statt. Und dieses Bewusstsein über die eigenen Traditionen wiederum führte dazu, dass man dieses zu schützen versuchte und gleichzeitig die amerikanischen Einflüsse abgelehnte oder gar bekämpfte.
Fünf solcher Geschichten des amerikanischen Einflusses werden in «Ready to Eat» erzählt. Es handelt sich dabei entweder um Produkte, die von amerikanischen Firmen in der Schweiz eingeführt wurden, oder um Produkte mit amerikanischen Wurzeln, die von einheimischen Firmen auf den Schweizer Markt gebracht wurden. Dabei zeigt sich eindrücklich, dass sich der Prozess der Übernahme und Implementierung selten auf das Produkt und den Konsum desselben beschränkte, sondern zumeist Veränderungen in weiteren Bereichen nach sich zog. Ein Zitat aus einer Marktstudie aus den 1970er-Jahren über das Aufkommen amerikanischer Softdrinks vermag dies zu illustrieren:
«Aber auch auf einem andern Gebiet brachten diese amerikanischen Wasser eine Veränderung. Sie gingen Hand in Hand mit amerikanischem Management, amerikanischen Partygewohnheiten, kurz dem gesamten amerikanischen ‹way of life›, welcher zum modernen Lebensstil ganz allgemein wurde. Überall[,] wo moderndes Leben Einzug hielt, feierten die ‹soft-drinks› Erfolge.»4
Die fünf Beispiele geben ein eindrückliches Bild davon ab, in welch unterschiedlichen Formen sich der amerikanische Einfluss in der Schweiz bemerkbar machte.
«Ready to Eat» basiert auf weiten Strecken auf meiner Dissertation, die ich im Januar 2014 an der Universität Zürich eingereicht habe. Für die vorliegende Publikation habe ich den Titel abgeändert und das Manuskript überarbeitet. Der ursprüngliche Titel der vorliegenden Studie war als Frage formuliert: «Ready to Eat! Amerikanisierung der Essgewohnheiten in der Schweiz?» Er stellte die Bedeutung und das Ausmass des amerikanischen Einflusses bewusst infrage: Wurden die Essgewohnheiten in der Schweiz der Nachkriegszeit tatsächlich amerikanisiert, wie es von Kritikern behauptet wurde? Damit wird deutlich, dass der Begriff beziehungsweise die These der «Amerikanisierung» einer Präzisierung bedarf. Angesichts der zahlreichen Studien, die diesen Begriff in Bezug auf unterschiedlichste Fragestellungen verwenden,5 ist es unerlässlich, sich Gedanken über die Bedeutung und Funktion von Amerikanisierung für die eigene Arbeit und Fragestellung zu machen.
Zunächst einmal kann der Begriff der Amerikanisierung beziehungsweise der Americanization je nach Kontext ganz andere Prozesse beschreiben. Vor dem Hintergrund einer Verschmelzung verschiedener ethnischer Identitäten aufgrund der Einwanderung verstehen etwa die Amerikaner unter Amerikanisierung in erster Linie die Herausbildung einer einheitlichen amerikanischen Kultur beziehungsweise die Herausbildung einheitlicher amerikanischer Essgewohnheiten. Der Begriff beschreibt in diesem Kontext die Entstehung des viel diskutierten amerikanischen Schmelztiegels.6
Aus europäischer Perspektive hingegen beschreibt der Begriff die Auseinandersetzung mit der amerikanischen Kultur, dem American way of life, mit amerikanischen Wirtschafts- und Geschäftspraktiken sowie mit dem amerikanischen Einfluss auf andere Nationen und Kulturen. Doch auch innerhalb der europäischen Perspektive gibt es eine breite Palette von Fragestellungen, die sich mit Amerikanisierung auseinandersetzen. Victoria de Grazia macht in ihrem bibliografischen Essay über Amerikanisierung nicht weniger als acht (historische) Forschungsfelder aus, die sich mit dem Begriff und dem damit verbunden Prozess auseinandersetzen, wobei sich einige auch mindestens teilweise überschneiden. Es wird aber deutlich, dass es prinzipiell drei Ebenen gibt, auf denen Amerikanisierung untersucht wird: kulturell, wirtschaftlich und politisch. Wobei je nachdem das amerikanische Sendebewusstsein beziehungsweise die Imperialismus-Perspektive oder aber der europäische Nachahmungswille beziehungsweise die USA als Leitnation die Untersuchungsperspektive vorgeben.7
Typischerweise kommt bei all jenen Studien, die sich mit Amerikanisierung als Transfer- und Vermittlungsprozess auseinandersetzten, die Bedeutung von Stereotypen sehr deutlich zum Vorschein.8 Sie werden zu einer Art Definition des Amerikanischen, und sie markieren gleichzeitig die Unterschiede zwischen dem European way und dem American way. In diesem Sinne werden sie zu einem Instrument, um den Grad der Amerikanisierung zu messen, oder, in den Worten von Christian Kleinschmidt, zu einem «Hilfsmittel zur Interpretation des Fremden».9 Auch die vorliegende Untersuchung ist nicht vor Stereotypen gefeit – im Gegenteil, ich werde mir diese ganz bewusst zunutze machen. Denn sowohl die Befürworter als auch die Kritiker der amerikanischen Einflüsse beziehen sich, so die hier zugrunde liegende These, in ihrer Interpretation des Amerikanischen auf Klischees und Stereotype. In ihrem Diskurs über das Amerikanische festigen sie zudem bestehende Stereotype und bilden gleichzeitig neue.
