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Den österlichen Mehrwert im Blick


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Die deutschen Bischöfe haben einen Dialogprozess initiiert, der im Sommer 2011 mit einer großen Diskussionsveranstaltung verheißungsvoll begonnen worden ist, aber nun der weiteren Gestaltung und Entwicklung harrt. Über all dem kann eine generell nachlassende Bindung an die Institution Kirche und ein Verblassen des vor allem biblisch geprägten, personalen Gottesglaubens nicht übersehen werden.

      Zugleich zeichnen sich in den vergangenen Jahren auch interessante Aufbrüche in der Kirche ab. Mit immer wieder neuen Initiativen und Impulsen äußert sich die Kirche im Sozialen und Kulturellen. Manche weitreichende Veränderung kann man im Bereich neuer Feierformen auch mit Menschen am Rande und außerhalb der Kirche beobachten. Und, gewiss mit vielen Schwierigkeiten und Missverständnissen behaftet, versteht sich die Kirche oder besser gesagt: begreifen Kreise in der Kirche diese wieder deutlicher als eine „missionarische“ Kirche. Sie soll den Glauben überzeugend leben und dadurch an Kreativität nach innen und Anziehungskraft nach außen gewinnen. Eine neue Sensibilität für die ernsthaft gestellte Frage, was den christlichen Glauben im Kern ausmacht, ist zu beobachten. Man begegnet einer wirklichen Offenheit für die Fragen von Zeitgenossen, seien sie gläubig oder ungläubig. Zum Teil überraschend offensiv ist sie mit dem Interesse an neuen Lebensorten und -formen des Glaubens, auch an neuen Vernetzungen von Katholikinnen und Katholiken in der Gesellschaft und den Lebensfeldern der Gegenwart verbunden.

      Dem unzweifelhaften Veränderungsbedarf der Kirche auf der einen stehen eine erstaunliche Vitalität und ein Erneuerungswille auf der anderen Seite gegenüber. In dieser komplizierten Gemengelage hat Bischof Dr. Joachim Wanke 2010 in Berlin einen programmatischen Vortrag gehalten, der unter dem Titel stand „Katholische Kirche in Deutschland – wie geht es weiter? Versuch einer friedlichen Verständigung über notwendige gemeinsame Schritte“. Es sind Gedanken, die die Auseinandersetzung einmal mehr lohnen und die Perspektive mitbringen, dass sich etwas zum Guten ändern kann. Sie verlangen die offene Diskussion.

      Das vorliegende Buch sucht dieses Gespräch mit Bischof Wanke, greift einzelne seiner Anstöße auf und führt sie weiter. Mit ihm als früherem Dozenten und langjährigem Diözesanbischof herzlich verbunden, gratulieren ihm die Autorinnen und Autoren zu seinem 70. Geburtstag. Alle gehören der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt und ihrer Vorgängerinstitution als Professorinnen und Professoren wie Dozenten an. Sie wollen für die anstehenden Diskussionen in der katholischen Kirche Impulse geben, aber durchaus auch im positiven Sinne provozieren und herausfordern. Was die Beiträge vereint, ist der Wille, an Perspektiven für eine gute Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland mitzuarbeiten.

      Herausgeberin und Herausgeber danken für den Auftrag, die vorliegenden Aufsätze im Namen der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt zusammenzustellen und zu redigieren. Ein besonderer Dank gilt Matthias Kraus für den Drucksatz des Buches.

      Erfurt, am Fest des heiligen Albert Magnus,

      des Patrons der Katholisch-Theologischen Fakultät

      der Universität Erfurt

      Benedikt Kranemann und Maria Widl

       Bischof Joachim Wanke

      Gegenwärtig werden uns Bischöfen mancherlei Ratschläge gegeben, wie unsere Kirche ihre angeschlagene Glaubwürdigkeit wieder aufbessern könnte. Wir kennen die geäußerten Vorwürfe und leiden selbst unter dem, was sich als Schuld in den Reihen des Klerus und darüber hinaus gezeigt hat. Wir nehmen ein kaum zu entwirrendes Gemenge von Problemanzeigen wahr, meist untersetzt mit starker Emotionalität und Empörungsrhetorik, auf die schwer zu reagieren ist.

      Wie soll ich mich als Bischof dazu verhalten? Einsichtige Analytiker wissen um den begrenzten Handlungsspielraum, den ein Bischof, eine Bischofskonferenz insgesamt hat.

      Wie also vertieft neue Glaubwürdigkeit gewinnen? Wir wissen aus Erfahrung: Glaubwürdigkeit ist nur indirekt zu erlangen. Das gilt auch für unsere Kirche. Glaubwürdigkeit wird „geschenkt“, nicht gemacht. Sie ist nicht ein Produkt von gutem Management oder professioneller Medienarbeit (allein). Sie ergibt sich, wenn vieles zusammenkommt, vor allem Wille zur Wahrhaftigkeit, persönliche Integrität, Bereitschaft zum Gespräch, Entschiedenheit, die sich mit Menschenfreundlichkeit verbindet.

