Philippe Rogger

Geld, Krieg und Macht


Скачать книгу

Bündnissen gegen Karl den Kühnen belegt.13 Nach den Burgunderkriegen gewannen diese Transfers an Bedeutung, da sich die eidgenössischen Orte nach den spektakulären Siegen in Grandson, Murten und Nancy 1476–1477 zu wichtigen Rekrutierungsmärkten für Söldner entwickelten. Seither floss sehr viel Geld ins Land.14

      «Sowohl als öffentliche, an offizielle Kassen bezahlte wie als geheime, an Einzelpersonen entrichtete Pensionen zielten sie darauf ab, politische Entscheidungen zu beeinflussen und den ausländischen Kriegsherren den Zugang zu den begehrten eidgenössischen Söldnern zu sichern.»15

      Diese Gelder wurden als Anerkennung für geleistete Dienste und in der Erwartung künftiger Verbindlichkeiten wie Gesandten- oder Vermittlertätigkeit, Mithilfe beim Abschluss von Bündnissen, einer allgemeinen Gewogenheit oder für die Stellung von Söldnern entrichtet.16 Gelang es kriegführenden Parteien nicht, eine Soldallianz mit den Orten abzuschliessen, war schon viel erreicht, wenn diese nicht dem Gegner zuliefen.17 Der Zusammenhang zwischen der gesteigerten Nachfrage nach eidgenössischen Söldnern und dem Aufkommen des Pensionenwesens ist eng.18

      Um 1500 entwickelte sich der Reislauf zu einem Massenphänomen. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts zogen zwischen 50 000 und 100 000 Eidgenossen in die Dienste fremder Kriegsherren, im 16. Jahrhundert waren es bereits gegen 400 000. Für grosse Bevölkerungskreise stellte der Reislauf einen attraktiven Zusatzverdienst dar, obwohl der Einsatz als Söldner für sie und ihre Familien mit hohen Risiken behaftet war. Aufgrund des zunehmenden Bevölkerungsdrucks war die temporäre Auswanderung in Form von Solddienst nicht nur politisch wünschbar, sondern auch wirtschaftlich notwendig (Stettler). Insbesondere die Umstellung im Alpengebiet auf Viehwirtschaft setzte in grösserem Umfang Arbeitskräfte frei.19 Für die hohe Nachfrage nach eidgenössischen Söldnern um 1500 dagegen sind verschiedene Faktoren anzuführen, von denen an dieser Stelle nur die wichtigsten genannt werden sollen. Aufgrund der Ausbildung und Verfestigung grosser territorialer Machtkomplexe europäischer Fürsten und Könige nahm die Nachfrage nach Söldnern zur Verstärkung ihrer regulären Heere stark zu.20 In diesem Zusammenhang wird in der Literatur die taktische Überlegenheit der mit Spiessen und Hellebarden bewaffneten eidgenössischen Gevierthaufen hervorgehoben. Die eidgenössische Kampfweise, welche sich gegenüber den mittelalterlichen Ritterheeren als überlegen erwies, wurde zum Vorbild. Deutsche und italienische Heere haben sie übernommen.21 Die eidgenössischen Knechte hatten ausserdem den Vorteil, dass sie jederzeit in genügender Anzahl verfügbar und vor allem rasch an den jeweiligen Kriegsschauplätzen einsetzbar waren.22 Betrachtet man die geografische Lage der grossen Konfliktherde an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, zeigt sich, dass sich diese oft in direkter Nachbarschaft zur Eidgenossenschaft befanden. So grenzten die Freigrafschaft Burgund oder auch Mailand unmittelbar an eidgenössisches Gebiet. Die Möglichkeit, schnell auf den brennenden Kriegsschauplätzen anwesend zu sein, verschaffte den eidgenössischen Knechten gegenüber den Söldnern aus der europäischen Peripherie wie Irland, Schottland oder Böhmen zweifelsohne einen Wettbewerbsvorteil. Zudem musste den königlichen und fürstlichen Kriegsherren auch daran gelegen sein, die Alpenpässe für Truppenverschiebungen nutzen beziehungsweise den militärischen Alpentransit für feindliche Heere sperren zu können.

