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Geist & Leben 2/2020


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      Indien

      Trotz dieses breiten Engagements verdichtet sich seine Berufung jedoch in eine Richtung, die ihn aus dem westlich-christlichen Kontext hinausführt: Er möchte sich ganz in eine nichtchristliche Kultur hineingeben, um dort einen nichteuropäischen Ausdruck des Christentums aufkeimen zu lassen. Seine Wahl fällt – aus seinem bisherigen Interesse wohl verständlich – auf Indien und er besucht Sanskrit-Vorlesungen an der Universität Lyon. 1935 eröffnet er seinem Bischof Kardinal Maurin den Entschluss, dem Ruf nach Indien zu folgen, worauf dieser ihn jedoch erst einmal vertröstet. Erst 1938, unter Maurins Nachfolger Gerlier, kann er in die von Vincent Lebbe und André Boland gegründete „Gesellschaft der Missionshelfer“ („Société des Auxiliaires des Missions“, SAM) eintreten, um die Entsendung in eine indische Diözese zu erhalten. Zur Vorbereitung auf seine Aufgabe geht er an die Universität Louvain. Schließlich bekommt er die Zusage des Bischofs von Tiruchirappalli im Bundesstaat Tamil Nadu, James Mendonça (1892–1978). Im Mai 1939 bricht er per Schiff auf, lernt zunächst Tamilisch und ist während der nächsten zehn Jahre als Priester in der normalen Seelsorge (1940–41: Vikar in Panneipatti, 1941–42: Vikar in Kulittalai, 1943–1944: Vikar in Panjampatti, 1945–1950: Pfarrer in Kulittalai, wo er auch für eine Einsiedelei [Bhakti Aschram – Einsiedelei der Liebe] zuständig ist) der Diözese im Südosten Indiens tätig. Am 15. August 1947 wird ihm mitgeteilt, dass es noch jemanden gibt, der einen Aschram in Indien gründen möchte, „um dort das monastische Leben im Geiste des heiligen Benedikt und auf indische Art und Weise einzuführen“6: der französische Benediktiner Henri Le Saux (1910–1973), der den Diözesanbischof gebeten hat, in seiner Diözese „in einer Einsiedelei sein kontemplatives Leben zu führen, in der Absolutheit der frühen Tradition des christlichen Mönchtums und in größtmöglicher Übereinstimmung mit den Traditionen der indischen Sannyâsa“7. Ein Jahr später, am Mariä-Himmelfahrtstag 1948, der zugleich der Unabhängigkeitstag Indiens sein sollte, kommt der Mönch aus dem bretonischen Kloster Kergonan in Kulittalai an, wo Monchanin im Seelsorgeeinsatz ist. Le Saux, um einiges jünger und in seiner theologischen Ausbildung eher traditionell geprägt, und Monchanin, eher nonkonformistisch und in seiner Theologie weitgefächert, müssen zueinander finden, was nicht immer konfliktfrei geschieht. Anfang 1950 verlassen sie das Pfarrhaus und richten sich am Ufer des Kavery-Flusses (dem „Ganges des Südens“) in „Zellen“ aus Bambus und Stroh inmitten eines kleinen Wäldchens ein, das später Shāntivanam (Wald des Friedens) genannt werden wird, ein.

      Der Aschram von Saccidānanda

      Am 21. März 1950, dem Todestag des hl. Benedikt, wird die offizielle Gründung des Aschrams mit einer feierlichen Messe begangen. Dieser Schritt ist umso bedeutsamer, da er in die Spätphase des Pontifikats Papst Pius’ XII. fällt, welche durch die Verdächtigung und Suspendierung der Nouvelle Théologie (Enzyklika Humani Generis, DH 3875–3899), die auch für Monchanins Denken grundlegend ist und deren Vertreter (z.B. Henri de Lubac) weitgehend seine Weggefährten sind, geprägt ist. Wenig erfreulich ist die Situation des Aschrams: Er hat keinen Zulauf. Doch ist Monchanin ein gefragter Gesprächspartner und spiritueller Begleiter – und nimmt auch eine Einladung nach Pakistan, das sich gerade von Indien getrennt hatte, an. Auf der Rückreise sucht er die heiligen Stätten des Buddhismus und Hinduismus auf: Acht Tage verbringt er 1952 in der den Hindus heiligen Stadt Benares am Ganges. Monchanin und Le Saux nehmen nicht nur indische Namen (Le Saux: Swāmi Abishiktananda – „Der, der seine Freude in den Gesalbten setzt“) an, sondern tragen als Gewand anstatt der Soutane oder des Habits den Kāvi, das Gewand der indischen Sannyāsī. Doch gibt es trotz häufiger Besucher – mehr als einen können sie allerdings für Tage der Einkehr nicht aufnehmen – keinen Zuwachs (auch aus Frankreich kann niemand nachkommen, da aufgrund der politischen Situation keine Visa ausgestellt werden) und die Spannungen zwischen beiden bleiben bestehen – ganz abgesehen von den Spannungen mit der Kirche vor Ort, in der viele den Aschram als zu exotisch empfinden. Monchanin zieht es vor, allein zu leben, während Le Saux zwischen Anachoreten- und Zönobitentum schwankt. Letzterer zieht sich für einige Zeit an den Arunachala, den heiligen Berg der Hindus in Tamil Nadu, und den Ort Tirunvannamalai zurück, wo er während seiner Anfangszeit in Indien einige Monate bei dem Guru Rāmana Mahārshi (1879–1950) verbracht hatte. Monchanin besucht ihn dort für zwei Monate im Frühling 1954, auch um sich ein Bild von diesem Ort zu machen, den er jedoch als „zu rein“ empfindet.8

