Philippe Rogger

Geld, Krieg und Macht


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beeinflusste auch die luzernische Historiografie nachhaltig. Als Quellen dienten ihm Augenzeugenberichte, wobei er sich besonders auf den zur Zeit der Befragung achtzigjährigen Rudolf Lipp stützt.92 Aus seinem Unverständnis gegenüber den Anliegen der Aufständischen macht Cysat als Pensionär Savoyens, Spaniens und Frankreichs93 keinen grossen Hehl. Für ihn steht fest, dass «die puren mitt jrem trutzigen wäsen vnd vngestüme von einem ersamen rhat vil sachen vnd brieffen vßbracht, so jn künftigem vnserm fryen stand vnd gmeinem nutz hette mögen nachtheilig sin vnd zu verkleinerung dienen».94

      Die luzernische Historiografie des 19. Jahrhunderts attestierte den Untertanen ein mittelalterliches Rechtsverständnis. Laut Anton Philipp von Segesser griffen die Aufständischen in Analogie zu Bern «nicht das Subject der Landeshoheit an, verlangten nicht eine democratische Organisation, wodurch sie als Eine Gemeinde mit den Räthen und den Burgern von Lucern die Herrschaft getheilt hätten, sondern sie stellten sich gegentheils als die Gesammtheit der Unterthanen der Obrigkeit gegenüber als ein gesondertes Subject von Rechten; sie verlangten aber als solches die Theilnahme an der Entscheidung über Krieg und Frieden, einem wesentlichen Attribute der Hoheit, eine Theilung der Staatsgewalt ganz im Geiste der mittelalterlichen Anschauungen.»95 Diesem eingeforderten Mitspracherecht in aussenpolitischen Fragen spricht von Segesser indessen jegliche «Ideen von democratischer Gleichberechtigung» ab und sieht das Motiv für die verlangte politische Teilhabe einzig in den «aus solchen Verbindungen hervorgehenden weitern Lasten der Unterthanen».96 Eine andere Perspektive nimmt die 1903 erschienene Arbeit von Theodor von Liebenau zur Geschichte der Stadt Willisau ein. Von Liebenau interpretiert die Unruhen in Willisau, wo die Aufstände auf der Luzerner Landschaft ihren Anfang nahmen, als Folge eines doppelten Interessengegensatzes. Nicht nur seien die Willisauer Stadtbürger «Freunde des Reislaufens» gewesen, die es «gar nicht ungern» gesehen hätten, «wenn der Rat von Luzern mit fremden Fürsten Bündnisse abschloss», sondern gleichzeitig hätten sie «dem neuen Staatsrechte» gehuldigt, das «auf Rechtseinheit, Zentralisation der Verwaltung, Erklärung der Jagd und Fischerei etc. als Regal und Einführung des heimlichen, schriftlichen Gerichtsverfahrens hinzielte».97 Die Willisauer Landgemeinde dagegen, so von Liebenau, «war allen Bündnissen mit fremden Fürsten abgeneigt» und hielt «an dem von den Vätern ererbten Rechte fest.»98 Obwohl von Liebenau 1881 auf die vorhandenen Interessengegensätze innerhalb der Luzerner Stadtbürgerschaft im Verlauf des Zwiebelnkriegs hingewiesen hatte, 99 kommen solche sich partiell überlagernden Interessenlagen von Teilen der Obrigkeit und Teilen der Untertanen in der Untersuchung zu Willisau nicht zur Sprache. Die Vorstellung von der Obrigkeit beziehungsweise von den Aufständischen als jeweils homogene und koordiniert handelnden Interessengruppen fand auch in der Geschichte des Kantons Luzern im 16. und 17. Jahrhundert von Sebastian Grüter aus dem Jahr 1945100 ihren Niederschlag. Diese wich jedoch 1994 mit der unveröffentlichen Lizentiatsarbeit von Peter Spettig über den Zwiebelnkrieg einer differenzierteren Betrachtung. Mit Blick auf die Träger der Unruhen stellt Spettig fest, dass es zwischen den beiden Konfliktparteien laufend zu Umgruppierungen gekommen sein dürfte und es folglich falsch sei, von nur zwei Konfliktparteien auszugehen.101

      Die Forschungssituation zu den Unruhen in Solothurn fällt im Vergleich zu Bern und Luzern deutlich knapper aus.102 Als Erster wandte sich Adolf Lechner 1909 dem Gegenstand ausführlicher zu. Doch wie es der Titel der Arbeit, Solothurnische Nachklänge zum Dijonervertrag von 1513, andeutet, finden die Ereignisse des Sommers 1513 in der Darstellung Lechners nur am Rand Erwähnung.103 Die Arbeit behandelt vielmehr «die eigenmächtigen diplomatischen Betätigungen und militärische Aktionen Einzelner» nach der militärischen Unternehmung der Eidgenossen in Dijon im Kontext von Parteienstreit, Solddienst und französischer Diplomatie, welche Solothurn noch einige Jahre über den Aufstand hinaus in Atem hielten.104 Detailliert beleuchtet dagegen die Studie von Bruno Amiet die Ereignisse in Solothurn in den Jahren 1513.105 In komprimierter Form finden sich seine Ergebnisse in dem 1952 ebenfalls von ihm erarbeiteten ersten Band zur solothurnischen Geschichte.106 Die Bilanz der solothurnischen Kantonsgeschichte in Bezug auf die Wirkung der Unruhen fällt dabei ähnlich nüchtern aus wie für Bern und Luzern: «Wie festgefügt und wie selbstverständlich sonst die rechtliche und politische Ordnung der Stadt in den Augen der Bürger war, zeigt der Umstand, dass unter den Bauernforderungen keine einzige irgend einen Anteil des Landvolks am Regiment, etwa Ratssitze für Bauernvertreter, verlangt hätte.»107 Und das, «obwohl die solothurnischen Knechte, die so oft mit den Bauern der Urschweiz auf den vielen Kriegszügen zusammentrafen, die Einrichtung der Landsgemeinden und das politische Mitspracherecht der dortigen Landleute wohl kennen mussten.»108

