Martin Gebhardt

Katholiken in den Thüringer Kleinstaaten


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Die Thüringer Kleinstaaten wurden Mitglieder des Rheinbundes.133

      In der Neuaufteilung Europas sollte zunächst Erfurt eine besondere Rolle einnehmen. Die Verhandlungen der beiden großen Kriegsgewinner Frankreich und Russland fanden in der thüringischen Metropole statt. Erfurt rückte für die Zeit vom 27. September bis 14. Oktober 1808 durch den Fürstenkongress in das Zentrum Europas.134

      Nach dem Scheitern der Grande Armée auf ihrem Russlandfeldzug und der Niederlage Frankreichs in der Völkerschlacht bei Leipzig am 19. Oktober 1813 sank der Stern Napoleons: Am 31. März 1814 nahmen die alliierten Truppen Paris ein. Napoleons Herrschaft war kurzzeitig beendet. Nach dessen Rückkehr aus der Verbannung von Elba und seiner „Hundert Tage Herrschaft“ erlitt er bei Waterloo am 18. Juni 1815 seine letzte Niederlage.135

      Der Sieg über die Franzosen konnte die bis dato vorhandenen Veränderungen in Europa allerdings nicht mehr vollständig revidieren. Ab September 1814 traten im Wiener Kongress die Kriegsgewinner Österreich, Russland, England und Preußen zusammen.136 Dazwischen versuchten die kleineren deutschen Einzelstaaten ihre Interessen zu wahren. Die restaurative Ausrichtung des Kongresses diente klar der Wiederherstellung der Macht der europäischen Monarchien und dem Verdrängen revolutionärer Ideen, doch schufen die Ereignisse zu Beginn des Jahrhunderts nicht umkehrbare Fakten, insbesondere für das Ende von Reich und Reichskirche.

      Das allgemeine Erweiterungsstreben der Großmächte auf dem Wiener Kongress brachte auch die thüringischen Kleinstaaten in die Gefahr ihre Souveränität zu verlieren. Da sie Mitglieder des Rheinbundes waren, in diesen jedoch gezwungen worden waren und daher nicht als Verbündete der Franzosen galten, konnte ihre Unabhängigkeit bewahrt werden. Für Sachsen-Weimar-Eisenach waren sogar bedeutsame Gebietsgewinne zu verzeichnen und die Erhebung zum Großherzogtum.137 Preußen verpflichtete sich dabei, Gebiete des ehemaligen Fürstbistums Fulda an das neue Großherzogtum abzutreten.

      Für die Kleinstaaten bedeutete der Kongress vielfach ein Abwarten von Entscheidungen, die bei den Großmächten lagen. Der Weimarer Minister Ernst Christian August von Gersdorff (1781-1852) äußerte sich diesbezüglich: „Die Sicherheit der kleineren Staaten beruht in Deutschland sowie überhaupt entweder auf der Begründung eines wahren, in sich selbst haltbaren, somit nach allen wesentlichen Erfordernissen eines guten Organismus erbauten deutschen Reiches […] oder sie gründet sich auf die Koexistenz der mehreren mächtigen Staaten in Deutschland, deren politische Eifersucht das Prinzip der Fortdauer der kleineren zwischen ihnen gelegenen Herzogtümer und Fürstentümer bildet. Jetzt, wenn ich nicht irre, sind wir in diesem letzteren Fall.“138

      Diese Einschätzung traf zu. Die Vorschläge von österreichischer und preußischer Seite, vertreten durch Klemens Fürst von Metternich (1773-1859) und Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822), zielten auf eine überragende Rolle des je eigenen Staates in einem deutschen Staatenbund hin. Ein solcher Staatenbund ginge mit der Bedeutungslosigkeit der Klein- und Mittelstaaten, trotz ihres formalen Fortbestehens, einher. Allerdings scheiterten die Pläne insbesondere am Misstrauen der Österreicher gegenüber der deutschen Zweitmacht Preußen. Die deutschen Staaten schlossen sich daraufhin in einem nur lose orientierten, insbesondere auf den militärischen Verteidigungsfall ausgerichteten Deutschen Bund zusammen139, in dem Österreich durch seine Position als Präsidialmacht eine Sonderrolle einnahm. Eine gesamtdeutsche Verfassung war unerreichbar und musste in die Kompetenz der Einzelstaaten gelegt werden. Die Schaffung eines geeinten Deutschlands wurde durch die Schaffung des Bundes nicht gefördert, sondern letztlich unterbunden. Den Herzögen und Fürsten der Thüringer Kleinstaaten wurde somit Macht und Unabhängigkeit gesichert. Erst mit den revolutionären Ereignissen des Jahres 1848 wurde die Souveränität und politische Ordnung der Thüringer Herzog- und Fürstentümer in Frage gestellt.

