Urs Hafner

Forschung in der Filterblase


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gestalteten Burckhardt-Raum begeben hätte: Es hätte zur Figur Jacob Burckhardt, zum Historismus, zu Burckhardts Renaissance, zur Historiografie, zum Sinn des Historischen, zum Rassismus des 19. Jahrhunderts nicht viel erfahren.

      Zugegeben: Der Kommunikation und Vermittlung von Wissenschaft geht es nicht mehr darum, das unwissende Publikum mit Wissen zu versorgen und sein Bildungsdefizit zu beheben. Die Wissenschaftskommunikation sowie der Wissenschaftsjournalismus sollten weder nach dem Modell des Lexikons noch des Wissensquiz funktionieren. Aber: Was könnten dann das Ziel und der Effekt der Vermittlung von Wissenschaft, einer Ausstellung oder Installation zum Beispiel zu Jacob Burckhardt sein? Wird VR die Wissenschaftskommunikation erobern? Ich riskiere keine Prognose. Mein Buch hält den Stand der Wissenschaftskommunikation in der Schweiz fest. Die Zukunft wird weisen, was die Analyse taugt.

      Zuerst wird Definitionsarbeit geleistet: Da die Begriffe Wissenschaftskommunikation, Wissenschaftspopularisierung und Wissenschaftsjournalismus nicht trennscharf benutzt werden, versuche ich zu klären. Das Kapitel öffnet zudem den historischen Raum: Wissenschaftskommunikation ist nicht neu. Ihre Anfänge datieren ins 19. Jahrhundert, als es noch keine Kommunikationsabteilungen gab, als aber prominente Professoren insbesondere die Naturwissenschaften popularisierten. Danach wende ich mich dem Verhältnis von Wissenschaften und Öffentlichkeit in Wissensgesellschaften zu. Die Bestimmung des Verhältnisses ist grundlegend für dieses Buch: Wenn die Entstehung der Demokratie und der Wissenschaften miteinander verknüpft sind, wie der Sozialphilosoph Jürgen Habermas behauptet, dann ist die Kommunikation der Wissenschaften mit der Res publica bedeutsam. In diesem Kapitel wird diskutiert, ob die beiden Systeme – Wissenschaft und Politik – überhaupt miteinander kommunizieren können und wozu diese Kommunikation gut sein soll. In der Schweiz ist in der politischen Sphäre eine ganz besondere Vorstellung von Bildung, Wissenschaft und Forschung dominant. Es regiert der Pragmatismus.

      Weiter werden die Hochschulen beziehungsweise ihre Kommunikationsabteilungen ins Visier genommen. Sie sind in der Schweiz die wichtigsten Produzentinnen von Wissenschaftsnews. In den letzten zwanzig Jahren haben sie einen rasanten Aufstieg erlebt. Manche besitzen gar eine Videoabteilung und ein Fernsehstudio. Ich präsentiere drei für meine Fragen aufschlussreiche Fälle: die Universitäten St. Gallen, Tessin und Basel. St. Gallen ist eine Vorreiterin der multimedial-digitalen Kommunikation; viele Abteilungen würden gerne so produzieren. Die kleine Università della Svizzera italiana (USI) arbeitet nach einem neuen Konzept, das die Kommunikation nahtlos in die Wettbewerbsstrategie der Universität einbindet; auch dies schwebt nicht wenigen Hochschulen als Ideal vor. Basel schliesslich, eine mittelgrosse Volluniversität, setzt mit breiter Themenpalette pragmatisch auf den digitalen Wandel. Ihre Wissenschaftskommunikation steht für die der meisten Universitäten: Sie präferiert einen journalistischen Ansatz, der seine Grenzen am Ruf der Institution findet, der keinen Schaden nehmen darf. Zudem werfe ich einen Blick auf das «System Westschweiz» und die Fachhochschulen. Nicht zuletzt präsentiere ich Zahlen zur Social-Media-Kommunikation der universitären Hochschulen.

      Es zeigt sich: Die Reputation der Hochschulen steht über allem. Hat die Studentin noch vor zwanzig Jahren ihr Fach an einer Universität belegt, so studiert sie heute bei einem «UZH-Forscher». Das Branding der Hochschulen – UZH steht natürlich für Universität Zürich – und die Hervorhebung ihrer Forschungserfolge gehen einher mit ihrer unternehmerischen Profilierung und dem verschärften Bildungswettbewerb. Auf kommunikativer Ebene stechen die Institutionen des Bundes, die Eidgenössischen Technischen Hochschulen, hervor. Die neuen Möglichkeiten werden von den Wissenschaftskommunikatoren nicht nur als Chance und Bereicherung, sondern auch als Überforderung wahrgenommen. Eine mögliche Antwort darauf ist: Masse. Es sieht so aus, als ob der Bann der Quantität heraufzöge: «Post it or perish!» – um die berüchtigte, mittlerweile selbst von Forschungsförderungsorganisationen unter Beschuss geratene Wissenschaftlerdevise «publish or perish» zu paraphrasieren.