      Erheblich mehr Raum als in der Solothurner Geschichtsschreibung nehmen die Unruhen in der Kantonsgeschichtsschreibung von Zürich ein. Auch hier beginnt die Aufarbeitung der Ereignisse im 16. Jahrhundert. Mit Johannes Stumpf, 109 Heinrich Bullinger110 und Hans Füssli111 widmeten sich drei Zürcher Chronisten dem sogenannten Lebkuchenkrieg. Alle drei Darstellungen fokussieren nebst der Ereignisgeschichte insbesondere auf das umstrittene Verhalten der angeklagten Zürcher (Bestechungen etc.). Auffallend dabei ist, dass in keinem der drei Werke der Einigungsvertrag zwischen Obrigkeit und Aufständischen (Mailänderbrief) diskutiert wird.112 1910 diagnostizierte Karl Dändliker in seiner Geschichte der Stadt und des Kantons Zürich «ein soziales oder wirtschaftliches Missbehagen»113 und kontextualisierte die Unruhen vor dem Hintergrund der Zürcher Verfassungsgeschichte. Seiner Einschätzung zufolge hatte die ökonomische Belastung der Untertanen seit dem Waldmannhandel «keine Erleichterung erhalten; die wirtschaftliche Gebundenheit und Zurücksetzung, sowie der allgemeine Notstand drückten nach wie vor.»114 Aus dem «Gefühl der Verbitterung über die Ungerechtigkeit, die darin lag, dass man die ‹Reiser›, die frei nach Sold und Beute jagten, bestrafte, ja schwer traf, während man den vornehmen Herren ruhig und ungehindert reiche Pensionen vom Auslande her zufliessen liess», 115 resultierte der Mailänderbrief, eine «der wichtigsten Verfassungsurkunden unserer älteren Kantonsgeschichte.»116 Anton Largiadèr betonte zehn Jahre später in seiner Arbeit über die zürcherische Landeshoheit, dass 1515 im Unterschied zu den Untertanenprotesten in der Reformationszeit ausschliesslich politische Fragen verhandelt worden und wirtschaftliche Beschwerden ganz in den Hintergrund getreten seien.117 In dieser Frage herrscht in der Zürcher Historiografie seither weitgehend Konsens. Dass sich der Konflikt in Zürich 1515 im Unterschied zum Waldmannhandel 1489 – aber auch im Gegensatz zu den Unruhen in Bern, Luzern und Solothurn von 1513 – auf politische Inhalte (Pensionenwesen, Schuldfrage an der Niederlage in Marignano) beschränkte, lässt sich gemäss der Arbeit von Christian Dietrich damit erklären, «dass eine grundlegende Klärung der Stadt-Land-Beziehung auf der Basis der Anerkennung der gegenseitigen Rechtsansprüche schon 1489, bestätigt im ‹anbringen› von 1513, erfolgt war.»118 Heinzpeter Stucki, welcher den Lebkuchenkrieg für die 1996 erschienene Geschichte des Kantons Zürich bearbeitete, interpretiert den Mailänderbrief deshalb als eine Ergänzung zu den Waldmannschen Spruchbriefen.119 Die politische Erschütterung habe schliesslich, so bilanzieren Dietrich wie auch Stucki, einen Wandel in der zürcherischen Regierungspraxis bewirkt. Um einen Konsens in wichtigen Fragen bemüht, griff die Zürcher Obrigkeit nun vermehrt auf das Instrument der Ämteranfragen zurück.120 Obwohl in Zürich die Kompetenz des Rats in der Aussenpolitik nicht zur Debatte stand, bedeutete der Lebkuchenkrieg für die zürcherischen Aussenbeziehungen einen Richtungswechsel. «Durch ihn ward», resümiert Guido Stucki, «der in der Limmatstadt wie anderswo recht rührigen Franzosenpartei das Rückgrat gebrochen, was sich an einer fortan noch konsequenter gehandhabten anti-französischen bzw. kaiserlichen und päpstlichen Politik manifestierte.»121

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      Die ältere Militär- und Kriegsgeschichte bekundete ein reges Interesse an den Pensionenunruhen. Bereits die Dissertation von Wilhelm Gisi aus dem Jahr 1866 interpretiert die Unruhen als Folge des diplomatischen und militärischen Engagements der Orte in den Mailänderkriegen.122 Ganz in dieser Tradition beurteilte Ernst Gagliardi in seiner wichtigen Arbeit Novara und Dijon. Höhepunkt und Verfall der schweizerischen Grossmacht im 16. Jahrhundert alle Forderungen der bernischen Aufständischen, die nicht im Zusammenhang mit dem Sold- und Pensionenwesen standen, als sekundär für den Ausbruch der Unruhen.123