Min Li Marti

Freiheit


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man mir meine Freiheit schon weggenommen hatte, habe ich einen Hunger nach Freiheit entwickelt», kommentierte der spätere Nobelpreisträger. Der Kampf für Freiheit war das Lebenswerk von Nelson Mandela.

      Er reihte sich damit in die lange Kette von Menschen weltweit ein, die für Freiheit auf die Strasse gehen, protestieren und schon nur durch diese Proteste ihr Leben riskieren. Sei es für das Recht zu wählen, die Möglichkeit, ihre gleichgeschlechtlichen Partner zu heiraten oder einfach nur Auto fahren zu dürfen und das Kopftuch abzulegen.

      So unspektakulär Freiheit für diejenigen sein mag, die sie leben können, so unendlich wichtig ist sie für alle anderen. Menschen in Gefängnissen sehnen sich nach unzähligen Dingen, die für die Aussenwelt so selbstverständlich sind, dass man sie längst nicht mehr als Besonderheit wahrnimmt. Zum Beispiel, die Liebsten zu besuchen oder anzurufen, wenn einem danach ist, im Internet zu surfen, im Sommer ein Eis zu essen, generell selbst entscheiden zu können, was man essen möchte, oder am Wochenende ausgedehnt Sport zu treiben. Das grosse Aufatmen nach der Entlassung aus der Haft weicht irgendwann der Routine, die Freiheit wird wieder zur Selbstverständlichkeit. Das ist richtig, und es gehört zu den Errungenschaften der modernen Gesellschaft, dass wir uns nicht permanent unserer Freiheit erfreuen. Freiheit ist im Alltag genauso wenig spürbar, wie frische Luft nicht als Besonderheit registriert wird.

      Freiheit und frische Luft gehören zum Normalzustand. Wo sie gegeben sind, nehmen Menschen sie kaum wahr. Es ist die Unfreiheit, die wir erkennen und die uns belastet. Diese Belastung hat sich im Laufe der Geschichte allerorts immer wieder ins Unerträgliche gesteigert – bis sie sich in Widerstand wandelt. Die Unfreiheit weckt die Zivilcourage und legt damit die Basis für das Aufbegehren gegen die Unterdrückung durch die Mächtigen.

      Die Reaktion von Einzelnen kann dann ungeahnte Folgen haben – ein chaostheoretischer Schmetterlingseffekt in der Gesellschaft. Wie der Protest von Mohamed Bouazizi. Für den 26-jährigen tunesischen Gemüsehändler war es nicht in erster Linie die grassierende Armut und die unerträgliche Schufterei fürs gerade mal Lebensnotwendige. Was ihn am 17. Dezember 2010 in den Suizid trieb, waren die Schikanen der Behörden, die Demütigungen durch die Machthabenden, die Sehnsucht danach, nicht fremdbestimmt zu sein.

      Der Arabische Frühling war ein Aufstand für Freiheit. Genauso wie die zahlreichen Revolutionen in den Jahrhunderten zuvor. Doch so sehr sich die mutigen Menschen auf den Strassen dieser Welt diese Freiheit wünschten – der Rückschlag liess in vielen Fällen nicht lange auf sich warten. Oft war die Nach-Revolutionsphase unfreier als die Zeit davor. Die alte Ordnung war zerstört und im Vakuum machten sich Despoten aller Art breit. Auf den Sturm der Bastille folgte die Schreckensherrschaft von Robespierre, die Oktoberrevolution ging rasch über in die Diktatur der Sowjets, der Sturz des Schahs zog die Herrschaft der iranischen Theokratie nach sich, und selbst die in der Popkultur verherrlichten Freiheitskämpfer Lateinamerikas entpuppten sich bald als machohafte, selbstherrliche Oligarchen.

      Ist die Geschichte der Freiheitskämpfe also eine Geschichte des Scheiterns? Ist die Freiheit nur ein Versprechen ohne Chance auf Verwirklichung? Nein. Wenig hat die Welt so stark geprägt wie das Streben nach Freiheit. Sie treibt die Menschen an, sie macht Menschen mutig.

      Die friedliche Überwindung der Berliner Mauer, die Überwindung des Stalinismus in Europa und die Globalisierung von Informationen sind Beispiele jener Freiheitskämpfe, die Frieden und Demokratie brachten und somit erfolgreich waren. So erfolgreich, dass gemäss dem britischen The Economist heute knapp die Hälfte der Weltbevölkerung unter mehr oder weniger demokratischen Bedingungen lebt und viele Formen der Freiheit als selbstverständlich erachtet. Natürlich reicht dieses Ergebnis nicht aus. Selbstverständlich wünsche ich mir eine Welt, in der alle Menschen von den Errungenschaften einer offenen und freien Gesellschaft profitieren können. Bis dahin ist der Weg vielleicht gar nicht so weit. Es ist ein Ziel, das es auf jeden Fall hartnäckig zu verfolgen gilt. Auf dem Weg dahin lauern viele Gefahren. Sei es, dass auf Migrationsbewegungen mit zusätzlichen Mauern und Hindernissen reagiert wird, sei es, dass Grundrechte im Nachgang terroristischer Anschläge mit Füssen getreten werden.