      Heute ist die Wissenschaftskommunikation in der Öffentlichkeit viel stärker präsent als der üblicherweise auf die Naturwissenschaften ausgerichtete Wissenschaftsjournalismus. Diesem widmet sich das Kapitel «Unter Druck: Der Wissenschaftsjournalismus»: Wie ist er in der Schweiz aufgestellt, wie geht er den Umbruch in den Medien an? Dass der Wissenschaftsjournalismus mit Existenznöten kämpft, ist kein neuer Befund, macht diesen deswegen aber nicht weniger akut. In der Demokratietheorie der Gewaltenteilung kommt dem Wissenschaftsjournalismus eine wichtige Funktion zu: Er soll den Bürgerinnen und Bürgern dabei helfen, darüber zu diskutieren, welche Forschung die Gesellschaft braucht. Und er sollte das Forschungsmanagement aufmerksam beobachten.

      Schliesslich werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die selbst Wissenschaft unter die Leute bringen, porträtiert. Ihre Tätigkeit wird vom Aufstieg der sozialen Netzwerke begünstigt. Manche Professorinnen setzen auf Twitter, andere auf Blogs und Webportale. Die Forschenden erzielen zum Teil erstaunliche Reichweiten, und sie kommen direkt mit den Medien in Kontakt, ohne die Vermittlung von Kommunikationsprofis. Allerdings zeigt sich, dass sie die nichtakademische Öffentlichkeit in der Regel kaum erreichen.

      Das Fazit ziehe ich in Form von vier Thesen: Die konstatierten Sachverhalte sowie die Lösungsvorschläge werden provokativ zugespitzt. Sie sollen die Realität transzendieren. Drei Begriffe sind zentral: Reputationsmanagement, Erwartungsüberschuss, Reflexionswissen. Sie verdichten die Mängel wie auch das Potenzial der Wissenschaftskommunikation und des Wissenschaftsjournalismus. Wahrscheinlich stärkt die intensivierte Nutzung der sozialen Netzwerke das Erscheinungsbild der Hochschulen. Für das vertiefte Verständnis der Wissenschaften in der Öffentlichkeit leisten die Social Media aber wenig. Dafür bräuchte es einen radikalen Wissenschaftsjournalismus.

      Wozu soll die Kommunikation der Ergebnisse der Wissenschaften, also die an die Öffentlichkeit gerichteten Mitteilungen zur Praxis der Forschung, gut sein, wenn nicht für die Gestaltung einer für alle lebenswerten Gesellschaft? Zu glauben, dieses Ziel erreichten die Wissenschaften und ihre Verwalter von sich aus, hiesse einmal mehr, einer technokratischen Fantasie aufzusitzen – wie es die Apostel der Digitaltechnik tun, wenn sie verkünden, die «Science» werde mit «Big Data» die Demokratie retten. Plato schwebte ähnliches vor, einfach ohne Netz. Es ist komplizierter. Der Historiker Walter Scheidel hat kürzlich zu bedenken gegeben, dass vielleicht bald eine «biomechatronisch» optimierte Elite über die Normalsterblichen herrschen werde.1 Die Segnungen der Technik kommen nicht allen zugute. Es ist umgekehrt: Wenn schon, müssen die Bürgerinnen und Bürger die Demokratie retten. Die Wissenschaften können ihnen dabei nur helfen, wenn sie sich ihrerseits helfen lassen von den Kommunikatorinnen und Journalisten.

      Dieses Buch hat den Anspruch, eine dichte Beschreibung der wissenschaftskommunikativen Landschaft der Schweiz zu liefern. Zum einen schöpfe ich aus meiner langjährigen Erfahrung als Wissenschaftsjournalist und Wissenschaftskommunikator (so habe ich von 2007 bis 2014 für den Schweizerischen Nationalfonds die Öffentlichkeitsarbeit für die Sozial- und Geisteswissenschaften verantwortet). Zum anderen habe ich für diese Studie über dreissig Interviews geführt, überwiegend mit den Kommunikationschefs von Schweizer Hochschulen, dazu mit Wissenschaftsjournalisten und kommunikationsaffinen Professorinnen. Ergänzend habe ich unter den Hochschulen eine Umfrage zum Social-Media-Gebrauch gemacht sowie ihre Webseiten, sozialen Netzwerke und Wissenschaftsmagazine analysiert (siehe Anhang). Vier der Interviews habe ich in San Francisco, Berkeley und Stanford geführt. Die letzten Recherchen und der Abschluss des Buches erfolgten in San Francisco.

      Dank der Unterstützung von Swissnex San Francisco, einer Einrichtung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation, haben viele Kommunikationsstellen von Schweizer Hochschulen den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft. Ich meinerseits bin Swissnex dankbar für die Benutzung seiner Online-Umfragen sowie die freundliche Betreuung vor Ort und die Begleichung meiner Mietkosten. Apropos Geld: Dieses Buch ist grosszügig von der Gebert Rüf Stiftung finanziert worden. Für die Druckkosten ist unkompliziert die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften aufgekommen. Namentlich geht mein herzlicher Dank an: Michael Bürgi, Jon Mathieu, Marco Vencato und Mirjam Janett für das Gegenlesen und Kommentieren des Manuskripts, Philipp Dubach für Hinweise auf die US-Ökonomen-Blogszene, Sheila Fakurnejad für die Vermittlung der Kontakte in San Francisco und schliesslich alle Interviewpartnerinnen und -partner für die Zeit, die sie sich genommen haben.