      Nachdem Frankreich auf seine Besitzansprüche in Indien verzichtet (Oktober 1954), gibt es neue Möglichkeiten und Initiativen auf kulturellem Gebiet, u.a. wird ein Institut français de l’indologie in der ehemaligen Hauptstadt Französisch-Indiens, Pondicherry, eingerichtet, mit dem Monchanin in intensivem Austausch steht. Die theologischen Kontakte erweitern sich nun um die Jesuiten Raimon Panikkar (1918–2010), Josef Neuner (1908–2009), Pierre Fallon (1912– 1985), den Franziskaner Gerwin van Leeuwen (geb. 1936) sowie den Benediktiner Bede Griffiths (1906–1993). In den beiden darauffolgenden Jahren erscheinen zwei Bücher Monchanins: Ermites de Saccidananda (Tournai 1956, zusammen mit Henri Le Saux verfasst, Preis für das beste religiöse Buch des Jahres 1956) und De l’esthétique à la mystique (Aufzeichnungen, hrsg. von seinem Freund Edouard Duperray, Paris 1955), die ihm eine gewisse Bekanntheit einbringen. Ein belgischer Zisterzienser, Francis Mathieu, ein tamilischer Priester, Dharmanathar, und ein junger Engländer, Harold Rose, bilden mit Le Saux und Monchanin für eine Zeitlang so etwas wie ein Kloster. Das Offizium, das sie gemeinsam beten, nimmt Teile hinduistischer Spiritualität auf: Eröffnet wird es mit dem Om Purnam, welches die göttliche Fülle feiert. Dann folgen die Verse des Asato ma („Geleite mich vom Nicht-Sein zum Sein“). Das Ganze wird mit der dreifachen Anrufung Jesu als „Jesus Bhagava, Jesus Isvara, Jesus Brahma“ (in etwa: „Jesus der Selige, Jesus der Herr, Jesus der Göttliche“) abgeschlossen. Die Hymnen enthalten einige Passagen der Upanischaden, die nach traditionellen Weisen gesungen werden, die Robert Antoine, ein Jesuit aus Kalkutta, komponiert hat. Die Psalmodien werden durch Prostrationen, sog. Anjalis, das Auflegen von Weihrauch und das Erheben der fünfflammigen Lampe unterbrochen.9 Ende Mai 1957 verschlechtert sich Monchanins ohnehin angegriffener Gesundheitszustand, was einen Krankenhausaufenthalt in Pondicherry und am 10. September seinen Flug von Bombay nach Frankreich nötig macht. Einen Monat später, am späten Vormittag des 10. Oktober 1957, stirbt Jules Monchanin im Krankenhaus Saint-Antoine in Paris. Auf seinem Grab auf dem Friedhof von Bièvres (Diözese Evry) findet sich das in Sanskrit wiedergegebene Phonem „Om“ (geschrieben in der Devanāgari-Schrift) zusammen mit einer indischen Raute (Ruota) und dem Benediktskreuz: „Für die Experten ist dieses Phonem die Synthese der Veden. Es ist auch die nasale Resonanz, die sich fühlen lässt, in Indien, am Beginn und am Ende einer Meditationszeit.“10 Später wird hier auch noch Monchanins Freund Edouard Duperray beigesetzt. Nach Jules Monchanins Tod lebt Henri Le Saux noch einige Zeit allein im Aschram, bevor er als Einsiedler nach Gyansu/Uttakashi im Himalaya geht. Den Aschram, der bis heute besteht, übernimmt 1968 eine Gruppe von Mönchen um den aus England stammenden Benediktiner Bede Griffiths (1906–1993).11

      Das missionarische Anliegen Monchanins

      Auch wenn sich Jules Monchanin dafür entscheidet, nach Indien zu gehen und sich besonders dem Hinduismus zu widmen, so sind seine Aufenthalte in Nordafrika und sein Engagement im jüdisch-christlichen Gespräch ebenfalls auf seine vollkommen „katholische“ (im Sinne von „universell“) Hoffnung zurückzuführen, dass alle Zivilisationen und Kulturen in Christus, in seinem mystischen Leib, wieder aufgebaut werden. Dies beschreibt er eindrücklich in Ein persönliches Itinerarium und ein missionarischer Plan, wo er alle Zivilisationen berücksichtigt: „Es gibt eine Berufung der Völker: Der Islam – Er ist das Schwert des Cherubim, der den Schutzwall der Transzendenz bewacht. Israel – vereinigt sich für die Sammlung der Völker in Hinsicht auf die eschatologische Vollendung. Die Schwarzen – das ist die Evangelisierung des Unterbewusstseins (welches der Primitive bewohnt) bis in seine abgründigen Tiefen hinein. Wie der Fischer, der in Meerestiefen hinabsteigt, um den Seestern heraufzubringen. Und dann wird der Primitive auch als Induktionsfaden dienen, um die Frohe Botschaft den Menschen der Vorgeschichte zu verkünden. Das Gebet geht den Lauf der Zeit zurück, der Augenblick durchdringt die Ewigkeit. China – das wird die Inkarnation sein: Es wird die ganze Harmonie der Inkarnation enthüllen. Indien – das wird die trinitarische