Urs Hafner

Forschung in der Filterblase


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zur Partizipation

      Wenn eine Professorin einen Tweet mit Link zu einem ihrer Paper oder in einer Zeitung einen Artikel veröffentlicht, wenn die Kommunikationsstelle einer Universität eine Medienmitteilung publiziert oder den Kurzfilm zu einem neuen Labor auf YouTube hochlädt, wenn ein Massenmedium über ein neues Forschungsresultat oder die Verleihung eines Wissenschaftspreises berichtet, wenn schliesslich Forschende sich mit anderen Forschenden oder mit Laien über ihre Arbeit unterhalten: Dann werden in der einen oder anderen Weise Wissenschaft und Wissen vermittelt und – kommuniziert. Die Wissenschaftskommunikation ist in vieler Munde, der Begriff deckt ein weites Feld ab. Er ist also unscharf. Wer sich mit anderen über Wissenschaftskommunikation unterhält, kommt nicht umhin, den Begriff zu klären. Zuweilen wird er gar mit Kommunikationswissenschaft verwechselt: Dann ist die babylonische Verwirrung garantiert. Der Begriff fordert von seinen Benutzerinnen und Benutzern also definitorische Klärung ein, mithin kommunikatives Handeln im Sinne des Sozialphilosophen Jürgen Habermas: Was meinen wir und warum, wenn wir zu anderen von Wissenschaftskommunikation reden?2

      Der Kommunikationswissenschaftler Mike S. Schäfer, eine der führenden Stimmen an der Forschungsfront zur Wissenschaftskommunikation, hat folgende Definition aufgestellt: «Wir verstehen Wissenschaftskommunikation als alle Formen von auf wissenschaftliches Wissen oder wissenschaftliche Arbeit fokussierter Kommunikation, sowohl innerhalb als auch ausserhalb der institutionalisierten Wissenschaft, inklusive ihrer Produktion, Inhalte, Nutzung und Wirkungen.»3 Die Definition besagt, dass sowohl interne und externe, also nach aussen gerichtete Wissenschaftskommunikation, als auch Wissenschaftsjournalismus, Wissenschafts-PR und schliesslich auch Wissenstransfer und Wissenskommunikation zur Wissenschaftskommunikation zählen. Kurzum: Alles, was kommunikativ irgendwie mit Wissenschaft zu tun hat, fällt unter Wissenschaftskommunikation, selbst die Versuche der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ihr Wissen nicht nur einem breiteren Publikum, sondern auch fachfremden Kollegen näherzubringen.

      Diese Definition geht zu weit. Wenn fast alles Wissenschaftskommunikation ist, verschwinden die Grenzen und ist am Ende fast nichts mehr Wissenschaftskommunikation. Der Makel der Definition besteht nicht zuletzt darin, die Unterschiede zwischen erstens den Texten und Produkten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, zweitens der Public Relations und drittens des Wissenschaftsjournalismus zu verwischen. Die drei Felder unterscheiden sich kategorial. Die verschiedenen Akteure, nämlich die Wissenschaftlerin, der für ein Massenmedium arbeitende Wissenschaftsjournalist und die Wissenschaftsjournalistin, die in einer Hochschulkommunikationsabteilung angestellt ist, haben je unterschiedliche Kommunikationsmotive und -interessen. Daher sind ihre Äusserungen voneinander abzugrenzen. Als Wissenschaftskommunikation bezeichne ich nur die Anstrengungen öffentlicher – theoretisch: auch privater –, sich mit Wissenschaft und Forschung beschäftigender Institutionen, die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeiten und Resultate zu informieren, die klassische PR eben.

      Die Wissenschaftskommunikation ist mit den PR und dem Marketing Teil der Corporate Communication, der Unternehmenskommunikation einer Institution. Während Letztere sich mit der internen und externen Kommunikation von allem Möglichen beschäftigt, etwa dem Budget, der Strategie, Personalia und Kooperationen – und diese Kommunikation erfolgt selbstredend im Interesse der Institution –, kümmert sich die Wissenschaftskommunikation nur um die Wissenschaft und Forschung der Institution, traditionell um deren Resultate. Dem Begriff eignet ein Moment neutraler Vermittlung und Übersetzung: Die Wissenschaftskommunikation informiert die Öffentlichkeit zwar nicht unabhängig, aber sachlich korrekt über das Tun der Forschenden. Sie sagt wertfrei, was Sache ist, und gilt als das Gegenteil von Fake News. Dass sie Teil der PR ist, der beispielsweise auch das Marketing unterstellt ist, geht oft vergessen.

