Philippe Rogger

Geld, Krieg und Macht


Скачать книгу

nun allerdings gänzlich dem Rat. Das Strafmass fiel vergleichsweise mild aus. Onoffrius Setzstab, der Hauptangeklagte, verlor seine Ehre, hatte die empfangenen Kronen der Obrigkeit auszuhändigen und eine Busse von 200 Kronen zu entrichten. Dasselbe Urteil wurde auch über die Angeklagten Hans Haldenstein und Clewi Kienast ausgesprochen, während die übrigen Gefangenen gegen Urfehde und Bürgschaft freikamen. Die Fortführung der Prozesse wurde auf den 7. Januar 1516 angesetzt.285 Mit dieser Pause zeichnete sich eine Wende im Konflikt ab.

      Zwischenzeitlich entfernte die Obrigkeit Zunftmeister Heinrich Winkler, welcher mit den Aufständischen kollaboriert haben soll, aus dem Rat.286 In den Augen von Stumpf war er «den puren das krefftigest liecht».287 Gleichzeitig initiierte die Obrigkeit einen juristischen Diskurs, der darauf abzielte, die Interpretation des geltenden Pensionenverbots der Untertanen zu demontieren. Ins Zentrum der Auseinandersetzung rückte dabei einmal mehr die Frage, ob der Bezug von Pensionen zuhanden der Stadtkasse – um die es in den Prozessen vorwiegend ging – im Widerspruch mit der geltenden Pensionenordnung stehe. Mit der grundsätzlichen Verneinung dieser Frage entzog der Rat dem Protest der Landleute das juristische Fundament und jegliche strafrechtliche Legitimität der ausgesprochenen Urteile. Man las den Untertanen nicht nur das 1513 von Stadt und Land beeidete Pensionenverbot vor, sondern verwies sie auch auf Artikel 14 der Waldmannschen Spruchbriefe, der besagt, «dz min herren mugint pensionen nemen in ir statt seckel on verhindert der vssern».288 Dieser Argumentation hatten die Untertanen nichts entgegenzusetzen. Nach einer kurzen Auszeit erklärte die Verhandlungsdelegation am 9. Januar kleinlaut, sie «syent ouch nit hye, dz sy begerint herren zesind».289

      Beide Seiten waren nun daran interessiert, den Konflikt möglichst rasch beizulegen. Der zweifache Druck, unter dem die Verhandlungsdelegation der Landschaft stand, machte sich dabei jedoch erneut bemerkbar: Einerseits forderten die Aufständischen nach wie vor, «dz die vßgestellt werdint, so gellt genomen habint on erlouben».290 Andererseits verlangten sie, «dz min herrn in etlichen weg inen begegnint, damit wen sy heym komint, dz sy dagegen ouch etwas gu(o)ts erlangen mugint».291 Ganz ausgestanden war der Konflikt für die Obrigkeit aber noch nicht. Die Aufständischen hielten sich nach wie vor in der Stadt auf, und es zirkulierten aufrührerische Reden. So wurden Drohungen laut, «ein fur in die statt zestoßen vnd biderben luten villicht vber die buch zu(o) louffen».292 Davon liess sich der nunmehr wieder vollzählig tagende Rat allerdings nicht beeindrucken.293 Er begann am 9. und 10. Januar damit, die verurteilten Zürcher zu rehabilitieren (Ziegler, Füssli und Konrad Engelhard), obwohl dieses einseitige Vorgehen den Bestimmungen des «Anlasses» widersprach.294 Zudem erteilte die Obrigkeit Rudolf Rahn und Cornel Schultheiss die Erlaubnis, nach Zürich zurückzukehren.295 Am 11. Januar übergaben die offenkundig verunsicherten Untertanen dem Rat ihren Kompromissvorschlag zur Lösung des Konflikts. Sie verlangten den vereinbarten Anteil an den Bussengeldern zur Deckung ihrer angefallenen Kosten (1), die Amtsunfähigkeit der Verurteilten beziehungsweise noch zu Verurteilenden (2) und eine generelle Amnestie für die Untertanen (3).296 Die Obrigkeit stimmte dem Vorschlag zu und bezahlte den Untertanen 4500 Pfund (5000 hatten die Aufständischen verlangt).297 Am 12. Januar 1516 kam der sogenannte Mailänderbrief zustande, mit dem die Unruhen definitiv beigelegt wurden.298 Einzelne Klagen, die im Anschluss an die Einigung aufgebracht worden waren, stellten für diesen Ausgleich zwischen Obrigkeit und Untertanen keine ernsthafte Gefährdung dar.299 Die herrschenden Machtverhältnisse in Zürich wurden mit dem Mailänderbrief nicht infrage gestellt, und die Obrigkeit erholte sich rasch von den Aufständen. Bereits am 26. Januar schickte Winterthur, das mit Stein am Rhein den Mailänderbrief im Namen der Landschaft gesiegelt hatte, 300 seinen Anteil der Entschädigung an die Stadt zurück und erklärte, «dz si nie willens gewesen sÿent, vtzit wider min herrn zethu(o)nde».301 Zudem führten alle weiteren Prozesse zu Freisprüchen. Die Rehabilitation von Setzstab, Kienast und Haldenstein (post mortem) erfolgte zwei Jahre später (1517).302

