auf die Forschung wirkte. In der seit den 1980er-Jahren fruchtbar betriebenen Unruheforschung fanden die Pensionenunruhen jedenfalls nur am Rand Eingang in die Diskussion.66 Auch in der allgemeinen Schweizer Geschichte sind die Unruhen im Umfeld der Mailänderkriege – im Gegensatz zur bisweilen glorifizierten Grossmachtpolitik zwischen 1474 und 1515 – kein prominenter Gegenstand. Eine Monografie zu den Pensionenunruhen gibt es nicht. In jeweils sehr unterschiedlichem Umfang fanden die Ereignisse zwischen 1513 und 1516 jedoch Eingang in Handbücher und Überblicksdarstellungen zur Schweizer Geschichte (1), in die Landesbeziehungsweise Kantonsgeschichte (2), in die Militär- und Kriegsgeschichte (3) und in die neuere Sozial- und Kulturgeschichte (4).
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Die älteren Überblicksdarstellungen zur Schweizer Geschichte schenkten den Pensionenunruhen im Vergleich zum ähnlich gelagerten, aber räumlich nur auf Zürich begrenzten Waldmannhandel von 1489 wenig Beachtung.67 Die Bewertung der Historiografie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts lässt sich mit Johannes Dierauer dahingehend zusammenfassen, dass es sich bei den Aufständen «im Grunde» um «eine berechtigte Reaktion gegen ungesunde politische und soziale Verhältnisse» handelte, «die aber doch, wie es bei Massenerhebungen zu geschehen pflegt, in leidenschaftliche und grobe Ausschreitungen überschlug.»68 In Analogie zur älteren Literatur blieb die den Unruhen zugemessene Aufmerksamkeit auch in den Gesamtdarstellungen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bescheiden. Das 1972 erschienene Handbuch der Schweizer Geschichte widmet den Pensionenunruhen im Unterkapitel Ausbildung der Territorialhoheit lediglich sechzehn Zeilen. Schaufelberger verweist in seinem Beitrag zwar auf den Zusammenhang der Aufstände mit den Mailänderkriegen, lässt jedoch im Gegensatz zur älteren Forschung die Sold- und Pensionenproblematik vollständig ausser Acht. Dagegen unterstreicht der kurze Überblick das angeblich konservative Wesen der Bewegung.69 Weder im Rekurs der Aufständischen auf das alte Herkommen noch in dem von den Berner Untertanen eingeforderten Recht auf eine institutionelle Mitsprache in Bündnisangelegenheiten vermag Schaufelberger einen prospektiven Charakter zu erkennen. In der 1982 erschienenen und methodisch der Sozial-, Wirtschafts- und Mentalitätsgeschichte verpflichteten Geschichte der Schweiz – und der Schweizer kommen die Pensionenunruhen gar nicht vor.70 Auch andere Gesamtdarstellungen zur Schweizer Geschichte erwähnen die Aufstände im Zusammenhang mit den italienischen Feldzügen oder dem Sold- und Pensionenwesen nur kurz71 – oder überhaupt nicht.72 Im hervorragenden und wichtigsten Nachschlagewerk zur Schweizer Geschichte, dem Historischen Lexikon der Schweiz, finden sich ebenfalls nur sehr kurze auf die Ereignisgeschichte fokussierte Einträge zum Könizer Aufstand und zum Zwiebelnkrieg, nicht aber zu den Aufständen in Solothurn und Zürich.73 In anderen Einträgen interpretiert das Lexikon den Protest in den vier Städteorten als Ausdruck eines verschärften Kampfes um Ressourcen zwischen Stadt und Land und betont den aussenpolitischen Bezug der Proteste.74 Doch erst das jüngst erschienene neue Handbuch Die Geschichte der Schweiz (2014) hat die Kernproblematik der Pensionenunruhen erfasst: Mit den Aufständen «war die Frage, wer von den Kriegszügen und Soldwerbungen profitierte und wer die Kosten – vor allem an Menschenleben – zu tragen hatte, zum Politikum geworden.»75
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Ausführlicher als die Überblicksdarstellungen zur allgemeinen Schweizer Geschichte hat sich die Landes- beziehungsweise Kantonshistoriografie mit den Pensionenunruhen beschäftigt. Für Bern markiert die 1529 erschienene Berner-Chronik von Valerius Anshelm den Beginn einer intensiven Auseinandersetzung mit den Pensionenunruhen und dem Könizer Aufstand.76 Der grosse Einfluss der Chronistik aus dem 16. Jahrhundert auf die spätere Geschichtsschreibung in Bern (aber auch in Luzern, Solothurn und Zürich) ist auch der Grund für die möglicherweise merkwürdig anmutende Tatsache, dass die Chroniken in diesem Kapitel und nicht im Kapitel über die Quellen diskutiert werden. Anshelms Parteinahme für die Anliegen der Pensionengegner sind augenfällig, erkennt er doch in den «fro(e)mden pensionen, pu(e)nden und kriegen» nichts weniger als «gu(o)ten pollicien to(e)tliche hoptviend».77 Trotz seinem offenkundigen Missfallen an den von der Obrigkeit abgetrotzten Rechten, die er als einem «gu(o)tem gmeinem regiment unlidlich und verderblich»78 einstuft, bleibt sein Urteil in Bezug auf die aufständischen Gemeinden milde. Die «arbeitsamen gmeinden» werden in seiner Analyse zu eigentlichen «veldga(e)nsen», «zu(o) denen man zu(o)m jar zweimal gu(o)t ufsehen tu(o)t, namlich S.Johanstag, so man si sol uf d’hut berupfen, und um S.Martinstag, so man s’ gar sol praten; darzwischen uf d’weid an d’fu(e)chs und d’wo(e)lf wagen.»79 Seine Kritik zielt deshalb vor allem auf die in Faktionen zersplitterte Obrigkeit, 80 wenn er den Leser beispielsweise daran erinnert, «vor ougen zehaben und nimmer zu(o) vergessen, was uss nid und git in gmeinem regiment erwachse; keine herren, keine pensionen, mu(e)et, gaben noch so(e)ld mo(e)gend iro disen schaden, den si geborn hond, abtragen, aber wol meren, eigennu(e)tzig, gwaltgitig obren, und verachtlich, unghorsam undertanen machen, wie dan vor und iezt nach diser ufru(o)r me dan vor ie beschehen. Got, wie durch’s evangelium angefangen, besser’s!»81 Nur mit roher Gewalt und ohne Besinnung auf das Evangelium, so lässt sich das Urteil des sendungsbewussten Chronisten zu den Pensionenunruhen zusammenfassen, war dem Eigennutz und der Gier der Obrigkeit nach Pensionen nicht beizukommen.