Beim Begriff «Amerikanisierung» schwingt jedoch immer auch etwas Negatives mit. Insbesondere im hier relevanten Zeitraum der 1950er- und 1960er-Jahre wird Amerikanisierung oder auch «Veramerikanisierung» vorderhand negativ gebraucht. Der Begriff wird dort zum Ausdruck der Angst vor der Verdrängung eigener Traditionen durch (barbarische) fremde Lebensweisen, Güter und fremdes Gedankengut. Er steht in diesem Kontext für amerikanischen Kultur- und Wirtschaftsimperialismus, aber auch für amerikanischen Kapitalismus, gnadenlosen Wettbewerb, zügellosen Materialismus, Wegwerfmentalität und Überfluss. Gerade vor dem Hintergrund der kritischen Auseinandersetzung mit amerikanischen Einflüssen stellt sich deshalb auch die Frage nach der Tiefe des Eindringens der amerikanischen Einflüsse und deren Nachhaltigkeit. Der Begriff «Amerikanisierung», und noch stärker der Begriff «Veramerikanisierung», erweckt den Eindruck der totalen Übernahme amerikanischer Gewohnheiten, Denk- und Handlungsweisen – gerade wenn man sich in Erinnerung ruft, wofür der Begriff Americanization im Amerikanischen steht. Dass es sich jedoch nur um eine graduelle Übernahme amerikanischer Techniken, Strukturen, Lebensweisen und Essgewohnheiten handelte, werde ich im Verlauf meiner Untersuchung immer wieder zeigen. Der amerikanische Kulturhistoriker Richard Pells kritisiert in diesem Zusammenhang, dass es sich bei der These der Amerikanisierung Europas um einen «powerful and enduring myth», also um einen einflussreichen und beständigen Mythos handle, der nicht zuletzt von den Europäern selbst hochgehalten werde, um eine Erklärung dafür zu finden, warum sich die europäische Gesellschaft in einer als mitunter schlecht empfundenen Art und Weise veränderte.10 Pells liegt mit seiner Einschätzung gerade im Hinblick auf die pejorative Verwendung von «Amerikanisierung» nicht grundsätzlich falsch, doch sie erscheint mir zu eindimensional. Es wäre zwar durchaus verfehlt, Veränderungen im Bereich der Essgewohnheiten in der Nachkriegszeit einzig dem Einfluss der USA und ihrer besonderen Stellung in der Weltordnung nach 1945 zuzuschreiben, denn die Essgewohnheiten änderten sich hierzulande in den 1950er- und 1960er-Jahre auch aufgrund zunehmenden Wohlstands, technischen Fortschritts, neuer Gesundheitsvorstellungen. Dennoch ist der Einfluss der USA auch nicht zu unterschätzen. Die USA agierten in dieser Zeit nämlich durchaus als Ideengeber und Leitbild, und ebenso waren Politik und Wirtschaft Amerikas daran interessiert, ihren Technologie- und Produktivitätsvorsprung nach Europa zu bringen (siehe Kapitel «Push- und Pullfaktoren der Amerikanisierung»).
Gegenstand von «Ready to Eat» ist deshalb, herauszuarbeiten, wie gross der amerikanische Einfluss war, worin er sich zeigte und welche Bereiche er umfasste. Es geht mir darum, aufzuzeigen, wie sich die Schweiz bei der Etablierung der modernen Konsumkultur und den damit verbundenen Essgewohnheiten an Amerika, dem «Leitbild der Konsum-Moderne»,11 orientierte, wobei ein differenziertes Bild der Amerikanisierung angestrebt wird. Vor diesem Hintergrund verstehe ich die Amerikanisierungsthese denn auch als einen Prozess des kulturellen Austausches im Sinn Peter Burkes.12 Burke geht bei seinen Überlegungen von zwei Prämissen aus: Erstens versteht er den Prozess der Globalisierung – und davon abgeleitet den Prozess Amerikanisierung – als einen (kulturellen) Austausch in zwei Richtungen. Er ist überzeugt, dass es sich dabei nicht um eine einseitige Anleihe handelt, bei der bloss die eine Seite von der anderen übernimmt, sondern dass beide Seiten voneinander übernehmen beziehungsweise dass beide Seiten nachahmen und aneignen (Transkulturation statt Akkulturation). Zweitens ist dieses Nachahmen und Aneignen in der Regel mit Anpassungen auf Seiten des Entleihenden verbunden. Kurz: Beim kulturellen Austausch handelt es sich primär um eine selektive Aneignung derjenigen Elemente, die von Interesse sind, wobei diese nach Bedarf an die bereits vorhandenen Bedingungen und Vorstellungen angepasst werden. Auf die Anpassungsleistung und die Adaptionen werde ich bei der nachfolgenden Analyse immer wieder zu sprechen kommen. Immer wieder stellt sich dabei die Frage: Haben sich die Essgewohnheiten in der Schweiz amerikanisiert, oder haben sich amerikanische