      6 Die Konzessionen der Obrigkeit – Inhalt der Einigungsverträge

      Auch wenn sich die Aufstände hinsichtlich Verlauf, Trägern, Ereignissen und Konfliktlösung unterscheiden, zeigt bereits ein flüchtiger vergleichender Blick auf die Texte der Einigungsverträge, dass der Untertanenprotest gegen das Pensionenwesen mit der Verteidigung der alten Freiheiten gegen herrschaftliche Durchdringung verknüpft worden war.303 Eine Ausnahme stellen einzig die Ereignisse in Zürich 1515 dar. Die strukturelle Ähnlichkeit der Verträge verdeutlicht die folgende Tabelle.

image image

      Tabelle 1: Einigungsverträge 1513–1516304

      Der Inhalt der Einigungsverträge lässt sich grob in drei Themenbereiche zusammenfassen, die im Folgenden knapp ausgeleuchtet werden sollen: Ein Pensionenverbot sowie die Bestrafung der Pensionenempfänger und -verteiler (1), das Konsensrecht der Landschaft in Bündnisangelegenheiten (2) und schliesslich die Garantie der korporativen Freiheiten der Gemeinden (3).

      1

      Auf der Berner, Luzerner, Solothurner und Zürcher Landschaft bestand ein breiter Konsens in der Frage nach einer harten Bestrafung der Pensionenbezüger und -verteiler. Ausserdem sollte der heimliche Geldfluss durch ein Pensionenverbot untersagt und die ungleich höhere Gewinnbeteiligung der Obrigkeiten aus dem Sold- und Pensionengeschäft abgestellt werden. Die Untertanen waren sich des engen Konnexes zwischen Pensionen und Aussenpolitik sehr genau bewusst. Entsprechend lautete die Kritik der Luzerner Ämter, dass die Obrigkeiten «mitt fürsten und herren» einzig «durch gu(o)tts gelltts und eignen nutzes willen, pu(e)ndtüss und vereinnung» abschliessen würden.305 Die Luzerner Bestimmung zielte dabei einzig auf die privaten Pensionen ab, das heisst auf die «sunndrer personen pensionen [,] mietten[,] gaben».306 Das Luzerner Verbot orientierte sich an einer Berner Ordnung, die einige Tage zuvor während der Könizer Unruhen erlassen worden war: «lutt einer ordnung unnd geschrifft, so unnser lieben eidtgno(sse)n von Bernn, ouch uff sich genomen». Der Zürcher Mailänderbrief von 1516 wiederholte eine bestehende Pensionenbestimmung, die vorschrieb, dass «kein sondre person […] von niemans überal kein pension, provision, gnad, dienstgelt, miet, gab noch schenki, wie das namen haben möcht, zu(o) irem nutz nit nemen noch empfachen söll, heimlich noch offenlich, in kein wyss noch weg».307 In Solothurn kam es dagegen zu keinem Verbot der Privatpensionen. Trotz Bestrafung der fehlbaren Räte liessen sich die Solothurner Untertanen nicht auf ein von oben angestossenes Pensionenverbot ein und forderten es offensichtlich auch während der Einigungsverhandlungen nicht.308 Der Bezug von öffentlichen Pensionen wurde in keinem der Orte infrage gestellt.

      2

      In Bern wurde die Mitsprache der Landschaft in Bündnisangelegenheiten institutionell verankert. In aussenpolitischen Fragen sollte künftig ein möglichst breiter Konsens zwischen Stadt und Land erreicht werden. Bern verpflichtete sich dazu, «hinfu(e)r mit niemant kein pu(e)ntnu(e)ss, noch einung, darin dan hilf ervordret wurde, anzenemen anders, dan mit der iren von stat und land gmeiner botschaften biwesen, und der selben geha(e)ptem rat.»309 Mit dieser Klausel wurde in der Aarestadt eine bereits gängige politische Praxis (Ämteranfragen) rechtlich abgesichert.310 Für Luzern war die Einmischung der Untertanen in die Bündnispolitik dagegen neu. Die Ämter begehrten im Vertrag vom 21. Juli, dass «söllich pu(e)ndtnüss[,] einungen unnd da by die pensionen, und den eignen nutz, dar umm söllich pünndtnüssen, und einungen gemacht werden abzestellen» seien.311 Die Ämter positionierten sich damit, so von Segesser, «als die Gesammtheit der Unterthanen der Obrigkeit gegenüber als ein gesondertes Subject von Rechten» und verlangten «als solches die Theilnahme an der Entscheidung über Krieg und Frieden, einem wesentlichen Attribute der Hoheit».312 In Luzern wurde den Untertanen mit dieser Klausel zwar keine institutionalisierte Mitsprache in bündnispolitischen Belangen eingeräumt, doch wurde der Abschluss von Soldallianzen mehr oder weniger verunmöglicht und die alleinige Entscheidungsgewalt der Obrigkeit über Krieg und Frieden stark relativiert.313 Obwohl sich