Anshelms Darstellung ist in der bernischen Historiografie die wichtigste Referenz für die Deutung der Könizer Aufstände und beeinflusste folglich auch das gewichtige vierbändige Werk über die Geschichte Berns von Richard Feller aus dem Jahr 1946. Auch hier reinigte das «Ungewitter des Jahres 1513» die Sitten – in Anspielung auf die bevorstehende Reformation – noch nicht.82 «Zuerst Hitze, dann gnädiges Einlenken schwächt der Obrigkeit Gebot», beurteilt Feller Anshelm folgend den Ausgang der Aufstände.83 Einziger Ertrag der Bewegung, bilanziert Feller deshalb, war das «gesetzlich festgelegte Mitspracherecht der Landschaft in der Aussenpolitik».
Mit der Verortung des Könizer Aufstands im Kontext der städtischen Landesherrschaft beschäftigten sich ein halbes Jahrhundert später auch die beiden Untersuchungen von Peter Bierbrauer84 und André Holenstein.85 Für Bierbrauer stellt der Aufstand von 1513 im Kern einen Versuch der Bauern dar, den bernischen Staat nach ihren Vorstellungen zu prägen. Er ist der Ansicht, dass die von den rebellierenden Untertanen angestrebte politische Ordnung einer Konzeption von unten entsprach. Den Gemeinden und Landschaften ging es, so diese ständegeschichtliche Perspektive, ausschliesslich darum, einen zentralistischen Territorialstaat zu verhindern und ihre kommunalen Freiheiten zu wahren. Im Rahmen der ständischen Gesellschaft, einer societas cum imperio, blieben für einen gesamtstaatlichen Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Obrigkeit kaum mehr als das Kriegswesen und die Aussenpolitk, wobei selbst dieser Handlungsbereich 1513 dem bäuerlichen Mitspracherecht unterworfen worden war.86 Holenstein dagegen betont den nur wenig revolutionären Charakter der Bewegung, da mit der Durchsetzung einzelner Klagen und der ausdrücklichen Garantie der kommunalen Freiheiten für die beteiligten Gemeinden das Wesentlichste erreicht war. Auf die Forderung nach einer Beteiligung am städtischen Regiment, so Holenstein, wurde während der gesamten Dauer der Erhebung verzichtet.87 Auch die institutionelle Mitsprache der Landschaft in der Aussenpolitik beurteilt Holenstein im Unterschied zu Bierbrauer und Feller deutlich zurückhaltender, indem er mit Blick auf die bernischen Ämteranfragen88 zu Recht darauf hinweist, dass die Fixierung dieses Konsensrechts nicht mehr als die rechtliche Absicherung «einer eingeübten Praxis» bedeutete.89
In besonderer Weise interessierte sich auch die bernische Wirtschaftsgeschichte für den Könizer Aufstand. In seiner 1971 erschienenen Dissertation zum Thema Lebensmittelteuerungen, ihre Bekämpfung und ihre politischen Rückwirkungen in Bern stellt der Wirtschaftshistoriker Hugo Wermelinger die unterschiedlichen Marktinteressen zwischen städtischen Konsumenten und ländlichen Produzenten ins Zentrum seiner Betrachtung. Die erzwungene Deregulierung der bislang einseitig ausgerichteten, konsumentenfreundlichen Wirtschaftspolitik (Fürkaufverbot) wird bei Wermelinger zum wichtigsten Anliegen der Aufständischen (Forderung nach dem freien Kauf).90 Die monokausale Deutung der Könizer Aufstände als Reaktion der Produzenten auf die Wirtschaftspolitik der Obrigkeit unterschätzt die Bedeutung des Sold- und Pensionenwesens für den Protest. «Parteienhader und Bestechlichkeit» waren zweifellos mehr als nur der unmittelbare Anlass der Ereignisse.91
In Luzern