Philippe Rogger

Geld, Krieg und Macht


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in Marignano – schlossen die Orte 1516 den Ewigen Frieden und 1521 eine Soldallianz ab, die letztmals 1777 erneuert wurde. Weitere Soldallianzen der Orte, etwa mit Savoyen (1560, 1577), dem Papst (1565) oder Spanien (1587), kamen im Verlauf der frühen Neuzeit hinzu. Doch stehen die Instrumentalisierung Marignanos durch die Politik und die Persistenz schiefer Geschichtsbilder nicht im Interesse dieser Studie.53 Vielmehr lenken die seit 1474 mit verschiedenen Mächten abgeschlossenen Soldallianzen den Blick auf ein fundamentales Problem der älteren Schweizer Geschichte.

      Gerade in einer Zeit, in der die Staaten ihr Monopol auf die militärische Gewaltanwendung in zahlreichen asymmetrischen Kriegen und wegen der zunehmenden Bedeutung von privaten Sicherheits- und Militärunternehmungen aufzugeben scheinen, gewinnt die Frage nach den historischen Wurzeln der herrschaftlich-staatlichen Kontrolle der militärischen Gewalt eine besondere Aktualität.54

      Von herausragender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang eine veränderte Wahrnehmung des Verhältnisses von Militär, Gesellschaft und Politik.55 Vergegenwärtigt man die Hypothese von Otto Hintze aus dem Jahr 1906, dass alle Staatsverfassung ursprünglich Kriegs- beziehungsweise Heeresverfassung war, und die Tatsache, dass sich in der Organisationsform des Militärs auch die politische Verfasstheit eines Gemeinwesens spiegelt, so ist die Frage nach der Verfasstheit des Krieges auch aus einer historisch-wissenschaftlichen Perspektive eminent.56 Es war Peyer, der mit Nachdruck darauf hingewiesen hatte, dass sich auch in der alten Eidgenossenschaft Heeresform und Staatsform gegenseitig bedingten. Als sichtbare Merkmale dieser Reziprozität nennt Peyer den Verzicht einer kriegerischen Aussenpolitik, die territoriale und organisatorische Straffung der einzelnen Orte und die wachsende Trennung von Regierenden und Regierten sowohl im heimischen Militärwesen als auch im Solddienst bei fremden Mächten.57 Bis zur Reformationszeit kennzeichnete sich das eidgenössische Kriegswesen dadurch aus, folgt man Peyer weiter, dass der Krieg im Spätmittelalter sowohl staatlich-obrigkeitliche als auch «private» Impulse aufwies, wobei beide Aspekte häufig miteinander verwoben waren.58 Es bestand ein Spannungsfeld zwischen Fehde, unstaatlichem, privatem, brauchtümlich geregeltem und staatlich-obrigkeitlichem, durch gesetztes Recht zunehmend geordnetem Krieg. Indessen war die Durchsetzung des staatlichen Krieges laut Peyer nicht denkbar ohne den unstaatlichen Krieg. «Am einen konnte sich, am anderen musste sich jeder kampftüchtige Mann beteiligen. Beides verschaffte auch den breiten Bevölkerungsschichten und vor allem den bäuerlichen Untertanen ein ungewöhnliches Gewicht in den werdenden Staatsgebilden der Orte und zwang die Obrigkeiten zu entsprechender Rücksichtnahme. Die Stärkung der Obrigkeit seit dem 16. Jahrhundert aber sollte nur dank Veränderungen im Kriegswesen möglich werden.»59 Entscheidend in diesem Zusammenhang waren laut Peyer unter anderem die Anstrengungen der Obrigkeit um 1500, den mittlerweile zum Massenphänomen avancierten Solddienst zu kontrollieren. Die Orte zeigten sich bemüht, «ihre in fremde Dienste ziehenden Truppen nicht völlig aus der Hand zu geben, ja geradezu staatliche Hoheitsrechte über sie auszuüben.»60 Die Organisation der fremden Dienste berührt somit die zentrale Frage nach dem staatlichen Gewaltmonopol. Es lag im genuinen Interesse der Obrigkeit, das Tun «privater» Gewaltanbieter zu kontrollieren und in Übereinstimmung mit den obrigkeitlichen Interessen zu bringen, weil der unkontrollierte Söldnerexport ein erhebliches Risiko für die innere Stabilität sowie für die innere und äussere Sicherheit der Orte darstellte.61 Um dieses Geschäft zu kontrollieren, erliess die Obrigkeit Verbote in der Absicht, den freien Reislauf zu unterbinden, den unkontrollierten Wegzug von Arbeitskräften zu verhindern und ihre eigenen Einkünfte als Solddienstvermittler (Pensionen, Sold) zu sichern. Die Versuche der Obrigkeit, den Reislauf zu kanalisieren und unter ihre Kontrolle zu bringen, erwiesen sich jedoch grösstenteils als illusorisch, profitierten doch einflussreiche Familien aus den städtischen Räten selbst in hohem Mass von der starken Nachfrage der Grossmächte nach Söldnern. Bezahlte Kriegsdienste und Aussenbeziehungen wurden um 1500 zunehmend zum Handlungsfeld von multipel vernetzten Militärunternehmern und Geschäftsmännern, die gleichzeitig in den Räten sassen. Sie nutzten die Pensionen, Soldgelder und anderen Ressourcen, die sie als Gegenleistungen für ihre politischen und militärischen Dienste von fremden Mächten erhielten, für den Auf- und Ausbau ihrer Macht. Die obrigkeitliche Sold- und Pensionenpolitik (Verbote) wurde von diesen Kreisen systematisch ignoriert. Sie hatten keinerlei Interesse an einer Einschränkung des Sold- und Pensionenwesens. Freilich stiessen die grenzübergreifenden Ressourcentransfers und Patronagepraktiken bei Teilen der Machtelite und bei Teilen der Untertanen auf Ablehnung. Die Gründe dafür sind vielfältig.