      So selbstverständlich das Erleben der Freiheit ist, so selbstverständlich sollte der Schutz der freiheitlichen Errungenschaften sein. Dieser Schutz ist jedoch nicht kostenlos und auch nicht einfach so zu haben. Genauso wie beim Kampf für mehr Freiheit braucht es für die Verteidigung der erreichten Freiheit Zivilcourage, Mut und Engagement von uns allen.

      Wie das funktionieren kann, zeigte Nelson Mandela eindrücklich. Als Schwarzer während der Apartheid drangsaliert und als Häftling gefoltert, malträtiert und gedemütigt, reagierte er nach seiner Freilassung ausgleichend und baute Brücken. Brücken für das Verständnis entfremdeter Gruppierungen, unterschiedlicher kultureller Hintergründe und divergierender politischer Strömungen. Diese Brücken wurden zu Brücken in die Freiheit.

      Über den Liberalismus hinaus. Freiheit, das «Gattungswesen» Mensch und ökologische Abhängigkeiten

      Raul Zelik

      Die These, dass der Rechtspopulismus auf dem Weg sei, die liberale Gesellschaft zu zerstören, gehört wohl zu den abgedroschensten Floskeln des Tageszeitungsjournalismus. Ausser Frage steht jedoch, dass die neue Rechte überall eine autoritäre politische Wende im Staat forciert und gleichzeitig gegen jene «Minderheiten» mobilmacht, die sich in den vergangenen Jahrzehnten mühsam Anerkennung und eine gewisse Gleichstellung erkämpft haben: Nichtweisse, Migrantinnen und Migranten, LGBTQ-Menschen und Frauen, die zwar nie eine Minderheit waren, aber von der maskulin dominierten («Mehrheits-»)Gesellschaft wie eine behandelt wurden. Die neue Rechte will den Ausbau von Armee, Justiz und Polizei und greift zugleich die gesellschaftliche und kulturelle Differenz an. Die Anerkennung sexueller Identitäten wird als «Toiletten-Debatte» lächerlich gemacht, Gleichstellungsbemühungen werden als «Gender-Gaga», die Ächtung rassistischer Begriffe als «Sprech- und Denkverbote» attackiert.

      Hinter dieser Offensive steckt ein eigentlich leicht zu durchschauendes Manöver, das man mit Hannah Arendt als Wiederkehr des alten Bündnisses von «Mob und Eliten» bezeichnen könnte. Denn die neurechten Bewegungen setzen zwar auch auf eine Anti-Eliten-Rhetorik, doch hinter ihnen stehen fast überall Superreiche wie Donald Trump, Christoph Blocher, der deutsche AfD-Spender August von Finck oder der Medienzar Rupert Murdoch, der die Brexit-Kampagne finanzierte. Deren politisches Angebot besteht darin, die unter Druck geratene, weiss und männlich geprägte Mehrheitsgesellschaft gegen Ansprüche «von unten» zu mobilisieren. So drischt der Milliardär Donald Trump auf Migranten, Feministinnen und andere vermeintliche «Randgruppen» ein und erhält dafür den begeisterten Applaus eines weissen und männlichen Publikums, das zwischen Mittelschicht und Arbeiterklasse angesiedelt ist. Wie fast immer wird bei der Rechten in Anbetracht sich verschärfender ökonomischer Verteilungskämpfe von sozialen Widersprüchen abgelenkt und ein klassenübergreifender Pakt geschmiedet, der die Verteilungsfrage nach unten, nicht aber nach oben formuliert. In dieser Auseinandersetzung gerät dann auch der bürgerrechtliche Liberalismus unter die Räder, der den individuellen Rechten von Individuen gegenüber Staat und Mehrheit traditionell immer schon grosse Bedeutung beimisst.

      Unseligerweise ist diese neurechte Diskursverschiebung auch von Teilen der Linken aufgegriffen worden. Das hat damit zu tun, dass sich vor allem in den USA in den vergangenen dreissig Jahren ein eigenartiges politisches Projekt formiert hat, das die US-amerikanische Soziologin und Feministin Nancy Fraser als «progressiven Neoliberalismus» bezeichnet. Es verbindet eine aggressive Wirtschaftspolitik im Dienst kleiner Finanzeliten mit durchaus fortschrittlichen, aber auf Symbole fokussierten Elementen der Anerkennungspolitik. Was bei Fraser allerdings als Aufruf an Frauen, antirassistische oder LGBTQ-Menschen gedacht war, ökonomische Forderungen stärker zu berücksichtigen und sich gegen die neoliberale Agenda zu positionieren, wurde von manchen Linken als Einladung verstanden, von rechts geschürte Ressentiments zu übernehmen.

      In Deutschland beispielsweise schrieb die linke Politikerin Sahra Wagenknecht 2018 in einem Meinungsbeitrag, «Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz» seien «Wohlfühllabel, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren». Richtig an dem Hinweis war, dass der Neoliberalismus mit der Anerkennung anderer sexueller Orientierungen und Identitäten