Philippe Rogger

Geld, Krieg und Macht


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Begehren nach einer aussenpolitischen Partizipation vermutlich einem generellen Bedürfnis der Untertanen in den untersuchten Gebieten. So äusserten die Zürcher Untertanen im Anbringen vom Jahr 1513 die Bitte an die Obrigkeit, «den herren und frömbden kriegen müssig zu(o) gand, so vestest man könn und möge.»314 Doch gelang es dem Rat, das Begehren abzuweisen, indem er erklärte, man habe «sich von andern Eidtgnossen nit können sündern».315 Erst mit den Kappelerbriefen, knapp zwanzig Jahre später, sah man sich schliesslich auch in Zürich gezwungen, den Vogteien und Ämtern ebenfalls eine institutionalisierte Mitsprache in Bündnisfragen einzuräumen.316

      3

      In allen vier Orten wurde die verfassungsmässige Begrenzung der städtischen Landesherrschaft thematisiert. Die Aufständischen wehrten sich gegen den wachsenden Herrschaftsanspruch entgegen den althergebrachten Freiheiten und Rechten der Gemeinden. In Bern, Luzern und Solothurn wurden aus diesem Grund Freiheitsbriefe für die Gemeinden ausgestellt. So erhielten in Luzern Willisau und Entlebuch vertragliche Zusicherungen, 317 während es in Bern vor allem die Oberländer Gemeinden waren, die nachdrücklich auf ihre althergebrachten korporativen Freiheiten pochten. Allein für das Obersimmental wurden vier Urkunden ausgestellt, und schon im Juli 1513 erreichte die Gemeinde die Zusage, dass den Beschwerden gegen die «nüwen zusa(e)tze» ihres alten Landrechts entsprochen würde.318

      Am weitesten ging die Klärung der Stadt-Land-Beziehung in Solothurn. Dort stand neben dem Burgrecht, dem Gerichts-, Steuer- und Jagdwesen auch die Frage nach der Ablösung der Leibeigenschaft zur Debatte.319 Die Solothurner Untertanen erhoben damit als einzige eine Forderung, die nicht mit dem alten Recht, das seit den Arbeiten von Günther Franz als definitorisches Merkmal des bäuerlichen Widerstands im Spätmittelalter gilt, 320 zu legitimieren war. Die wirtschaftliche Last, mit der die Leibeigenschaft um 1500 primär verbunden war, sollte aufgehoben werden. Im Unterschied zu Solothurn besass die Leibeigenschaft in den anderen Orten keine nennenswerte Bedeutung mehr.321 Mit Verweis auf ihre Nachbarn forderten die solothurnischen Untertanen deshalb, ihre Herren «wellent die eigenlut so in iren hauchen vnnd nidren gerichten gesessen sind geben abzelo(e)sen vnnd halten wie min hernn von Bernn gemacht hant mit iren eignen luten in der herschafft Bipp der burgrechtz vnd eigenschafft halb».322 Im Verlauf der Aufstände erreichten sie schliesslich, dass die Ablösungssumme der Leibeigenschaft bindend festgelegt wurde.323

      In Zürich verzichteten die Untertanen auf die Ausstellung von vertraglichen Zusicherungen. Das Verhältnis zwischen Stadt und Land war seit den Waldmannschen Spruchbriefen aus dem Jahr 1489 weitgehend geklärt.324 Dennoch erachtete man es als notwendig, die Obrigkeiten im Mailänderbrief – sozusagen als regulatorischer Nachschub zu den Spruchbriefen – pauschal auf die Achtung des alten Herkommens zu verpflichten.325

      Weder in Bern, Luzern, Solothurn noch in Zürich liess es der Rat auf eine militärische Kraftprobe ankommen. Vielmehr zeigten sich die Obrigkeiten zu weitgehenden Konzessionen bereit. Denn auch wenn die Aufständischen die obrigkeitlichen Kompetenzen (Aussenpolitik) teilweise stark infrage stellten, verzichteten sie darauf, grundlegende Reformen des politischen Systems einzufordern. Möglicherweise erschwerte auch die stark variierende Rechtsstellung der einzelnen Gemeinden die gemeinsame Formulierung eines weitergehenden politischen Programms. Da sich die Gemeinden mit der Durchsetzung ihrer partikularen Positionen begnügten, 326 blieb der Herrschaftsanspruch der Städte über ihr Territorium in der Folge weitgehend unangefochten. So sollten beispielsweise die Luzerner Ämter nach dem Wortlaut der Einigung «den eid so sy jarlichen jren herren, unnsern eidtgno(ssen) von Lucern swerrent trülich halltten».327 Das Vorgehen der luzernischen, bernischen, solothurnischen und zürcherischen Gemeinden während der Pensionenunruhen widerspricht somit der Beobachtung Peter Blickles, dass ländliche Gemeinden in Konfliktlagen dazu tendieren, die autonomen Bereiche institutionell mit der Forderung nach einer territorialen Repräsentation (Landstandschaft) weiter abzusichern.328 Für die Schweizer Geschichte stellt dieser Befund zu den Pensionenunruhen indessen keine Ausnahme dar, denn kommunale Staaten beziehungsweise Republiken kennen im Unterschied zu Fürstentümern und Monarchien allgemein keine ständische Repräsentation.

