Martin Gebhardt

Katholiken in den Thüringer Kleinstaaten


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vom 22. Oktober bis 16. November 1848 in Würzburg, um sich über die verändernde politische Lage auszutauschen.223 In einer Denkschrift setzten sie sich dabei für die Unabhängigkeit der Kirche gegenüber dem Staat ein, nicht jedoch für eine Trennung von Staat und Kirche, die davon zu unterscheiden ist.224

      Die Beschlüsse des Ersten Vatikanums verschärften ab 1870 das spannungsvolle Miteinander von vielen deutschen Staaten und katholischer Kirche und sorgten für große Empörung, insbesondere auf politischer Ebene. Der „…nationalprotestantische Taumel im Gefolge des Sieges von Sedan…“225 traf auf universalen päpstlichen Anspruch. Größer konnte der Widerspruch zwischen Kirche und Staat kaum sein.

      Ist vom Staat die Rede, so muss doch bemerkt werden, dass auch das 1871 gegründete Deutsche Reich föderalistisch geprägt war. Die Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche mussten demnach regional verschieden sein. Im Hinblick auf Mitteldeutschland sind daher insbesondere die preußischen Gebiete von Bedeutung.226 Die Interessen der Katholiken wurden auf politischer Ebene in besonderer Weise durch besagte Zentrumspartei vertreten.227 Katholiken, Ultramontanismus, päpstlicher Autoritätsanspruch, gekennzeichnet durch die Beschlüsse des Ersten Vatikanums und die Zentrumspartei, wirkten von außen wie ein einziger katholischer Block, der den nationalen Definitionen des preußisch-protestantischen Deutschlands228 widersprach und in das Staatssystem Bismarck nur schlecht zu integrieren war.229 Auch gegenüber dem sich ab 1860 immer stärker etablierenden politischen Liberalismus wirkten die Interessen und Auffassungen der Katholiken weiter distanzierend.230

      Der Zentrumspartei und damit letztendlich den Katholiken wurde vorgeworfen, dass sich in ihrer Mitte separatistische-partikularistische Kräfte versammelten, die letztlich im Interesse ausländischer Mächte (Papst, Frankreich, Österreich) handelten. Die katholische Kirche war international geprägt und musste einen überzogenen Nationalismus deutscher Prägung ablehnen.231 Katholizismus, Zentrumspartei und Papsttum waren mit den politisch-gesellschaftlichen Erwartungen Bismarcks einfach inkompatibel.232

       Kulturkampf

      Der Entschluss Bismarcks zum Kulturkampf233 gegen die katholische Kirche in Deutschland lässt sich letztlich an fünf Punkten festmachen: Der Widerspruch zur geltenden nationalprotestantischen Staatsausrichtung, der skeptischen Haltung Bismarcks gegenüber allem Katholischem, den Beschlüssen des Ersten Vatikanums bezüglich päpstlicher Unfehlbarkeit und Jurisdiktionsprimat, der Gründung einer dezidiert katholischen Partei – dem Zentrum – und in einer, durch diese Faktoren bedingte Stigmatisierung der deutschen Katholiken als Reichfeinde, die, sicherlich auch geprägt durch den Ultramontanismus, damit letztlich unter einen Generalverdacht gestellt wurden.234

      Als mehrere Theologieprofessoren in Preußen durch ihre Bischöfe gemaßregelt wurden, da sie den Konzilsbeschlüssen zur Unfehlbarkeit und zum Jurisdiktionsprimat ihre Zustimmung verweigerten, intervenierte die preußische Staatsregierung.235 Zunächst wurde am 8. Juli 1871 die katholische Abteilung des Kultusministeriums aufgehoben236, da diese eine Interessenvertretung der Katholiken, besonders aber des Zentrums, im Regierungs- und Verwaltungsapparat darstellte.237 Auf Regierungsaber auch auf der Schulverwaltungsebene wurde den katholischen Anliegen damit der Boden entzogen. Bildungspolitik sollte vollständig unter staatliche Kontrolle kommen. Zur weiteren Schwächung eines möglichen katholischen Widerstands bzw. einer katholischen Einflussnahme auf die Gesellschaft trat am 10. Dezember 1871, und dies auf Betreiben Bayerns, der so genannte Kanzelparagraph in Kraft, der es Geistlichen unter Androhung von Festungshaft verbot, in ihrer Wortverkündigung, insbesondere aber in ihrem Predigtdienst, zu politischen Themen Stellung zu beziehen.238

      Ein wichtiger Einflussbereich der Kirche auf das gesellschaftliche Miteinander war deren Funktion im Bildungswesen. Die schulische Ausbildung war so zu großen Teilen eine kirchliche Erziehung. Mit dem „Gesetz betreffend die Beaufsichtigung des Unterrichts und Erziehungswesens“ vom 11. März 1872 beendete Bismarck diese herausragende Stellung der Kirche im Bereich Bildung.239

