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Geist & Leben 2/2020


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wie spirituelle Wiedergänger des längst Bekannten erscheinen, aber nur schwer Gegenakzente setzen. Im ignatianischen magis liegt eine Versuchung, wenn es einen ohnehin vorhandenen Leistungsdruck geistlich begründet und weiter verstärkt.

      Die ignatianische Spiritualität kann leicht in eine Schieflage geraten, da sie erstaunlich modern ist und auch durch Begriffe wie Effizienz und Optimierung beschrieben werden kann. Das magis ist hierfür besonders anfällig, denn die Suche nach dem, was immer mehr ist, initiiert einen infiniten Regress. Sie ist per definitionem nicht abzuschließen und ist immer wieder neu zu verhandeln. So kann aber nicht nur eine positive Herausforderung, sondern auch eine ständige Belastung entstehen. Selbst wenn der Maßstab an einer Perspektive, die auf Gott ausgerichtet ist, genommen wird, so kommt die Aufgabe des Entscheidens und entsprechenden Handelns dem Individuum zu. Kreiert die ignatianische Spiritualität so aber nicht gerade ein überfordertes Subjekt?

      Ignatius will durch die Geistlichen Übungen den Menschen darauf hin ausrichten, dass er ersehnend (deseando) und das erwählend (eligiendo) sein soll, was ihn mehr (más) zu seinem Ziel führt (GÜ 23). Was mehr bedeutet, ist Teil der geistlichen Unterscheidung, die einzuüben ist. Dabei geht es in erster Linie um Grundsätzliches. Wie will ich mein Leben gestalten? Was ist mein Ziel, das mir eine Richtung vorgibt? Welche Rolle spielt Gott dabei?

      Sind diese Fragen geklärt, relativiert sich die Bedeutung aktueller und je konkreter Situationen. An ihnen soll nur deutlicher werden, was bereits geklärt ist. Es gibt ein Prinzip, das Orientierung gibt und so entlastet. Im Alltag soll das eine Gestalt bekommen, was als Grundsatzentscheidung in den Geistlichen Übungen erkannt wurde.

      Doch verlagern sich so nicht die vielen kleinen Herausforderungen auf eine einzige – und der Druck wächst nur weiter? Die ignatianische Methode kann nur dann funktionieren, wenn sie dialogisch verstanden wird. Der Übende konditioniert nicht sich selbst, sondern er versucht, sich einem Gegenüber zu öffnen. Zu entscheiden, was mehr Gottes Willen entspricht, kommt nicht nur den Übenden, sondern letztlich Gott zu. Denn auch wenn es verschiedene Arten und Zeiten für eine grundsätzliche Wahl, die ein Leben prägen soll, gibt (GÜ 175–188), so ist es allein Gott, der diese Freiheit ermöglicht und zugleich die Entscheidung bestätigt (GÜ 183). Der wählende Mensch erwägt im Gebet, was er für das Bessere hält und legt dies Gott vor. Er muss daher nicht durch die Sorge einer drohenden Fehlentscheidung unter Druck geraten. Im Gebet erfährt er vielmehr, dass er Gott vertrauen darf, der gerade im ambivalenten, da nicht von vornherein festgelegten magis eine Möglichkeit des je individuell-konkreten Weges aufzeigt und mitgehen wird. So wechselt die Perspektive: Die göttliche Logik bestimmt die weltliche und nicht umgekehrt. Zur geistlichen Erfahrung zurückzukehren und diese im Alltag immer mehr zu leben, ist die Bestimmung des magis.

      Pause von der Entfremdung

      Anapausis und die Erlösungssehnsucht der Wüstenväter

      Für P. Johannes Sauerwald OSB

      „Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid?“ (Lk 7,24), fragt Jesus die Fans des Asketen, Propheten und Täufers Johannes. Ähnlich muss sich wohl fragen lassen, wer sich heute für die Wüstenmönche des frühen Christentums interessiert. Wandern wir lesend zu ihnen aus Neugier und Faszination für eine Zeit, „als die Religion noch nicht langweilig war“1? Es gibt ja genug Sensationelles zu bestaunen: ungestüme Radikalität, eine Askese, die mitunter Abenteuergeschichten produziert. Oder sind wir auf der Suche nach Anknüpfungspunkten für unsere eigene christliche Spiritualität, nach deren Quellen in der Tradition? Wir werden dann viele wirklich weise, seelenkundige, auch paradoxe Sprüche finden, die buddhistischen Weisheiten nicht nachstehen. Wir werden auch auf körperliche und seelische Selbstquälerei stoßen, auf Frauenfeindlichkeit und eine geradezu krankhaft anmutende Sexual-Phobie.

      Vielleicht gehen wir aber auch forschend in die Wüste, um die Frage zunächst einmal an die frühen Einsiedler zu richten: „Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid?“ Was haben sie dort gesucht, was haben sie dort – wie man so sagt – „verloren gehabt“?

