutschland.103 Dabei brachte sie nicht nur Nachteile mit sich: Beispielsweise hatte die politische Zerrissenheit nicht nur eine machtpolitische Randstellung Thüringens zur Folge, sondern auch dessen überragende Stellung im künstlerischen und kulturellen Bereich.104 Die politische Bedeutungslosigkeit und die kleinstaatliche Verwaltung, die wie nirgends sonst mit einem ausgeklügelten Beamtensystem105 gelenkt wurde und sich nicht nur auf eine Herrschaft106 von Gottes Gnaden aufbauen konnte, sondern moderne Züge in der Verwaltung annahm, führten zu einer ausgeprägten Förderung der Kunst.107 Diese machte Thüringen zu einem Zentrum des Denkens und der Kultur, allerdings im Rahmen der Kleinstaatlichkeit und der damit oftmals in Verbindung stehenden kleinbürgerlichen Gedankenwelt. Demnach war es nicht nur eine persönliche Vorliebe der Thüringer Fürsten für Kunst und Kultur, sondern letztlich deren einzige Möglichkeit ein Eigenprofil zu entwerfen, das auf politischer Ebene unmöglich war. Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) macht dies an seinem Weimarer Herrn fest, (Groß-) Herzog Carl August (1757-1828, reg. 1775-1828): „Der Großherzog war eine dämonische Natur, voll unbegrenzter Tatkraft und Unruhe, so daß sein eigenes Reich ihm zu klein war und das größte ihm zu klein gewesen wäre.“108

      Die Thüringer Staaten unterlagen in ihrer Geschichte ständigen Grenzverschiebungen, Neuteilungen und Einverleibungen. Im 19. Jahrhundert stellten sich im Wesentlichen die politischen Strukturen Thüringens wie folgt dar:

      Der wettinische Herrschaftsbereich teilte sich in die Herzogtümer Sachsen-Weimar-Eisenach109, Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Coburg-Saalfeld, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Hildburghausen auf. Nach einer Gebietsreform durch den Hildburghäuservertrag im Jahr 1826, die nach dem Erlöschen der Linie Sachsen-Gotha-Altenburg notwendig wurde, verringerte sich diese Zahl und erhielt ihre endgültige Aufteilung bis zum Ende der Monarchie.110 Gotha wurde fortan von Coburg aus in Personalunion regiert. Sachsen-Saalfeld und Sachsen-Hildburghausen wurden dem Meininger Staatsgebiet einverleibt, das dadurch riesige Gebietsgewinne verzeichnen konnte, die das ursprüngliche Territorium fast verdoppelten. Der Herzog von Sachsen-Hildburghausen wurde mit dem wiedergeschaffenen, von Gotha gelösten Herzogtum Altenburg neu versehen.

      Dominierend unter den wettinischen Herzogtümern war zu dieser Zeit Sachsen-Weimar-Eisenach, das sowohl in kultureller, als auch in politischer Weise Gotha den Rang in Thüringen ablief.111 Gemeinsam trugen die Herzogtümer das Thüringische Oberappelationsgericht112 und die Universität113, beide mit Sitz in Jena, auf großherzoglich weimarischem Boden.

      Stetig auf seine Souveränität bedacht, konnte sich das Haus Schwarzburg, das sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in zwei Linien aufgespalten darstellte, als einziges, wirklich thüringisches Adelsgeschlecht über Jahrhunderte behaupten. Die Ländereien der beiden Staaten unterteilten sich je in eine Ober- und Unterherrschaft mit den Residenzen in Rudolstadt und Sondershausen.

      Im Osten Thüringens, zwischen den beiden wettinischen Herrschaften der Ernest- und Albertiner gelegen, erstreckten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts vier Staaten der Herren zu Reuß, unterteilt in Reuß ältere und jüngere Linie, letztere umfasste zu diesem Zeitpunkt drei zu unterscheidende Einzelstaaten.114 In Reuß etablierte sich ein Territoriengefüge, das auf Grund seiner geringen Größe kaum überlebensfähig wirkte. Neben diesen einheimischen Mächten beherrschten weiterhin auch auswärtige Herrscher größere Thüringer Gebiete. Aus kirchlicher Perspektive sind insbesondere die kurmainzischen Gebiete interessant, die mit dem Kurfürsten und Erzbischof von Mainz einem katholischen Landesherrn unterstanden. Geografisch zentral gelegen waren hierbei Erfurt und das zur Stadt gehörige Umland.115

      Neben dem Erfurter Stadtgebiet besaß Mainz noch das nordthüringische Eichsfeld, das nach Einführung der Gegenreformation fast vollständig zum katholischen Bekenntnis zurückgeführt worden war.116 Zum Jahrhundertwechsel 1800 bestanden diese geistlichen Gebiete noch, fielen jedoch in der beginnenden Säkularisationswelle 1802 an Preußen, das nach kurzer französischer Herrschaft erneut diese Gebiete sich einverleiben konnte. Preußen sicherte sich damit dauerhaft in Thüringen Territorien.117 Als weitere, auswärtige Instanz besaß Hessen-Nassau Gebiete im Thüringer Wald um die Stadt Schmalkalden. Im Jahr 1866 fielen auch diese Gebiete an Preußen.