      Die Grenzen zwischen Wissenschaftskommunikation, PR und Marketing sind fliessend. Wenn etwa die Kommunikationsabteilung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) Studierende, oder wenn eine Hochschule Maturanden mittels der Berichterstattung über Wissenschaften dafür begeistern will, künftig vom Angebot der Institution Gebrauch zu machen, also sich um finanzielle Unterstützung zu bewerben oder ein Studium aufzunehmen, dann geht Wissenschaftskommunikation in das Marketing über und umgekehrt. Bezeichnenderweise ist in diesem Fall die Rede von «Kunden». Wenn aber die Hochschule mit passgenauen Aktivitäten in den sozialen Netzwerken, etwa mit hübschen Stimmungsbildern vom Hauptgebäude der Institution, möglichst talentierte und wohlhabende Studierende aus dem Ausland akquiriert, um so ihre Stellung im Konkurrenzkampf zu verbessern, ist das nicht weniger Marketing, als wenn die Weiterbildungsabteilung mit Inseraten um zahlungskräftige Absolventen ihrer MAS-Kurse buhlt. Der Unterschied zwischen Marketing und Wissenschaftskommunikation ist den meisten Hochschulen bewusst: Ersteres ist Werbung und Reklame, Letztere vermittelt quasi objektiv Resultate. Selbst wenn die beiden Bereiche auf dem Organigramm der gleichen Einheit angehören, sind sie räumlich und organisatorisch getrennt – was natürlich nicht ausschliesst, dass die Wissenschaftskommunikation dennoch im Dienst des Marketings erfolgt.

      Ebenfalls keine Wissenschaftskommunikation liegt vor, wenn etwa der SNF die Mitarbeiterinnen seines Generalsekretariats über seinen Betriebsausflug orientiert oder seine Beitragsbezüger über ein neues Gesuchsformular – nur schon aus dem simplen Grund, weil es nicht um wissenschaftliche Inhalte geht. Das rechtzeitige und korrekte Ausfüllen des richtigen Formulars mag, falls die Handlung eine finanzielle Unterstützung zur Folge hat, die wissenschaftliche Arbeit überhaupt erst ermöglichen oder erleichtern, hat aber mit Forschung nichts zu tun. Die Wissenschaftskommunikation der Kommunikationsabteilung adressiert traditionell die breite Öffentlichkeit, während die institutionelle Kommunikation sich oft nur an die interne Belegschaft richtet oder beispielsweise an den Auftrag- oder Finanzgeber. Die Ausdifferenzierung der Zielpublika der Kommunikation ist eine neuere Erscheinung; in ihren ebenfalls noch nicht weit zurückliegenden Anfängen hiess die «Communication» oder «Com» oft einfach Presseabteilung oder Pressedienst, weil die Massenmedien der mit Abstand wichtigste Adressat waren.

      Die adressierte Öffentlichkeit der Wissenschaftskommunikation sind im Sinne Habermas’ die Bürgerinnen und Bürger, die sinnierend und diskutierend, also kommunikativ handelnd an der Demokratie teilhaben, ob sie nun die Staatsbürgerschaft besitzen oder nicht. Auch wenn die Wissenschaftskommunikation aus der breiten Öffentlichkeit Teilöffentlichkeiten und Zielpublika herauspickt, die sie erreichen will – seien es die Jungen, die Alten oder die Wissenschaftsfernen –, wird sie die Allgemeinheit, die Res publica, nicht ausschliessen, im Gegenteil. In diesem Punkt treffen sich Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus. Stets hat die Wissenschaftskommunikation ihren Informationsauftrag vor Augen: Sie soll die Bürgerinnen und Bürger befähigen, informiert über die Belange des Gemeinwesens zu streiten und fundierte Entscheide zu treffen. Öffentliche Hochschulen oder Forschungsförderungsinstitutionen sind in der Regel gesetzlich verpflichtet, die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeiten zu informieren.

      Das Universitätsgesetz des Kantons Neuenburg etwa legt fest, dass die Universität durch die Vermittlung ihrer Forschungsresultate dazu beitrage, den Wissensstand der Gesellschaft zu vergrössern (Art. 2, Abs. 3). Der SNF verpflichtet sich in seinen Statuten, dass seine Geschäftsstelle «für die Valorisierung der Förderungstätigkeit […] und für eine wirkungsvolle Kommunikation mit der Öffentlichkeit» sorgt (Art. 27 d).4 Doch selbst wenn die Institutionen gesetzlich nicht dazu verpflichtet wären, würden sie die Informationstätigkeiten ohnehin unterhalten – im Eigeninteresse. Heute betreibt jede Wissenschafts- und Forschungsinstitution eine mehr oder weniger ausgefeilte Kommunikation und Wissenschaftskommunikation. Und auch wenn diese anders als das Marketing nichts verkauft und um keine Kundinnen wirbt, läuft sie letztlich und implizit auf Imagepflege, Reputationsaufbau und mehr oder weniger erfolgreiche Werbung in eigener Sache hinaus.

      Die Wissenschaftskommunikation der Institutionen kann unterschiedlich ausfallen: Sie kann übertrieben sein, sachlich, marktschreierisch, akademisch, poppig, angemessen und so weiter – aber immer wird sie darauf bedacht sein, ihre Institution nicht in einem nachteiligen Licht erscheinen zu lassen. Dies ist das Grundgesetz der Wissenschaftskommunikation, die Teil der PR ist. Sie ist Wissenschaftspromotion. Und sie wird nie dem Willen, den Absichten und Resultaten der Forschenden widersprechen: Sie steht in deren Diensten, sie ist deren Dienstleisterin. In diesem Punkt unterscheiden sich Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus. Wenn