      Ich bin bei dieser Nachfrage auf ein Wort gestoßen, dass vielfach variiert in den Sprüchen und Geschichten der Wüstenväter auftaucht: Anapausis (αναπαυσις, als Substantiv) oder anapauein (αναπαυειν, als Verb).2 Es scheint eine zentrale Rolle zu spielen bei dem, was die Väter in der Wüste suchten. Es bezeichnet auch das, was sie tatsächlich verloren hatten. Oft beschreibt es aber auch etwas, das sie vermeiden möchten oder sollen, vor dem sie geradezu fliehen. Das ist ein verwirrender, paradoxer Befund – und gerade deshalb eine heiße Spur auf der Suche nach dem, worum es diesen frühen Radikalen einer sich gerade etablierenden Christenheit ging.

      Seine Ruhe haben wollen

      Anapausis bedeutet so viel wie Ruhe.3 Es steckt ja unser Wort Pause darin, und auch in diesem schlichten Sinn wird Anapausis häufig gebraucht: als Unterbrechung von der Arbeit, als Ausruhen. Das Projekt der Einsiedeleien in der Wüste, also die Trennung von der „bürgerlichen“ Existenz, von den Siedlungen und ihrer Lebensweise, erscheint davon abgeleitet als eine große Unterbrechung der Normalität, wie das Betätigen einer Pausentaste, die den Gang der üblichen Geschäftigkeit stillstellt. Der Aufbruch in die Wüste ist eine Befreiungstat. „Die Freiheit, um die es in der Wüste geht, ist zunächst eine Freiheit von etwas.“4

      „Ich möchte sorglos sein, wie die Engel sorglos sind, die nicht arbeiten, sondern ununterbrochen Gott dienen“, bekennt Johannes Kolobos am Anfang seines Weges ganz ungeschützt (I 128). Der Schritt „aus der Welt“ hinaus erfolgt also in der Sehnsucht nach einem engelgleichen Leben, das man sich sorglos und deshalb beruhigt vorstellt. Die Wüste ist für die Mönche „der Ort, wo die Seele sich finden kann, und noch stärker, wo sie ‚atmen kann‘“5, aufatmen, Luft holen. „Mönch werden“ wird in den Sprüchen mitunter einfach mit „Ruhe finden wollen“ gleichgesetzt (z.B. I 148). „Offensichtlich ist (…) die Absicht, Mönch zu werden bzw. sein zu wollen, mit der Suche nach Ruhe identisch.“6 Gelegentlich hat dies einen sehr greifbaren biografischen Hintergrund: Steuerflucht, Erbprobleme, Militärdienst, kriminelle Vergangenheit. Die gesuchte Ruhe ist durchaus nicht nur „spirituell“ gemeint.7

      Die Mönche gehen also in die Wüste, um schlicht ihre Ruhe zu haben. Zuweilen wird auch die konkrete Wahl der Einsiedelei oder der Entschluss, sich einem erfahrenen Altvater anzuschließen, so begründet: „Ich habe eine solche Hoffnung, dass ich mich bei dir zur Ruhe bringe“, sagt dann etwa ein asketischer Anfänger (III 39).

      Die Mönche wissen, dass mit dem Gang in die Wüste die Ruhe noch keineswegs erreicht ist – und durch die mönchische Lebensweise allein auch gar nicht erreicht werden kann. „Ich bin schon siebzig Jahre im Mönchsgewand, und noch keinen einzigen Tag fand ich Ruhe“, bekennt Abbas Theodoros von Pherme (I 113). Schließlich sind auch die Einsiedler nicht wirklich allein, sondern meist umgeben von anderen Einsiedlern. Das führt zu so viel Streit und Zwietracht, dass ein Bruder ausrufen kann: „Ich habe keine Ruhe, bis ich mich nicht gerächt habe.“ (I 285) Hier muss ein anderer Mönch seelsorgerisch dafür sorgen, dass der Bruder Ruhe findet vor seinen Rachegelüsten; wie es an anderer Stelle heißt: „Wirf von dir alle Verfehlungen und alles Böse, damit du Ruhe findest.“ (III 23) Denn die Ruhe ist auch die des guten Gewissens (III 41), sie hat mit dem Verhältnis zu den anderen zu tun: „Verachte niemanden, verurteile niemanden, verleumde nicht, dann gewährt Gott dir Ruhe.“ (III 41) Und weil dies so häufig nicht gelingt, sind auch Reue und Buße ein Weg zur Ruhe zurück: „Vertrau dich Gott an mit vielen Tränen, und du hast Ruhe.“ (III 55)

      Pause machen

      Wer also ausgezogen ist, um in der Wüste Ruhe zu finden, muss feststellen, dass sie auch dort nicht einfach da ist, sondern erst gefunden, hergestellt und erreicht werden will. „Eine Wüstenerfahrung (…) ist gleichbedeutend mit einer Reise ins Innere, auf der man doch immer wieder