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Geist & Leben 2/2020


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es, die Unterbrechung, die Pause nun in der asketischen Existenz einzuüben, zu praktizieren. Das bedeutet auch für die strengen Wüstenmönche, mitunter Pause zu machen, auch von der Askese und den geistlichen Übungen. Für frisches Wasser zu sorgen, kann anapauein heißen, also erfrischen, erquicken (I 185). Anapausis kann bedeuten, regelmäßig eine Pause vom Fasten zu machen und besser jeden Tag ein halbes Brot zu essen als nur jeden zweiten Tag ein ganzes (I 206). Auch das Mönchsein benötigt eine Pausentaste, welche das Geschehen zwischendurch anzuhalten vermag – und „aufhören“ oder „anhalten“ ist tatsächlich auch eine der gewöhnlichen Wortbedeutungen von anapauein.

      Nun verbinden wir heute die Pause vor allem mit „Arbeit“. Ihr gilt ja unsere ganze Anspannung. Als Pause von der Arbeit dienen uns deshalb auch Entspannungstechniken. Für die Wüstenmönche sieht es geradezu umgekehrt aus: Ihre Hauptbeschäftigung ist das meditierende Sitzen, das Gebet, das Schweigen. Allerdings arbeiten sie auch, für ihren Lebensunterhalt und um nicht dem Müßiggang zu verfallen. Aber diese Arbeit soll gerade keinen hohen Eigenwert haben. Sie soll wie nebenbei ablaufen, soll „leicht von der Hand“ gehen9. So berichtet eine anonyme Geschichte davon, wie ein großer Alter sich die Arbeit jüngerer Brüder vorführen lässt: Seile flechten oder Binsenmatten oder Siebe anfertigen, all das heißt er gut, auch das Schönschreiben. Aber: „Für das Leinenweben habe ich nichts übrig, weil es geschäftig ist.“ (II 170) Offenbar ist diese Tätigkeit zu sehr auf das Produkt gerichtet und das Produkt zu wertvoll – so wird die Arbeit zum eigentlichen Zweck, sie absorbiert den Mönch, und damit auch seine Ruhe.

      Der Mönch soll sich nicht an seine Arbeit verlieren, indem es ihm in der Arbeit um das Produkt geht. Er soll zur Welt der Dinge Distanz, ja Indifferenz gewinnen, um zu sich selbst zu finden. Die Arbeit der Mönche dient gerade ihrer Loslösung von der „Welt“. Deshalb werden in den Apophtegmata Pausen von der Arbeit nie Thema. Eher hat die Arbeit selbst Pausencharakter, ganz im Wortsinn unseres Leitbegriffs: weil sie ruhig sein soll.

      Versacken

      Doch nun die irritierende Gegenprobe: Anapausis ist an einer Vielzahl von Stellen ein deutlich negativ besetzter Begriff. Anapausis ist geradezu das, wovon der Mönch geflohen ist – und was er unter allen Umständen zu vermeiden hat, was er sogar „hassen“ (III 62) soll!

      Zunächst einmal gibt es die falsche, satte, bürgerliche „Ruhe dieser Welt“ (I 166). Das kann die „leibliche Ruhe“ sein (I 232), oder auch „Gewinn und Ehre“ (III 43), also natürlich auch „Geld“, das bekanntlich beruhigt (III 51), aber auch die eigenen „Wünsche und die Selbstrechtfertigungen“ (III 45 f.). All dies wird in offensichtlich ablehnendem Sinn mit Anapausis identifiziert. Von ihr wendet der Mönch sich gerade ab. „Kennzeichen des zur wahren αναπαυσις führenden Weges ist der von Mühe und Entbehrung gekennzeichnete Anfang; wo das Gegenteil der Fall ist, handelt es sich um eine irdische, gewissermaßen teuflische Ruhe.“10

      Da freut sich zum Beispiel einer, dass er die Leidenschaften überwunden hat: Er habe Ruhe gefunden und keinen inneren Kampf mehr. Doch Johannes Kolobos tadelt den selbstsicheren Bruder: „Geh und bitte Gott, dass der Kampf (wieder) zu dir komme, und die Not und Demut, die du vorher hattest. Denn durch die Kämpfe schreitet die Seele fort.“ (I 131) Ein anonymer Alter spricht paradox von einer Anapausis, welche das Anapauein verhindert: „Solange du mit Zufriedenheit (anapausis; d.h. die Ruhe, die satte Zufriedenheit) handelst, solange kannst du Gott nicht beruhigen (anapauo).“ (III 39) Hier schlägt die Rede von der Anapausis in einem Satz von der gewonnenen eigenen Ruhe zur verlorenen Ruhe um, die eigentlich die Ruhe Gottes selbst ist.

      Dagegen hilft nur der erneute Aufbruch: „Wer Ruhe hat, lasse sie und ergreife den engen Weg.“ (I 250) In diesem Sinn gibt es nie Ruhe für die Mönche. Sie dürfen mit ihrem Bemühen, mit ihrem inneren Weg „nicht aufhören“ (I 295), und Aufhören heißt eben auch Anapauein. Die Mönche suchen die Ruhe – indem sie die (falsche) Ruhe fliehen. Aber was macht den Unterschied zwischen gesuchter und falscher Ruhe aus? Sicher lassen sich, wie gerade gezeigt, Faulheit und spirituelle Ruhe unterscheiden – aber ist dieser Unterschied immer sichtbar, äußerlich, phänomenal zu beobachten?

