Urs Hafner

Forschung in der Filterblase


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konnten. Sind sie einmal bekannt, fällt es den Kommunikationsabteilungen schwer, die mediale Diskussion über ihre Hochschule unter Kontrolle zu bringen. Mal für Mal steigert sich eine punktuelle Kritik an einzelnen Akteuren oder Abteilungen zur Skandalisierung der gesamten Institution. In jüngerer Zeit waren davon vor allem prominente Lehr- und Forschungsanstalten wie die Universität Zürich, die HSG oder die ETH betroffen. Sie gerieten wegen Vorwürfen professoralen Fehlverhaltens in den Strudel öffentlicher Skandale, die sich monatelang hinzogen und sich dabei sukzessive ausweiteten, sodass in mehr als einem Fall nicht nur die kritisierten Professorinnen und Professoren, sondern selbst die Rektoren zum Rücktritt gezwungen wurden. Hat sich eine Hochschule eine hohe Reputation aufgebaut, fällt der Schaden durch Skandale umso grösser aus.

      Angesichts der schroffen Gegensätze, die das Bild der Schweizer Hochschulen in der heutigen Medienlandschaft prägen, könnte man meinen, die Arbeit in akademischen Kommunikationsabteilungen sei ideal zugeschnitten auf Menschen mit manisch-depressiver Veranlagung. Tatsächlich legen die meisten Kommunikationsprofis aber einen professionellen Pragmatismus an den Tag, als sei die parallele Verbreitung von guten und die Verarbeitung von schlechten Nachrichten die einzig mögliche Normalität der Wissenschaftskommunikation. Vielleicht haben sie damit sogar recht, nur stellt sich dann umso mehr die Frage, warum die institutionelle Wissenschaftskommunikation in Extremen operiert und dabei den grössten Teil des Hochschulalltags, der sich wie in jeder anderen öffentlichen Institution zwischen diesen Extremen abspielt, kaum darstellen kann.

      Wer dieser Frage nachgehen möchte, kommt um Urs Hafners Buch über die Wissenschaftskommunikation von Schweizer Hochschulen nicht herum. Liest man es, versteht man, dass die beiden Bilder der segensreichen und der skandalträchtigen Universität zwei Seiten derselben Medaille sind und sowohl mit den neoliberalen Reformen an Hochschulen als auch mit dem digitalen Wandel der Medien zusammenhängen.

      Hafner nimmt in der hiesigen Forschungslandschaft eine Position ein, die ihn für eine Untersuchung dieses Themas geradezu prädestiniert. Erstens war er von 2007 bis 2014 Chefredaktor des Magazins Horizonte und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit für Sozial- und Geisteswissenschaften des Schweizerischen Nationalfonds. Er kennt damit die Bedingungen der institutionellen Wissenschaftskommunikation aus eigener Erfahrung. Zweitens hat er als Autor für den Wissensbund der WOZ und für das Feuilleton der NZZ auch die journalistische Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Geschehen miterlebt und mitgestaltet. Drittens besitzt er als Historiker und freischaffender Wissenschaftsjournalist die nötige Distanz und Unabhängigkeit für eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Untersuchungsgegenstand.

      Tatsächlich ist dieses Buch von einem intellektuellen Engagement getragen, mit dem Hafner die gegenwärtige Situation der Wissenschaftskommunikation erst geschichtlich einbettet und dann einer systematischen Kritik unterzieht. Er diagnostiziert ein Ungleichgewicht, dem zwei konträre Entwicklungen zugrunde liegen. Zum einen werden Kommunikationsabteilungen von Hochschulen in Nachahmung der privatwirtschaftlichen Corporate Communication stark aufgerüstet, zum anderen die Wissenschaftsressorts unabhängiger Medien im Zuge der Digitalisierung sukzessive ausgedünnt. In der Westschweiz ist dieser Prozess am weitesten fortgeschritten. Während die ETH Lausanne fast zwei Dutzend Vollzeitstellen in ihrer Kommunikationsabteilung hat, beschäftigen die französischsprachigen Tages- und Wochenzeitungen kaum noch Wissenschaftsjournalisten. Dadurch fliessen sowohl die Selbstanpreisungen der Hochschulen als auch die Skandalisierungen universitätsinterner Vorgänge im Internet fast ungefiltert in die Medien. Das polarisierte Meinungsbild hat auch strukturelle Ursachen.

      Urs Hafner legt mit diesem Buch keine abschliessende Bestandsaufnahme, sondern eine anregende Diskussionsvorlage für die künftige Gestaltung der Wissenschaftskommunikation und des Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz vor. Zu diesem Zweck stellt er abschliessend mehrere Forderungen auf, wie sich die Forschung aus der «Filterblase» der aktuellen Wissenschaftskommunikation befreien kann. Sie verdienen eine fundierte Prüfung. Es ist zu hoffen, dass Wissenschaftlerinnen und Praktiker auf dem Gebiet der Wissenschaftskommunikation die von Hafner beklagte Ängstlichkeit ablegen und sich auf eine offene Diskussion seiner Befunde und Korrekturvorschläge einlassen.

