Philippe Rogger

Geld, Krieg und Macht


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der Patronage fremder Herrscher und ihrer Vertreter vor Ort bei der Gestaltung der inneren Herrschaftsverhältnisse ist es in den Worten Christian Windlers erstaunlich, «dass die Geschichte der Aussenbeziehungen in der neueren schweizerischen Forschung fast als Tabuthema gilt und die eidgenössischen Beziehungsnetze bisher selten zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht wurden, die mit dem Verflechtungsansatz arbeiten.»145 Publikationen, welche die eidgenössischen Eliten als Klienten auswärtiger Patrons untersuchen, liegen tatsächlich nur vereinzelt vor.146

      Beim Verflechtungsansatz beziehungsweise der network analysis handelt es sich um ein sozialwissenschaftliches Konzept, das es ermöglicht, informelle Netzwerke in komplexen Gesellschaften zu untersuchen. In den 1970er-Jahren rezipierte Wolfgang Reinhard dieses von der Sozialpsychologie und Sozialanthropologie in den 1930er- und 1940er-Jahren entwickelte Konzept erstmals für die Erforschung historischer Führungsgruppen.147 Den Begriff network verdeutschte Reinhard seinerzeit mit Verflechtung. Inzwischen hat sich jedoch der Anglizismus Netzwerk in der Forschungssprache mehrheitlich durchgesetzt.148 Gegenstand der Verflechtungs- beziehungsweise Netzwerkanalyse ist die Beschreibung von Interaktionen und Beziehungen zwischen einer (theoretisch) beliebigen Anzahl von Personen. Für die Darstellung dieser Interaktionen und Beziehungen hat sie unterschiedliche grafische und mathematische Instrumente entwickelt.149 Als wichtigste Erscheinungsformen der personalen Verflechtung nennt Reinhard die Verwandtschaft, die Freundschaft, die Patronage und die Landsmannschaft. Diese vier Beziehungstypen sind nicht isoliert voneinander zu sehen, vielmehr können sie sich gleich mehrfach überlagern. Mittlerweile hat Reinhard für die Umschreibung des Phänomens den aus der Mikroökonomie entlehnten Begriff der Mikropolitik in die Diskussion eingeführt. «Dabei handelt es sich, summarisch vereinfacht, um die Erzeugung und Nutzung von persönlichen Loyalitäten, die durch Verwandtschaft, Freundschaft und klienteläre Beziehungen zustande kommen».150

      Klientelismus, um den Terminus zu klären und das heuristische Potenzial der Netzwerkanalyse näher zu umreissen, bezeichnet eine persönliche Beziehung zwischen zwei sozial ungleichen Partnern, die miteinander Ressourcen austauschen.151 Der Ressourcentausch findet zwischen einem sozioökonomisch höhergestellten Patron und einem Klienten mit einem niedrigeren Status statt. Der Patron gewährt seinem Klienten beispielsweise Protektion, Kredite und Geldzahlungen. Im Gegenzug verpflichtet sich der Klient gegenüber seinem Patron zu Arbeitsleistungen, versorgt ihn mit Informationen und setzt sich für politische Anliegen oder das Prestige seines Patrons ein.152 Die dominante Stellung des Patrons erklärt sich unter anderem mit der Exklusivität seiner zur Verfügung gestellten Güter und der Möglichkeit, Klienten jederzeit zu ersetzen.153 Das Modell eignet sich für die Beschreibung ganz unterschiedlicher Formen vertikaler Beziehungen. Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht indessen alleine die klientelistische Beziehung zwischen den fremden Kriegsherren (Patrons) und ihren eidgenössischen Pensionären (Klienten).

      Für die fern der Eidgenossenschaft weilenden fürstlichen Patrons war es wegen der geografischen Distanz, des sozialen Gefälles oder der Fülle ihrer Beziehungen bisweilen nicht möglich, direkte Beziehungen mit ihren Klienten in den Orten zu unterhalten. Diese Lücke wurde häufig von einem sogenannten Broker geschlossen, der als Vermittler zwischen Patron und Klient den Ressourcenaustausch vor Ort organisierte.154 In dieser Funktion kam dem Broker, der vielfach über keine eigenen Ressourcen verfügte, jedoch oft aus der lokalen Gesellschaft stammte, mitunter selbst die Rolle eines Patrons zu.155

