Philippe Rogger

Geld, Krieg und Macht


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gewinnt», und «mit allem Nachgeben und schnellen Eingehen auf die ursprünglichen Ziele der Empörung konnte Bern es nicht verhindern, dass auch die übrigen Wünsche in so günstiger Stunde bei seinen Untertanen sich regten».124

      Eine Brücke zwischen Militär-, Wirtschafts-, Sozial- und Verfassungsgeschichte schlug Emil Dürr, indem er auf das latente Spannungsfeld zwischen aussenpolitischer Macht und innerer Verfasstheit des eidgenössischen Bündnisgeflechts zu Beginn des 16. Jahrhunderts hinwies. «Aussenpolitisch stand die Eidgenossenschaft auf der Ho(e)he ihrer Macht und ihres Ruhmes. Aber zur selben Zeit klafften in ihrem sozialen und staatlichen Gefu(e)ge so tiefe und so bedenkliche Risse auf, dass diese jene Grossmachtstellung von innen heraus problematisch gestalteten.»125 Dabei sah er einen eigentlichen «Demokratismus» am Werk, welcher sich mit einem politischen und wirtschaftlichen Konservatismus verbunden habe. So habe man «im Grunde die Ru(e)ckkehr zu a(e)lteren, u(e)berwundenen, als besser empfundenen Rechtsverha(e)ltnissen» angestrebt, wobei die Bauern und Landstädter die Kraft zum Aufstand und zum Widerstand «nicht zuletzt im Bewusstsein gescho(e)pft haben, dass es ja vor allem ihre Arme gewesen, welche die grossen Waffentaten und die politischen Erfolge der allerletzten Jahre erstritten hatten.»126

      Das in sämtlichen militärgeschichtlichen Darstellungen greifbare Unbehagen gegenüber dem Sold- und Pensionenwesen illustriert etwa die breit angelegte Untersuchung Emil Usteris zu Marignano aus dem Jahr 1974.127 Obwohl die Zürcher Prozesse im Nachgang des Lebkuchenkriegs gemäss Usteri einige Blicke hinter die Kulissen der Vorgänge während der Friedensverhandlungen in Gallarate erlauben würden, seien «gewisse Hemmungen zu überwinden». Gleichwohl müsse, so Usteri weiter, «auch diese dunkle Seite im Schweizer Geschichtsbuch aufgeschlagen und unparteiisch studiert werden.»128 Die Wirkung dieses Appells war innerhalb der militärhistorischen Zunft indessen beschränkt. In der neusten Überblicksdarstellung zu den Solddiensten kommen die Pensionenunruhen nicht zur Sprache.129

      4

      Deutlich weniger Berührungsängste mit dem Gegenstand kennt die neuere Kultur- und Sozialgeschichte. Die Habilitationsschrift Valentin Groebners mit dem Titel Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit aus dem Jahr 2000 bedeutete einen eigentlichen Paradigmenwechsel. Groebner beurteilt die Aufstände im Unterschied zum bisherigen Deutungsangebot nicht mehr als Ausdruck einer durch das Pensionenwesen verursachten Krise, sondern interpretiert sie als Folge einer Verfestigung und Arrondierung der politischen Strukturen durch das Pensionenwesen.130 In Anlehnung an Groebner wies Claudius Sieber-Lehmann auf den Umstand hin, dass sowohl bei den Pensionenunruhen als auch beim Waldmannhandel nicht die grundlegenden Parameter des Systems beziehungsweise die Verfassungsformen (Kommunalismus, Republikanismus, Demokratie) zur Debatte standen, sondern vielmehr Handlungsweisen gedeutet wurden. «‹Interesse› im doppelten Sinne stand dabei im Vordergrund: Als Teilnahme am Spiel, aber – im Sinne des lateinischen interesse – auch als Profit.»131 Diese kultur- und sozialgeschichtliche Perspektive rückt die Bedeutung eines um materielle Ressourcen geführten Verteilungskampfes innerhalb eines immer stärker zugunsten der Obrigkeit strukturierten Sold- und Pensionenmarktes ins Zentrum. Sieber-Lehmann spricht deshalb von einem Spielfeld, im Sinn Bourdieus, mit ihm eigenen Verhandlungsregeln.132 Auch die neuste Untersuchung zum Könizer Aufstand von Hans Braun zielt nicht auf die Verfassungsformen ab, sondern nimmt die beteiligten Akteure und deren Handlungsweisen in den Blick.133 Aus dem bernischen Material geht dabei deutlich hervor, dass die Angeklagten zunächst auf die Nachsicht der Obrigkeit vertrauten und glaubten, «man werde wie früher durch die Finger sehen.»134 Diese stillschweigende Übereinkunft zwischen den Reisläufern, Werbern und Pensionenverteilern auf der einen Seite und Teilen der politischen Elite auf der anderen Seite fand mit den Aufständen allerdings ein abruptes Ende. Die im Verlauf der Unruhen wegen ihrer Pensionenbezüge massiv unter Druck geratenen Ratsherren inszenierten sich mit Blick auf die anstehenden Prozesse «als Opfer der arglistigen Täuschungsmanöver der französischen Gesandten», was zur Folge hatte, dass sie sich gegenseitig die Verantwortung zuschoben.135 Simon Teuscher erkannte 1998 in seiner Dissertation über die Soziabilität und Politik in der Stadt Bern um 1500 das heuristische Potenzial der Ereignisse im Umfeld des Könizer Aufstandes und machte das überlieferte Material erstmals für die historische Klientelismusforschung fruchtbar.136 Teuschers Zugang leitet über zu einigen methodischen Überlegungen und den der Untersuchung zugrunde liegenden Quellen.