      «Caspar Hirschi ist Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität St. Gallen und forscht unter anderem zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik.»

      Prolog: Die Realität des Virtuellen

      Wie wird heute, im digitalen Zeitalter mit seinen Social Media und den kriselnden Massenmedien, Wissenschaft öffentlich? Auf welchen Wegen gelangen in der Schweiz die Forschungsergebnisse zum Publikum, und welche? Erreichen wissenschaftliche Inhalte nun via soziale Netzwerke fast alle Bürgerinnen und Bürger? Kann man Wissen twittern – und wenn ja, welches? Nur das positivistische? Und wieso gilt die Vermittlung akademischen Wissens überhaupt als wichtig? Wenigstens daran besteht kein Zweifel: Mit der sogenannten Wissenschaftskommunikation, die hauptsächlich von den Hochschulen betrieben wird, kümmert sich eine wachsende Branche um den Wissenstransfer in die Öffentlichkeit. Und daneben sind weitere Akteure aktiv: Wissenschaftsjournalistinnen und Forschende. Einige haben sich auf Twitter eine beachtliche Gefolgschaft aufgebaut.

      Auf die sozialen Netzwerke möchte ich hier besonders eingehen, weil sie unsere Kommunikationsgewohnheiten und Mediennutzung verändern. Ich meine vor allem Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, LinkedIn und Blogs – und davon nicht zu trennen die Webseiten, zu denen die Kanäle und ihre mit Bewegtbildern animierten Nachrichten meist führen, ob sie nun von einer Hochschule, einem Medienunternehmen oder von Privatpersonen betrieben werden. Fast jede Nachricht im Web zirkuliert heute zunächst als Tweet, als Post oder vielleicht auch als E-Mail – und fast immer kostenfrei. Das Internet und die Gratisökonomie pflügen den Nachrichtenverkehr um: immer mehr, immer schneller, immer kürzer. Die Bezahlschranken, welche die Medienunternehmen im Netz errichten, haben an der Beschleunigung nichts geändert. Wohin diese uns führen wird, darüber rätseln die Medienauguren. Lange hatten die Optimisten die Oberhand: Das Netz habe jegliche Kommunikation demokratisiert, alle könnten sich nun frei äussern und miteinander austauschen. Mittlerweile überwiegt die Skepsis: Die berüchtigten digitalen Filterblasen führten zur Isolierung der Bürgerinnen und Bürger. Indem sich jeder in seinem eigenen virtuellen Spiegelkabinett einrichte, schotte er sich von der realen Welt ab.

      Es gibt kein Zurück, aber gibt es ein Vorwärts? Manche wollen das Reale ausgerechnet mit dem Virtuellen zurückgewinnen. 2018 präsentierte das Historische Museum Basel aus Anlass von Jacob Burckhardts 200. Geburtstag zusammen mit der Universität die wissenschaftskommunikative 3-D-Installation «Desktop». Indem sich die Besucherin ein klobiges Brillengestell aufsetzte, verband sie sich mit dem Internet, wo sie in eine virtuelle Welt eintauchte. Das Gerät heisst VR-Brille (VR für Virtual Reality) oder auch Artificial-Reality- oder Mixed-Reality-Brille. Jacob Burckhardt, der so originelle wie reaktionäre Historiker des 19. Jahrhunderts, der fast nur mehr Fachhistorikern bekannt ist, bildet die VR-Ausnahme. Die Regel heisst: Sex und Gewalt, vielleicht auch Design und Kunst. Auch wenn heute global nur rund zwanzig Millionen VR-Brillen in Umlauf sind: Gemäss ihren enthusiastischen Promotoren sind sie «the next big thing». Die VR werde Smartphones und Laptops verdrängen, denen sie haushoch überlegen sei. Bald würden wir nur noch mit solchen – natürlich viel angenehmer zu tragenden – Geräten kommunizieren, Musik hören, arbeiten, uns zerstreuen, einkaufen und Massenmedien konsumieren.

      Kann man Burckhardt mit VR in die Gegenwart holen, die Massenmedien für den entlegenen Gegenstand erwärmen, ein junges Publikum für geschichtstheoretische Überlegungen begeistern? Das war der Plan. Sicher ist: Hätte man Burckhardt wie bei seinen letzten Jubiläen eine klassische Museumsausstellung gewidmet, die seinen Schreibtisch, Bilder aus seinem Leben und seine Manuskripte gezeigt hätte, wären die bildungsbürgerlich Interessierten unter sich geblieben. «Desktop» wollte genau das nicht, sondern mithilfe der neuen Medien die Grenzen zum wissenschaftsfernen Publikum überschreiten und diesem die Wissenschaft des Jacob Burckhardt und seiner Historiografie kommunizieren.

      Das Resultat ist zwiespältig. Unverkennbar ist einerseits der Mut, mit der Installation Leute zu erreichen, die zwar nicht mit Burckhardt, aber mit Virtual Reality vertraut sind – also ein jüngeres und technikaffines, vermutlich überwiegend männliches Publikum. Allerdings bezwang das mit