      Klientelistische Beziehungen nehmen in allen Gesellschaften entscheidende Funktionen wahr, deren formelle staatliche Organe nur schwach ausgebildet sind.156 Diese Beobachtung aus der Sozialanthropologie macht das Konzept für die Praktiken der eidgenössischen Diplomatie besonders interessant, weil die Aussenbeziehungen der Orte um 1500 nur in Ansätzen institutionalisiert waren. Allgemein ist es eminent, «die für die Zeit bis ins 18. Jahrhundert anachronistische Fixierung auf den Staat als massgebliche und geschlossen handelnde Einheit in den Aussenbeziehungen» aufzulösen und gegen eine akteurszentrierte Sichtweise einzutauschen.157 Mit diesem Perspektivenwechsel rücken die Akteure in den Vordergrund, welche die Aussenbeziehungen der Orte immer auch nach ihren Privatinteressen auszurichten suchten.158 Bei genauem Hinsehen lösen sich deshalb die Politiken der Machtzentren in Praktiken der Akteure auf, deren Handeln obrigkeitliche und partikulare Interessen gleichermassen bediente.159 So versammelten sich laut Daniel Schläppi an Tagsatzungen des 17. Jahrhunderts weniger Gesandte der eidgenössischen Orte, sondern «in erster Linie Geschäftsleute und Politunternehmer».160 In Solddienstangelegenheiten sind die wirtschaftlichen Interessen der einflussreichen Familien kaum von den Interessen ihres Orts zu unterscheiden.161 Die Pensionen- und Reislaufpolitik der Orte und der Tagsatzung bildete gewissermassen die Resultante der Familieninteressen im Bereich des Militärs.

      In der frühen Neuzeit wurden diese Praktiken der politischen Einflussnahme von verschiedenen Parteien sprachlich in unterschiedlicher Weise verhandelt. Es existierten zwei konkurrierende Diskurse, welche diese Handlungsweisen rechtfertigten oder als korrupt verurteilten. Auch die historische Forschung bewertet das Phänomen unterschiedlich und stellt neben dem Patronagekonzept auch zwei unterschiedliche Konzeptualisierungen zur Diskussion: neutral beziehungsweise positiv als Patronage oder negativ als Korruption.162 Die Patronageforschung betont das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Patron und Klient, welches eine affektive Dimension beinhalten konnte.163 Insbesondere in Briefen zwischen Patrons und Klienten finden sich tatsächlich häufig Formulierungen, welche das persönliche Freundschaftsverhältnis zum Ausdruck bringen.164 1497 schreibt etwa der bernische Broker Thomas Schöni an seinen Patron Georg Supersaxo von «guoten heren, gönern und einteil geborner fründen», die er für seinen Patron in einer dringenden Angelegenheit zu aktivieren gedenke.165 Der vertikale Charakter von Patron-Klient-Beziehungen wird häufig an der Formulierung der Anrede erkennbar: «her und gfatter» nannte beispielsweise der Berner Broker Michel Glaser den Patron Supersaxo.166 Pfister spricht deshalb von einer instrumentellen Freundschaft, welche Patron und Klient verbindet.167 Im Unterschied zum Konzept der Patronage impliziert das Konzept der Korruption, dass eine persönliche Beziehung zwischen den Beteiligten weitgehend fehlt.168 Gegen die verbreitete Auffassung der Patronageforschung, wie sie beispielsweise von Sharon Kettering vertreten wurde, dass es sich bei der Korruption um ein modernes Konzept handelt und folglich nicht auf Handlungsmuster frühneuzeitlicher Akteure übertragen werden kann, 169 hat Andreas Suter Einspruch erhoben. «Für den gesamten Zeitraum des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit finden wir auf allen Sprachebenen, dem gelehrten Diskurs der Staatstheoretiker, Philosophen, Juristen und Theologen, dem Diskurs der Amts- und Justizbehörden von Gemeinden, Städten, Ständen und Territorien und dem Diskurs dieser Praktiken betroffenen und zuweilen dagegen opponierenden Untertanen Belege dafür, dass das Wort Korruption verwendet wurde, dass alternativ zur Bezeichnung derselben Sache als Korruption zahlreiche Synonyme wie Bestechung usw. benutzt wurden, und dass die mit diesen Worten bezeichnete Sache sich von modernen Konzeptualisierungen korrupter Praktiken nicht grundlegend unterschied.»170

      Diese Kritik an derartigen Praktiken der politischen Einflussnahme war im Umfeld der Pensionenunruhen virulent. Das führte in der politisch angespannten Zeit der Mailänderkriege zu vielen, teilweise politisch motivierten Anschuldigungen. In den überlieferten Gerichtsakten ist deshalb nur selten von freundschaftlichen Verbindungen die Rede, vielmehr dominiert eine Sprache der Korruption.171 Während der Pensionenunruhen zirkulierte beispielsweise das Gerücht, der Luzerner Schultheiss Petermann Feer hätte mehr Geld vom französischen König erhalten, als ein Ochse schwer sei.172 Um die Verflechtung der politisch-militärischen Eliten mit den auswärtigen Patrons in den vier Untersuchungsräumen um 1500 möglichst vollständig erfassen zu können, ist das Plädoyer von Suter für eine doppelte Perspektive eminent. Sowohl der positive Patronage- als auch der negative Korruptiondiskurs sollen gleichberechtigt untersucht werden.173

      In der Patronageforschung besteht weitgehend Einigkeit in der Frage, dass es sich bei Netzwerken um eine funktionale und zweckmässige Entwicklungsstufe zum modernen Staat gehandelt hatte.174 Diese Ansicht hat sich seit den Arbeiten von Pfister, 175 Teuscher176 oder Windler177 auch in der schweizerischen Forschung mehrheitlich