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Den österlichen Mehrwert im Blick


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etwa der Empfängnisregelung, schwer vermittelbar. Manche meinen, die hierarchische Verfasstheit der Kirche selbst, die Art, wie in ihr Macht ausgeübt wird, sei eine der Ursachen ihrer Reformschwäche. Sie bemängeln das Fehlen eines offenen Dialogs auch über strittige Themen bzw. ein vorschnelles Abwiegeln solcher Fragen. Es gibt Anfragen an das überkommene Verhältnis von Staat und verfasster Kirche. Der so genannte „Dritte Weg“ im Arbeitsrecht und die Rolle der Kirche als Arbeitgeberin sind nicht unumstritten.

      Wir sehen: Das ist eine Fülle von Themen und Problemanzeigen. Das alles muss besprochen, nüchtern analysiert bzw. in seiner theologischen und kirchlichen Bedeutsamkeit gewichtet und bedacht werden. Man kann sich in vielen Fragen nicht einfach auf frühere Regelungen und Selbstverständlichkeiten verlassen. Das Leben sowohl der Gesellschaft als auch das Leben der Kirche ist ständig im Fluss. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es für manche Fragen derzeit keine konsensfähigen Antworten gibt, zumindest keine, die wir in Deutschland allein geben können.

      Was bedeutet das Verblassen bzw. das Zerbröseln einer nicht mehr „christentümlichen“ Gesellschaft für unsere Kirche, für ihre Stellung in der Öffentlichkeit und den „Stil“ ihres Wirkens? Was sagt uns die Tatsache, dass sich die Bindungsfähigkeit der Menschen schwächt, besonders bei Bindungen auf Dauer, etwa bei der Übernahme einer Weiheverpflichtung oder eines Ordensgelübdes? Welche Gründe gibt es dafür? Wie gehen wir um mit dem Phänomen, dass das Durchhalten einer Ehe heute schwieriger ist als früher, trotz des guten Willens der Einzelnen? Ist die Ausweitung von Handlungsmöglichkeiten im Blick auf die Natur und das menschliche Leben in seinen Anfängen und an seinem Ende für unseren Glauben und die sittliche Bewertung mancher Entscheidungen von Bedeutung? Was zeigt sich an neuer Suche nach „Lebensfülle“ in der Gesellschaft, auch wenn dieses Suchen derzeit oft an den Kirchen vorbeigeht? Was macht die Dominanz des Ökonomischen mit uns? Was erhoffen und wie leben junge Menschen heute? Die hier nur kurz angedeuteten Fragebereiche könnten helfen, vertiefter die Wirklichkeit um uns (und unter uns) wahrzunehmen, auch wenn uns das mit manchen Ratlosigkeiten konfrontiert.

      Es geht also vornehmlich um ein vertieftes „Hören“, von dem Erzbischof Zollitsch in dem genannten Referat bei der Herbstkonferenz der DBK 2010 in Fulda sprach. Wir sollten versuchen wahrzunehmen, ob in den „Zeichen der Zeit“, und zwar der gegenwärtigen Zeit, möglicherweise Hinweise des Geistes enthalten sind, die uns besser die Absichten Gottes für seine Kirche und auch für uns Gläubige erkennen lassen.

      Es geht also um ein nüchternes Bedenken der Rahmenbedingungen unseres kirchlichen Lebens hier und heute. Für mich als Bischof etwa war es in den Jahren nach der friedlichen Revolution, nach Maueröffnung und gesellschaftlicher Liberalisierung wichtig, diesen Wandel als eine geistliche Herausforderung zu erkennen. Ist die Freiheit, die Gott uns zumutet, nicht auch religiös gesehen ein Geschenk, eine Herausforderung, die uns hilft, in mancher Hinsicht auch kirchlich ehrlicher zu leben? Hier gelten die programmatischen Anfangssätze der Pastoralkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils „Gaudium et spes“, dass der Kirche die Freude und Hoffnung, die Trauer und Angst der Menschen von heute nicht fremd bleiben darf. „Es gibt nichts wahrhaft Menschliches, was nicht in den Herzen der Jünger Christi Widerhall fände.“

       Das Evangelium neu in den Blick nehmen und in seinem Anspruch und seinem Zuspruch tiefer verstehen („urteilen“)