      „Viele nahmen sich jetzt schon die Gelegenheit zur Ruhe, bevor Gott sie ihnen gewährte“, sagt Abbas Theodoros von Pherme (I 116). Hier unterscheidet die Zeit zwischen richtiger und falscher Ruhe. Gelegenheit heißt im Original: Kairos – ein wichtiges Wort des Neuen Testaments. Kairos ist der gegebene, geschenkte, von Gott gewirkte richtige Augenblick, den es zu erkennen und zu erfassen gilt. Ihn eigenmächtig vorwegzunehmen, bedeutet, zu früh aufzuhören und eine Flucht vor der Berufung. Echte Ruhe ist nicht machbar: „Wenn wir der Ruhe nachjagen, flieht uns die Gnade Gottes, wenn wir (die Ruhe) fliehen, jagt sie uns nach.“ (III 45)

      Dagegen zitiert Poimen einmal mit bewusster Freude an der Paradoxie einen Ausspruch des Presbyters Isidoros, nach dem die Mönche „der Mühe wegen an diesen Ort gekommen“ seien. Wenn die Brüder zu versacken drohen, dann möchte Isidoros wieder aufbrechen, „um wegzugehen, wo Mühe ist und ich dort Ruhe finde“ (I 233). Ruhe finden, wo Mühe ist: Das erinnert an den Vers aus dem (mittelalterlichen, klösterlichen) Pfingsthymnus Veni Creator Spiritus, wo es vom Heiligen Geist heißt: „In der Unrast schenkst du Ruh‘.“ Diese Ruhe wird also nicht nach oder zwischen der Unrast geschenkt, gerade nicht als Pause, sondern mitten darin, mitten in der Mühe. Darin wird sie erkennbar als Zustand, den wir nicht selbst herstellen, jedenfalls nicht eigenmächtig jederzeit herbeiführen können.

      In diesem Sinne stehen bei Poimen zwei gegensätzliche Verwendungen von Anapausis betont in zwei Sprüchen gleich hintereinander: „Der (Eigen)wille, die Ruhe und die Gewöhnung daran werfen den Menschen nieder.“ (I 242) Das ist geistliche Selbstgefälligkeit. „Wenn du verschwiegen bist, wirst du die Ruhe haben an jedem Ort, wo du wohnst.“ (I 242) Das ist die stille Erwartungshaltung für das Geschenk der Ruhe, die sich überall einstellen kann, also auch, wo die äußeren Bedingungen denkbar schlecht dafür zu sein scheinen.

      Was diese Sprüche in paradoxer Verkürzung ausdrücken, bringt eine Geschichte um Abbas Rhomaios in eine narrative Logik. Dieser Rhomaios – ein Römer also – stammte aus wohlhabenden Verhältnissen; die Geschichte nennt dies ruhige, also Anapausis-Verhältnisse. Hier steht unser Begriff schlicht für die bürgerliche Welt. Nachdem Rhomaios schon 25 Jahre in der Wüste lebt und ein berühmter Altvater geworden ist, besucht ihn ein anderer ebensolcher, der aber ein einheimischer Ägypter ist. Er ist verwundert über die recht komfortable Lebensführung des Rhomaios: Er hat einen Knecht, weiche Kleidung, Fell und Kopfkissen auf dem Strohsack, Sandalen an den Füßen. Und dann lässt er dem Gast auch noch ein Festessen mit Gemüse und Wein bereiten. Der Ägypter ist befremdet, am nächsten Morgen will er wieder davongehen, enttäuscht, weil er keinen asketischen Heroen gefunden hat. Doch Rhomaios verwickelt ihn in ein Gespräch. Darin vergleichen sie ihre Herkunft: Der Ägypter kannte auch im weltlichen Leben nur Armut, schlief als einfacher Arbeiter auf dem Acker, kannte kein Bad und trank nie Wein. Rhomaios dagegen lebte lange im Palast des Kaisers in Konstantinopel. Die Pointe: Rhomaios hat bei seinem Gang in die Wüste viel mehr aufgegeben, sein jetziges Leben unterscheidet sich viel radikaler von dem zuvor als bei dem armen Ägypter, der nie viel anders lebte als ein Wüstenmönch. Außerdem ist Rhomaios krank und braucht deshalb die kleinen Annehmlichkeiten.

      Am Ende dieser langen Erzählung fällt dann das Wort Anapausis gleich drei Mal kurz hintereinander: Nach einer kurzen Pause lädt Rhomaios seinen Gast zum Psalmengebet ein. Der bekennt nun: „Du kamst aus einer großen Ruhe (…) von viel Ehre und Reichtum in diese Niedrigkeit und Armut.“ (I 282) Aber Rhomaios selbst sagt von sich gerade umgekehrt: „Von der großen Bedrängnis der Welt kam ich zur Ruhe.“ (ebd.) Hier ist Anapausis in dreifacher Bedeutung: die schlichte Pause; die falsche weltliche Beruhigtheit; jene Ruhe, in welche die Mönche eingehen möchten.

      Erlöst sein

      Schulz und Ziemer unterscheiden in ihrer Untersuchung drei Dimensionen der Ruhe in den Apophtegmata11: (1.) Die Ruhe als geistlicher Zustand, (2.) als geistliche Praxis bzw. spirituelle Übung und (3.) als allgemeine Erfahrung. Die paradox-gegensätzliche Zuspitzung des Begriffs, die ich zu zeigen versuchte, wird so jedoch kaum erfasst. Vor allem aber geht das Bedeutungsfeld von Anapausis noch darüber hinaus.