      Die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts präsentierende Herrschaftsordnung musste sich großen Umformungsprozessen auf europäischer Ebene stellen. Die Napoleonischen Kriege waren hierbei von besonderer Tragweite.

       Napoleonische Kriege und Restauration

      Nach dem vorläufigen Ende der Monarchie in Frankreich, dem Siegeszug der Französischen Revolution und dem Scheitern ihrer Zurückweisung bzw. Eindämmung durch die europäischen Mächte, auch durch Sachsen-Weimar-Eisenach, das sich durch seinen Herzog Carl August118 am Krieg gegen die Revolutionäre beteiligte, breitete sich der Krieg unter Napoleon Bonaparte (1769-1821) weiter über Europa aus.119

      Im Jahr 1802 erfolgte für Thüringen die erste territoriale Veränderung: Preußen schloss mit Frankreich einen Sondervertrag, der es für die Verluste linksrheinischer Gebiete mit geistlichen und reichseigenen Territorien in Deutschland entschädigen sollte.120 Die kurmainzischen Gebiete in Thüringen, die Stadt Erfurt und das Eichsfeld, wurden an Preußen übergeben, das am 21. August 1802 in Erfurt einrückte121 und eine über tausendjährige Zugehörigkeit der Stadt zu Mainz beendete.

      Die Herrschaft Napoleons bedeutete Krieg und eine tiefgreifende Umformung der europäischen Machtverhältnisse. Militärisch und politisch hatten die Thüringer Staatsgebiete wenig der französischen Großmacht entgegen zu setzen, aber auch nichts im Interesse Frankreichs zu bieten, so dass eine Angliederung an andere deutsche Staaten als wahrscheinlich schien. Am 8. August 1805 warnte Herzog Friedrich von Sachsen-Hildburghausen (1763-1834, reg. 1787-1826)122 die Regenten in Meiningen und Coburg123 vor einer drohenden Angliederung an das napoleonische Großherzogtum Würzburg, was sich jedoch als reines Gerücht herausstellte.124 Die Empfindlichkeit mit welcher der Herzog jedoch reagierte, zeigt eindrücklich die Brisanz der damaligen Sachlage, welche die Regierungen der Kleinstaaten veranlasste, vom albertinischen Kurfürstentum Sachsen Beistand zu erbitten. Ein gemeinsames Auftreten gelang den Thüringer Souveränen jedoch nicht. Sachsen konnte letztendlich nicht am Vorabend des Krieges als Bündnispartner gefunden werden und auch eine Eingliederung in den zu gründenden Norddeutschen Bund scheiterte.125

      Dem gegenüber baute sich ein französisches Bündnis auf, das den Untergang der alten Reichsordnung besiegeln sollte: die „Confédération de Rhin“, der Rheinbund.126 Am 1. August 1806 erklärten betreffende Staaten ihren Austritt aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und diktierten damit das Ende des Reiches.127 Am 6. August 1806 legte Kaiser Franz II. (1768-1835) die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nieder.128

      Die Suche der Thüringer Kleinstaaten nach einem starken Bündnispartner verlief nur für Sachsen-Weimar-Eisenach erfolgreich. Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach schloss am 4. Oktober 1806, demnach kurz vor der Schlacht bei Jena und Auerstedt, ein Bündnis mit Preußen und galt damit als offizieller Gegner der Franzosen.129

      Der Krieg der Franzosen gegen Preußen verlagerte sich auf thüringischen Boden. Berühmt für den Einmarsch Napoleons ist die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt geworden. Die Franzosen besetzten am 13. Oktober 1806 Jena. Am 14. Oktober 1806 erfolgte der für die Preußen überraschende und letztlich für Napoleon siegreiche Angriff.130

      Nach der Schlacht von Jena und Auerstedt begann für Teile Thüringens eine Zeit französischer Herrschaft. Schon am 17. Oktober 1806 wurde Erfurt besetzt, das zwar eine preußische Verteidigung von etwa 10.000 Mann aufweisen konnte, sich aber nicht zum Kampf stellen wollte und am 16. Oktober 1806 kapitulierte.131 Erfurt wurde zum Zentrum der französischen Herrschaft in Thüringen auf Jahre hin. Am 4.