       Revolution von 1848

      Die seit Anfang des Jahrhunderts bestimmende Restaurationspolitik der Staaten im Deutschen Bund erfuhr im März 1848 eine entscheidende Wende. Deutschland stand in einem gesamteuropäischen Prozess, ausgehend von Frankreich, wo im Februar 1848 die Monarchie abgelöst wurde.140 In Deutschland wuchsen trotz bzw. wegen der restriktiven offiziellen Politik, die Bestrebungen nach einem offeneren, bürgerlichen, demokratischeren Staat.141 Verbunden war dies mit dem Streben einer gesamtdeutschen Einigung der Einzelstaaten.142 Die staatliche Wirklichkeit blieb jedoch weit hinter diesen Forderungen zurück: Kaum ein deutscher Nationalstaat hat, wie beim Wiener Kongress beschlossen, eine Verfassung eingesetzt, viele Thüringer Staaten kamen dem jedoch recht früh nach.143

      Von Baden ausgehend verbreitete sich die Revolution über Deutschland. Viele Landesherren setzten neue Regierungen ein, die dem Drängen der revoltierenden Bevölkerung besser entsprachen. Den Höhepunkt bildete die Frankfurter Nationalversammlung von 1848/1849. Die Ausarbeitung einer Reichsverfassung und Vorbereitung einer Einheit Deutschlands waren Hauptanliegen, der dabei in Gruppen Zerstrittenen.144

      Auch in Thüringen waren Einheitsbestrebungen stark ausgeprägt145, zugleich aber mit einem der profiliertesten kleinstaatlichen Systeme in Deutschland konfrontiert. Dies zeigt sowohl den vorhandenen Missstand, als auch die zu erwartende Auseinandersetzung mit der bestehenden staatlichen Ordnung. Die meisten thüringischen Regenten vermochten jedoch zunächst geschickt die Situation zu meistern.146

      Die Bevölkerung in Thüringen war stark, trotz allem Einheitsstrebens, ihren Dynastien verbunden. Insbesondere das liberal geprägte Bürgertum147, das sich durch eine recht offene Politik im Presse und Vereinswesen relativ frei entfaltete148, konnte schnell durch kleinere Veränderungen, so z.B. durch die Zensuraufhebung und die Bestellung neuer liberaler Minister, beruhigt werden.149 Bezüglich der Bildung von Landtagen sind jedoch große Unterschiede feststellbar. Teilweise wurden erst im Mai und Juni 1849 entsprechende konstituiert.150

      Bei den anfänglichen fürstlichen Beschwichtigungsversuchen konnte es demnach nicht bleiben, da insbesondere an den sich bildenden Industriestandorten, hier insbesondere gefördert durch den wachsenden sozialen Notstand151, regelrechte Revolten von Einzelgruppen angezettelt wurden. Diese verlangten nicht nur eine Öffnung des Staates gegenüber ihren Forderungen, sondern wollten eine demokratischrepublikanische Ordnung durchsetzten.152 Eine republikanische Ordnung wurde von den meisten Thüringern von vornherein ablehnt. Die Schaffung einer Staatsverfassung mit Einflussmöglichkeit der Bevölkerung durch einen Landtag, unter dem Dach einer konstitutionellen Monarchie, war für die meisten hingegen eine realistischere Forderung. Die Abschaffung der Monarchie verlangte der Großteil der Bevölkerung nicht, sondern nach „deren solideren Umbau und die Sympathien für die Einheit und Freiheit des Vaterlandes, [und sie] […] wünschte Vertrauen zu haben und Vertrauen zu finden zwischen sich und den Steuermännern des Staatsschiffes.“153

      Die mögliche Schaffung eines deutschen Einheitsstaates konnte den Verlust der Souveränität der Thüringer Staaten bedeuten. Die Regierungen von Sachsen-Meiningen und von Sachsen-Weimar-Eisenach forderten daher einen Bundestag, der die Mitsprache der Einzelstaaten und damit deren Eigenständigkeit sicherte und anerkannte.154 Dennoch konnten sich eben diese Staaten nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen, sondern suchten im Einzelfall ihre je größeren Bündnispartner. Sachsen-Altenburg und die reußischen Länder orientierten sich dabei stark an Sachsen. Auch in den ernestinischen Staaten verbreitete sich die Auffassung, dass ein Anschluss an Sachsen besser sei, als im neuen Machtgefüge Deutschlands aufzugehen.155 Großherzog Carl Friedrich (1783-1853, reg. 1828-1853)156 von Sachsen-Weimar-Eisenach klagte darüber: „Wir laufen Gefahr, mit den kleinen Fürsten von Reuß, von Schwarzburg p.p. in eine Masse und bedeutungslose Kategorie, noch mehr als bisher geknetet zu werden.“157

      Kleinstaaterei in ihrem überkommenen Sinne stellte in diesem Zusammenhang keine Zukunftsoption dar. Dass ein Anschluss an Sachsen jedoch deutlich die albertinische Linie bevorzugt hätte und somit keine Einheit der Wettiner bedeutete, sondern das Ende der ernestinischen Macht, wurde schnell deutlich und ließ solche Pläne wieder verschwinden.158 Verhandlungen zur Bildung eines größeren Staatenkomplexes159 bzw. der grundsätzlichen Zusammenarbeit, gingen jedoch zwischen den Thüringer