      Zielsetzung dieser Studie ist es nun, die «Verstaatlichung» des Krieges daraufhin zu untersuchen, welche Akteure die Regulierung des Pensionenwesens vorantrieben, welche Interessen sie dabei verfolgten und mit welchen Problemen sie sich konfrontiert sahen. Es stellt sich daran anknüpfend die Frage, welchen geopolitischen Konstellationen und ökonomischen Bedingungen sie begegneten.62

      Am Beispiel der Pensionenunruhen lässt sich das Aushandeln zwischen Obrigkeit und Untertanen über Nutzen und Kosten dieses Verdichtungs- und Dynamisierungsprozesses veranschaulichen. Die klientelistischen Praktiken der Politiker wurden zwischen 1513 und 1516 massiv kritisiert, gerichtlich aufgearbeitet und schriftlich dokumentiert. Das überlieferte Material zeigt auf, wie die grenzübergreifenden Beziehungen von den Klienten und ihren fernen Patrons genutzt wurden. Gleichzeitig wird deutlich, wie wichtig die Ressourcentransfers zwischen Patron und Klient für die inneren Machtbildungsprozesse in den Orten waren. Die Aufständischen wehrten sich, so Valentin Groebner, nicht nur gegen die Verteilungsungerechtigkeit des Sold- und Pensionengeschäfts, welche den obrigkeitlichen Pensionären in den Räten die sicheren Profite (Pensionen), den einfachen Reisläufern jedoch für unsicheren Sold hohe Risiken zuschiebt, sondern sie «verbinden diese Argumente mit der Verteidigung von Gemeinde- und Selbstbestimmungsrechten der Landschaft gegen herrschaftliche Durchdringung.»63 Die inhaltliche Verknüpfung von Verteilungsmodi im Sold- und Pensionengeschäft einerseits und Herrschaftsintensivierung andererseits lässt vermuten, dass der seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert vorangetriebene Söldnerhandel fundamentale Effekte auf «Staat» und Gesellschaft zeitigte.64 Der Untersuchung liegt die These zugrunde, dass das grenzübergreifende Beziehungshandeln der Machteliten die Verdichtung der politischen Macht in den eidgenössischen Städteorten beschleunigte.

      Fragestellung und These sollen in drei Kapiteln untersucht werden. In einem ersten Schritt werden die Aufstände ereignisgeschichtlich aufgearbeitet und die Einigungsverträge vergleichend analysiert (Kapitel II). Danach werden Akteure und Praktiken auf den eidgenössischen Gewalt- und Patronagemärkten knapp skizziert und die städtischen Pensionennetzwerke in Bern, Luzern, Solothurn und Zürich mikrohistorisch dokumentiert (Kapitel III). In einem Schlusskapitel werden die empirischen Befunde interpretiert und synthetisiert (Kapitel IV). Vorab gilt es jedoch, den Forschungsstand zu den Pensionenunruhen sowie die Quellen und Methoden der Untersuchung zu diskutieren.

      3 Forschungsstand zu den Pensionenunruhen

      Die Herrschaft der Orte über ihre Untertanen war um 1500 noch keineswegs konsolidiert. Im Verlauf des Spätmittelalters eigneten sich die eidgenössischen Städte zwar durch Eroberung, Kauf oder Pfandschaft mithin sehr grosse Territorien an, doch musste diese Expansionspolitik mittels Rückgriff auf die Ressourcen des Umlandes abgesichert und finanziert werden. Es kam zwischen den Burgunderkriegen und den Mailänderkriegen deshalb zu zahlreichen Stadt-Land-Konflikten, die häufig unter dem Eindruck einer intensivierten Territorialpolitik und einer gesteigerten Nutzung und Durchsetzung landesherrlicher Rechte standen. Die Folgen der obrigkeitlichen Mächtepolitik lasteten schwer auf den Schultern der Untertanen. Steuern und verstärkte militärische Inanspruchnahme verschlechterten das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertanen.65 Die enge Verknüpfung der Ereignisse zwischen 1513 und 1516 mit dem politischen und militärischen Engagement in Oberitalien, die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit von Nutzen und Kosten aus dem Sold- und Pensionengeschäft und die divergierenden Interessenlagen bei Untertanen und Obrigkeiten erschweren es indessen, die Ereignisse unter einen «klassischen» Stadt-Land-Konflikt zu subsumieren.