      In der Tat: Profiliertheit muss nicht abstoßend wirken, im Gegenteil: Sie weckt Interesse, wenn denn die Intention dieser Profiliertheit, deren Bedeutung für unser Menschsein (und Christsein) verständlich wird. Der österliche „Mehrwert“, den der Gottesglaube schenkt, muss in den Blick kommen. Dazu ist Kirche da, dem dient ihre Verkündigung und alles, was sie darüber hinaus tut.

      Dass es mit der Kirche weitergeht, ist keine Frage für den, der ernsthaft an die göttliche Stiftung der Kirche Jesu Christi glaubt. Die Frage ist freilich: Wie sollte sich ihr Leben in Zukunft entfalten? Welche Gestalt muss sie hierzulande, in dieser konkreten gesellschaftlichen Luft der Bundesrepublik Deutschland ausprägen? Das sind offene Fragen, über die es gemeinsam nachzudenken gilt.

      Meine Überlegungen möchten einen Beitrag dazu leisten: Es gilt nüchtern auf die Situation zu schauen, in der wir leben, aber ebenso neu die biblischen und theologischen Baupläne der Kirche anzuschauen und zu fragen, wie diese zur Grundlage von kirchlichem Umbau, Ausbau und geistlicher Erneuerung werden können.

      Ich gehe mein Thema in drei Schritten an (nach dem alten bewährten Dreischritt: sehen, urteilen, handeln). Dabei lehne ich mich an das bemerkenswerte Referat des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, an, das er bei der Herbstvollversammlung im September 2010 in Fulda gehalten hat. Er hatte dort das Bild einer hörenden, pilgernden und den Menschen dienenden Kirche entfaltet und zum Gespräch über diese „Kirchenvision“ eingeladen.

       Veränderungen in Kirche und Gesellschaft wahrnehmen („sehen“)

      Seit dem 2. Vatikanum und der nachfolgenden Würzburger Synode haben sich die Rahmenbedingungen kirchlich-katholischen Lebens in unseren Diözesen beträchtlich verändert. Manches an innerkirchlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen hat sich verschärft, anderes ist in den Hintergrund getreten. Neue Horizonte haben sich aufgetan. Seit der friedlichen Revolution 1989/90 und der nachfolgenden Wiedervereinigung ist der Anteil der nichtchristlichen Bevölkerung in der Bundesrepublik stark gewachsen. Der Prozess der europäischen Einigung ist weiter gegangen. Weltweit haben sich neue Herausforderungen in den Vordergrund geschoben: das Phänomen des Terrorismus etwa, die Klimabedrohung, die Energiefrage, aber auch ein erwachendes neues Selbstbewusstsein der großen Religionen, etwa des Islam mit den daraus erwachsenden Spannungen und Konflikten.

      Für die Kirche in Deutschland ist die Erfahrung eines sich verschärfenden Säkularismus, ja eines zum Teil aggressiven Atheismus eine geistliche Herausforderung, auf die es zu antworten gilt. Der Prozess der gesellschaftlichen Freisetzung des Einzelnen von Vorgaben und Traditionen jedweder Art geht weiter – bei gleichzeitiger Zunahme neuer, besonders ökonomischer Zwänge, die vielen zu schaffen machen. Es wächst „das Unbehagen an der Moderne“ (Charles Taylor). Es wachsen – auch über die Grenzen der Kirche hinaus – die Sorgen, wie denn der innere Zusammenhalt der Gesellschaft auf Dauer gesichert bleiben kann.

      Innerkirchlich haben sich in den letzten Jahren zunehmende Spannungen ergeben, die sich bis in den Kern unserer Gemeinden, aber auch unter Priestern und kirchlichen Mitarbeitern bemerkbar machen. Meist machen sich diese an der Frage fest, wie die Kirche auf den anhaltenden Rückgang der Priester- und Ordensberufe reagieren soll. Die Forderung nach der Ausweitung der Weihezulassung für Verheiratete und Frauen wird nachdrücklicher gestellt. Die Kirchenaustrittszahlen nehmen weiterhin zu, wobei die Gründe hierfür unterschiedlich sind. Es gelingt oft nicht, die nachfolgende Generation in das Mitleben mit der Kirche und ihren überkommenen Selbstverständlichkeiten einzubinden. Sparzwänge und deren Folgen machen sich bemerkbar. Die herkömmliche Struktur der Gemeinden wird weitmaschiger, was mancherorts viel Unmut bereitet. Mancherorts ist in den Diözesen eine resignative, ja verbitterte Grundstimmung zu beobachten. Dazu kommen Spannungen, die sich aus weltkirchlichen Vorgaben, etwa für die Zulassung zu den Sakramenten, ergeben. Viele