      1513–1516 wurde die Verfassung nicht infrage gestellt.329 Vielmehr verknüpften die Einigungsverträge den Anspruch der Gemeinden auf ihre althergebrachten Freiheiten mit den massiven Verteilungsungerechtigkeiten der Einkünfte und der Lasten zwischen den obrigkeitlichen Pensionären einerseits und der reislaufenden Bevölkerung andererseits, die ihr Leben gegen vergleichsweise geringes Geld in Italien aufs Spiel setzte. Exemplarisch beklagt der Einigungsvertrag von Luzern vom 21. Juli 1513 deshalb, «wie ein zitt daher, unnd je lennger jemer iren herren unnd obern, mitt fürsten und herren durch gu(o)tts gelltts und eignen nutzes willen, pu(e)ntüss und vereinnung darhar kommen, das man den selben hillfflich sin, und zu(o) zitten krigen müssent, sy die iren da hin schicken, das sy umm ir su(e)n fru(e)nnde unnd ander lu(e)tt kommen».330 Den höchsten Blutzoll hatten die Untertanen zu entrichten, wobei das Zitat die Perspektive der Väter widerspiegelt, die ihre Söhne (also ihre Erben und Arbeitskräfte) in den Solddiensten verloren.331

      7 Zusammenfassung

      Die Aufstände in Bern, Luzern, Solothurn und Zürich weisen hinsichtlich Ursachen, Verlauf und Akteure Unterschiede auf. Den Bewegungen gemeinsam war jedoch ihre Kritik am Solddienst, an den geheimen Praktiken der politischen Einflussnahme (Pensionen) und an der obrigkeitlichen Herrschaftsintensivierung.

      In allen vier untersuchten Untertanenprotesten zogen tausende Aufständische vor die Zinnen ihrer Hauptstädte. Auslöser für die Unruhen bildeten jeweils Gerüchte über angebliche militärische Niederlagen, hohe Opferzahlen und geheime Pensionenzahlungen, wobei den politischen Eliten oder militärischen Führungspersonen Verrat und Bestechlichkeit vorgeworfen wurde. Insbesondere die französischen Praktiken der politischen Einflussnahme mittels Pensionen nach dem eidgenössischen Sieg in Novara vom 6. Juni 1513 und den Ereignissen im Umfeld der Schlacht von Marignano am 13./14. September 1515 hatten in den vier Städteorten für Empörung gesorgt. Die rasche Verbreitung der Gerüchte in der Eidgenossenschaft, die die zahlreichen Vergehen der politischen und militärischen Eliten zum Inhalt hatten, zeugt von gut funktionierenden Informationssystemen. Über diese Kommunikationszusammenhänge und die Kommunikationswege zwischen den Aufstandsbewegungen in den verschiedenen Orten geben die Quellen jedoch keinen Aufschluss. Briefe oder andere schriftliche Dokumente sind nicht überliefert (sofern solche überhaupt existierten). Zu vermuten ist, dass bei der Verbreitung von Gerüchten die örtlichen Wirtshäuser eine zentrale Rolle einnahmen.332 Es ist auch anzunehmen, dass die geografische Nähe der Aufstandsgebiete (v.a. Solothurn, Bern und Luzern) die Kommunikation zwischen den Untertanen begünstigte und ein teilweise koordiniertes Vorgehen der Aufrührer ermöglichte. Seit Beginn der Erhebungen lassen sich personale Verknotungen feststellen, so etwa als Solothurner Untertanen vor den Mauern Luzerns oder Berner Untertanen vor den Toren Solothurns erschienen und sich dem Protest anschlossen. Im Zusammenhang mit dem Aufstand in Solothurn lässt sich feststellen, dass sich einzelne Akteure (Sässeli, Löwenstein) zeitweilig in Frankreich aufhielten und in verschiedenen Orten (Bern, Luzern) den Protest mit Aussagen über die angeblich verräterischen Umtriebe der Obrigkeit gezielt befeuerten. Ähnliches lässt sich auch 1515 im Zusammenhang mit den Unruhen in Zürich beobachten, als der habsburgische Kaiser seinen Agenten Reichenbach in die Eidgenossenschaft entsandte. Ob es sich im Falle Sässelis und Löwensteins ebenfalls um Agenten handelte, die von einer fremden Macht beauftragt worden waren, oder ob die beiden auf eigene Faust agierten, lässt sich mit dem überlieferten Quellenmaterial nicht beantworten. Geheime Treffen, wie etwa dasjenige in Plombières, an dem unter anderem der Berner Dittlinger, der Luzerner Ratzenhofer, der Solothurner Löwenstein und der Basler Kalbermatter teilgenommen hatten, verdeutlichen jedoch, dass die ortsübergreifenden Verflechtungen der Akteure für die Widerstandsbewegungen eminent waren.

      Die Anführer der Aufstände sind uns nur in Luzern (Mieschbühler und Heid) und Zürich (Schufelberger) bekannt. Lediglich im Fall von Mieschbühler lassen sich Mutmassungen über die persönliche Motivation anstellen (persönliche Feindschaft mit dem Willisauer Schultheissen). Über politische Einstellungen der Anführer, deren Haltung gegenüber dem Sold-