      4 Quellen und Methode: Netzwerkanalyse

      Geheime Pensionentransfers, politische Absprachen und die engen Beziehungen der politisch-militärischen Eliten mit auswärtigen Mächten wurden während der Pensionenunruhen zum Politikum. Die Frage, welche die Aufständischen umtrieb, war: Welche Ratsherren hatten Pensionen empfangen und wie viel? Die gewaltsam initiierten Prozesse sollten in diesen Fragen Klarheit schaffen. Während der gerichtlichen Untersuchungen zwischen 1513 und 1516 wurde der Ressoucentausch zwischen den fremden Mächten und den einheimischen Eliten rekonstruiert und in unterschiedlichen Formen und Medien schriftlich dokumentiert. In den Staatsarchiven Bern, Luzern, Solothurn und Zürich haben sich grosse Mengen an Gerichtsakten erhalten. Einen wichtigen Bestandteil des überlieferten Materials bilden dabei die Zeugenaussagen. Bei diesen Verhören handelt es sich meistens um formlose, teilweise undatierte Niederschriften von ganz unterschiedlicher Länge. Förmliche Reinschriften der Zeugenverhöre sind dabei ebenso vorhanden wie Simultanmitschriften. Trotz der günstigen Überlieferungssituation sind solche Gerichtsakten aus quellenkritischen Gründen schwierig zu deuten.137 Angesichts der misslichen Lage, in der sich die befragten Ratsherren befanden, muss davon ausgegangen werden, dass sie in der Hoffnung auf ein mildes Urteil strategisch argumentiert und deshalb die Vorgänge teilweise verzerrt oder falsch wiedergegeben haben. Ganz besonders gilt dies für die unter Folter oder Folterandrohung zustande gekommenen Aussagen. Selbst die von den Obrigkeiten initiierten umfangreichen Befragungen von Personen im Rahmen von Kundschaften, die selbst keine Strafe zu befürchten hatten, sind nicht minder problematisch. Denn gerade in denjenigen Fällen, in welchen sich viele Zeugen zum selben Sachverhalt äusserten, kommt die Widersprüchlichkeit der einzelnen Aussagen bisweilen besonders deutlich zum Ausdruck.138 Ein behutsames Vorgehen ist im Umgang mit Zeugenaussagen deshalb angebracht, damit die «Königin der Beweise» sich nicht als «Mutter grosser und zahlreicher Lügen» erweist.139 Dies gilt besonders für Zürich, wo 1515 die üblichen Verfahrensprozeduren unter dem politischen Druck der Untertanen zeitweise vollständig ausgesetzt wurden.140 Ausserdem schmälert die von den Aufständischen durch Gewalt zum Ausdruck gebrachte Erwartung an die Obrigkeit, Schuldsprüche zu produzieren, die Aussagekraft des Quellenmaterials zusätzlich. Das Problem der Zeugenaussagen wird allerdings partiell abgeschwächt, weil die Angaben aus den überlieferten Protokollen durch die Beiziehung weiterer Quellen (Chroniken, Urkunden, Urfehden, Missiven, Briefe, Ratsmanuale, 141 Pensionenlisten aus den fürstlichen Kanzleien, Eidgenössische Abschiede) teilweise überprüft werden können. Die Verschränkung unterschiedlichster Quellengattungen vermag die Problematik damit etwas zu entschärfen. Ausserdem ist die Ausgangslage insofern günstig, als vergleichbare Protestbewegungen aus einem vergleichsweise kurzen Zeitraum in einem vierfachen Zugriff untersucht werden können. Dies verspricht Einblick in generalisierbare Handlungs- und Beziehungsmuster sowie Konfliktsituationen. Einen aussichtsreichen Weg, wie man solche Praktiken eidgenössischer Pensionäre auf der Basis dieses disparaten Quellenmaterials systematisch-vergleichend untersuchen und beschreiben kann, zeigte Ulrich Pfister in einem wegweisenden Aufsatz von 1992 auf. Er stellte damals fest, dass das frühneuzeitliche Kriegswesen aufgrund der komplexen Organisationsleistungen, welche die Kapazität eines einzelnen überstiegen, und der Verbindung zur zwischenstaatlichen Politik von der Rekrutierung bis zur Kapitulation von Heereskörpern von klientelistischen Elementen durchsetzt war.142 Pfister qualifizierte den Solddienst als Quelle politischer Patronage ersten Ranges.143

      Die Thematik Patronage und Klientel beschäftigt die Geschichtswissenschaft seit nunmehr über dreissig Jahren. In der Tat sind die einschlägigen Publikationen der Althistoriker, Mediävisten, Frühneuzeitler und Zeithistoriker kaum mehr zu überblicken.144 Gleiches lässt sich mit Blick auf die spezifische