      «Die Söldner und die Pässe waren das Kapital der Eidgenossen.»23

      Obwohl die Dienste der eidgenössischen Knechte im Vergleich etwa zu den deutschen Landsknechten vergleichsweise teuer waren, tat dies der grossen Nachfrage keinen Abbruch.24 Um 1500 war die Bündnispolitik der Eidgenossenschaft mithin entscheidend für Erfolg und Misserfolg der rivalisierenden Dynasten.25 Insbesondere Frankreich, das seine Machtansprüche in Neapel und in der Lombardei seit 1494 auch militärisch geltend machte, versuchte mit der Zahlung von Pensionen an die eidgenössischen Orte und an ihre politischen Führungsgruppen, die Politik zu seinen Gunsten zu beeinflussen und sich den Zugang auf die eidgenössischen Gewaltmärkte vertraglich zusichern zu lassen. Soldallianzen regelten die Modalitäten der Sold- und Pensionenzahlungen und legten unter anderem die genaue militärische Hilfeleistung fest. Details der Söldnerrekrutierung wurden fallweise in den sogenannten Kapitulationen festgehalten. Bei diesen Kapitulationen handelt es sich um Werbelizenzverträge, die von der Obrigkeit bewilligt werden mussten.26 Mit den Allianzen gingen auch politische und wirtschaftliche Absprachen einher, von denen die Eidgenossenschaft ökonomisch und politisch profitierte.27 Im Zuge der Burgunder- und Mailänderkriege entwickelten sich die Orte zu bedeutenden Rekrutierungsmärkten für Söldner und wurden somit zu Söldnerlandschaften, 28 wobei es sich jedoch nicht um offene Märkte oder Freihandelszonen handelte, zu denen alle Interessenten Zugang hatten.29 Im Unterschied zum Gewaltmarktbegriff Georg Elwerts, den er in den 1990er-Jahren am Beispiel von Räumen ohne Gewaltmonopol (er untersuchte moderne Bürgerkriege, Kriegsherrensysteme und Räubertum in afrikanischen Gesellschaften) entwickelt hatte, war der Gebrauch der militärischen Gewalt auf den eidgenössischen Gewaltmärkten in der frühen Neuzeit begrenzt und das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage nach den Interessen der Obrigkeiten und Kriegsherren ausgerichtet und reglementiert.30 Mit dem Instrument der Soldallianzen sollten die Söldnerströme kanalisiert und mit Reislaufverboten der freie Reislauf verhindert werden. Mit diesen Massnahmen versuchten die eidgenössischen Obrigkeiten, sich als Solddienstanbieter gegenüber anderen, «privaten» Militärunternehmern auf den eidgenössischen Gewaltmärkten durchzusetzen. Es ist ein signifikantes Merkmal der eidgenössischen Gewaltmärkte, dass die Obrigkeiten in den Orten durch die Soldallianzen eine ähnliche Position einnahmen «wie die grossen deutschen Kriegsunternehmer, die den Herrschern ganze Regimenter und Armeen zur Verfügung stellten.»31 Allerdings fanden die regulatorischen Massnahmen der Orte nicht immer Beachtung, weil die Reisläufer – also jene Eidgenossen, die für die fremden Mächte gegen Sold in den Krieg zogen (mittelhochdeutsch: in «die reis louffen») – häufig ohne Rücksicht auf bestehende Bündnisverpflichtungen oder Reislaufverbote dort ihren Dienst leisteten, wo die Aussicht auf Gewinn (Sold und Beute) am grössten war. 32

      Die wirtschaftlichen Interessen der damaligen Eliten am Solddienst und an den Pensionen waren fundamental für die Praktiken der Aussenbeziehungen. Denn die Söldnerrekrutierung in der Eidgenossenschaft fand auf grenzüberschreitenden Patronagemärkten statt.33 Die königlichen oder fürstlichen Patrons verfügten in der Eidgenossenschaft, wie schon angedeutet, über Beziehungsnetze, bestehend aus Politikern, Söldnerführern und anderen lokalen Agenten, welche die Politik zu ihren Gunsten beeinflussen sollten. Pensionen sind somit auch Ausdruck asymmetrischer Aussenbeziehungen. Durch die Untersuchung der Vorgänge im Umfeld der Pensionenunruhen wird das konkrete Handeln von einzelnen Personen und sozialen Gruppen in grenzüberschreitenden Beziehungen fassbar.34 Die Prozesse im Nachgang der Unruhen verdeutlichen das Ausmass der Verflechtung der eidgenössischen Eliten mit fremden Mächten und den hohen Stellenwert der Patronage in der diplomatischen Praxis um 1500. Ausserhalb des eidgenössischen Kontexts ist die fürstliche Praxis des Pensionengebens jedoch kaum erforscht. Dieser Umstand ist insofern überraschend, als bereits Jean Bodin in Les six livres de la République (Paris 1583) die Bedeutung von finanziellen Mitteln (Tributzahlungen und Pensionen) für die Ausgestaltung der frühneuzeitlichen Aussenbeziehungen betont hatte.35

      Die Verflechtung und die multiplen Loyalitäten der eidgenössischen Magistraten, welche für die Interessen Frankreichs, des Papsts oder des römisch-deutschen Kaisers Politik betrieben, bargen jedoch ein hohes Konfliktpotenzial. Spätestens im Jahr 1500 wurden die Risiken der politisch-militärischen Verwicklung der Eidgenossen in Italien offenkundig, als sich in Novara gleichzeitig eidgenössische Kontingente in den feindlichen Heeren befanden (Verrat von Novara). Im Verlauf der Mailänderkriege wurden die eidgenössischen Orte, so die Beurteilung von André Holenstein, «mit finanziellen, militärischen und auch sozialpsychologischen Folgen einer Grossmachtpolitik konfrontiert, die letztlich die Tragfähigkeit der politischen Verfassung der Eidgenossenschaft und ihrer einzelnen Glieder überforderte.»36 Die Diskrepanz zwischen der militärischen Potenz einerseits und der Unfähigkeit der Orte andererseits, eine kohärente gemeinsame Aussenpolitik zu verfolgen, wurde nach der Vertreibung der Franzosen aus der Lombardei 1512 (Pavierzug) besonders deutlich.

      «Komplexe, divergierende Interessenlagen bei Obrigkeiten wie Untertanen führten