      Besonders der Gesellschaft Jesu, den Jesuiten, wurde eine staatsgefährdende Tätigkeit vorgeworfen, letztlich um einen der etabliertesten Orden mit großer Bedeutung für den Katholizismus in Deutschland zu schwächen. Durch das so genannte Jesuitengesetz vom 4. Juli 1872 wurden alle Mitglieder des Ordens aus Deutschland iesen.240

      Im „Kampf“ von Kirche und Staat ging es Bismarck zunehmend darum die deutsche Geistlichkeit enger an den Staat zu binden und sie aus ihrer kirchlichen Verknüpfung zu lösen. Sie sollten zu Dienern des staatlichen Systems werden. Die im Mai 1873 nach heftigen parlamentarischen Diskussionen erlassenen Maigesetze dienten dem Ziel den katholischen Klerus aus der kirchlichen Ordnungs- und Dienstgewalt mehr und mehr zu lösen, indem künftig der Staat über die Vorbildung der Kleriker und deren Anstellung, über die Rahmen von kirchlicher Disziplinargewalt und über die Grenzen der Verhängung kirchlicher Strafen befand.241 Den Katholiken an sich wurde es ermöglicht, auf einfache Weise aus der Kirche auszutreten. Eine entsprechende Erklärung vor den staatlichen Organen genügte fortan und bedeutet seither die Befreiung von der Kirchensteuer.242

      Katholiken sollten vor allem Bürger des Staates sein und nicht Untertanen einer Kirche, die zudem noch päpstlich und ultramontan geprägt war.243 Der Staat wollte sich vom Einfluss der Kirche emanzipieren.244 Dies zu erreichen, wurde die Bedeutung der Kirche auf eine rein religiöse Ebene zurückgedrängt und ihr durch das „Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ vom 9. März 1874, ihre Bedeutung für das bürgerliche Rechtssystem genommen.245 Dadurch wurde es möglich, ein säkularisiertes, von der Kirche vollkommen unabhängiges Leben, das allein dem Staat verpflichtet ist, zu führen.

      Auch die Gesetzesordnungen bzgl. der „Verwaltung erledigter katholischer Bistümer“ (20. Mai 1874)246, das „Gesetz betreffend die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bistümer und ihre Geistlichen“ (22. April 1875)247, das Gesetz betreffend die geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche“ (31. Mai 1875)248 und das „Gesetz über die Vermögensverwaltung in katholischen Kirchengemeinden“ (20. Juni 187 5)249 wirkten drastisch auf die kirchliche Selbstbestimmung und Freiheit und damit auf das kirchliche Leben an sich, auch auf die Pastoral.

      Amtsenthebungen von Bischöfen, aber auch Haftstrafen für zahlreiche Geistliche, bildeten den Höhepunkt in der Auseinandersetzung, die letztlich jedoch das Ziel, das Band zwischen Gläubigen und ihrer Kirche zu lockern, verfehlte.250 Im Gegenteil bewirkte es eine neue Form von Solidarität und Zusammenhalt in der Kirche.251 Hinzukam, dass durch Bedrängnis der katholischen Kirche in Deutschland die Bedeutung des Papsttums als feststehende Instanz und Autorität weiter wuchs. Bismarcks Kulturkampf geriet in eine Pattsituation.252 Eine Annäherung der „Kontrahenten“ war für beide Seiten zwingend, jedoch unter dem Pontifikat Pius IX. (17921878) nicht möglich. Dessen Nachfolger auf dem Stuhl Petri, Papst Leo XIII. (18101903), kündigte durch seine erste Enzyklika „Inscrutabili Dei consilio“ (21. April 1878) eine Wende innerhalb des kirchlichen Umgangs mit der modernen Lebenswelt an.253 Es ging um eine Aussöhnung, ein Aufbrechen verhärteter Fronten, eine Öffnung der Kirche zu den herrschenden sozialen, gesellschaftlichen und politischen Realitäten.

      Auch in der innerdeutschen Politik ergaben sich neue Anforderungen, die eine Konfrontation mit der Zentrumspartei zunehmend als hinderlich für die bismarcksche Politik erscheinen ließ.254 Die Politik des Reichskanzlers entfernte sich zunehmend vom liberalen Block und suchte neue Verbündete im konservativen Lager, das, mit ihm zusammen, in der wachsenden Sozialdemokratie den eigentlichen „Reichsfeind“ sah und für deren Einschränkung Bismarck neue Mehrheiten suchte.255

      Die Verhandlungen mit der römischen Kurie und der neue politische Kurs in Preußen führten letztlich zum Ende des Kulturkampfes. Sukzessive wurden die Bestimmungen gelockert, zunächst in zwei Milderungsgesetzen, später in zwei Friedensgesetzen, so dass Leo XIII. am 23. Mai 188 7256 die Auseinandersetzung für beendet erklärte, auch wenn einige Kulturkampfverordnungen, wie etwa die Zivilehe und der Kanzelparagraph