      Wenn sich das Gespräch innerhalb unserer Kirche nicht in den heute meist sofort diskutierten „heißen Eisen“ (Zölibat, Priesterweihe für Frauen, Umgang mit geschieden Wiederverheirateten u. ä.) verlieren soll, bedarf es eines neuen Blicks auf die Mitte unseres Glaubens: die Verheißungen Gottes und die sich daraus ergebende Antwort der persönlichen und kirchlichen Umkehr und Erneuerungsbereitschaft. Allein vor diesem, aus dem Evangelium gewonnenen Horizont heraus, ist das Gespräch auch über strittige Einzelthemen (und manches andere mehr) zielführend. Das sollte in aller Offenheit geschehen, gegebenenfalls auch kontrovers, doch in einer Haltung des gemeinsamen Fragens nach dem Willen Gottes für uns heute, in einer Gesinnung, die Einmütigkeit anstrebt und von der Liebe zur Kirche gespeist ist.

      Darum rege ich an: Es sollte alles auf den Prüfstand, was im Leben unserer Ortskirchen eine säkulare Eigendynamik entwickelt und sich von der Mitte des Evangeliums entfernt hat. „Suchet zuerst Gottes Reich [...]“ dieses Wort muss wieder einen überzeugenden Ort in der Prioritätensetzung unseres kirchlichen Handelns gewinnen. Damit meine ich durchaus keine spirituelle Lyrik. Wir brauchen in der sich verändernden Welt eine neue Verständigung über das, wozu Kirche eigentlich da ist.

      Der Auftrag der Kirche ist es, Gott zum Vorschein zu bringen, nicht sich selbst. Es ist einfach falsch zu meinen, wir müssten als Kirche eine Gegengesellschaft zur Welt bilden, vielleicht noch perfekter als diese werden. Gerade diese Mentalität hat in der Vergangenheit manche strukturelle Heuchelei verursacht. Der Schein war dann wichtiger als das Sein. Die Kirche muss sich als Ferment im Ganzen verstehen, nicht als Rückzugsort für die Vollkommenen und Reinen.

      Zudem gilt es den „eschatologischen Vorbehalt“ zu beherzigen, dem auch unser kirchliches Tun unterworfen ist. Wir brauchen den Mut, das auch Unvollkommene, aber in der konkreten Situation Evangeliumsgerechtere zu wagen. Hier greift das zweite Stichwort aus der genannten Rede von Erzbischof Zollitsch: Wir sind eine „pilgernde“ Kirche, eine Kirche, die unterwegs ist.

      Es gilt Verkrampfungen zu lösen, die daraus entstehen, immer genau zu wissen, was „das Katholische“ ist. Dieser Drang zum „Rechthaben“ lässt uns in Parteiungen zerfallen, weil wir dann dem Geist Gottes, der uns in der Wahrheit hält, nichts mehr an Führung und Wegbegleitung in unübersichtlichem Gelände zutrauen. Die latenten und z. T. offenen Schismen in unserer Kirche (Bischöfe vs. Priester; Amtsträger vs. Gottesvolk, Konservative vs. Fortschrittler, Hauptamtliche vs. Ehrenamtliche, etc.) sind „Früchte“ des Unglaubens. Ist es wirklich unsere Aufgabe, Gott gleichsam „unter die Arme“ zu greifen, als ob er ohne uns hilflos wäre? Was soll der falsche Eifer, der so manche Gruppen im rechten oder linken Kirchenspektrum umtreibt und aufeinander einprügeln lässt? Solche Polarisierungen atmen den Geist der Welt, der alles auf die Spitze treiben will und nichts von jener anderen Vollendung weiß, um die wir im Glauben wissen.

      Darüber freilich sollten wir nachdenken: Hat unsere kirchliche Durchorganisiertheit, genauer: die Erwartungen, die wir daraus ableiten, noch mit dem Evangelium zu tun? Ist ein phantasieloses Festhalten an Gewohntem und Vertrautem (Stichwort: Pastoralstrukturen) mit christlicher Hoffnung vereinbar? Ist glaubhaft, dass wir auch kirchlich in „Zelten“ leben sollten, weil die Gestalt dieser Welt (und doch wohl auch der Kirche) vergeht? Und ein ganz heißes Thema: Ist eine Diakonie, die sich gänzlich (!) von öffentlichen Geldern abhängig macht, noch Caritas Christi? Lügen wir uns nicht mit manchen kirchlichen Einrichtungen in die Tasche? Oder: Ist Kirchenzugehörigkeit auch für jene praktisch und existentiell lebbar, die nicht allen kirchlichen Erwartungen entsprechen? Oder: Warum ist hierzulande das Zeugnis für das Evangelium Nichtglaubenden gegenüber so merkwürdig verhalten und ängstlich?

      Dieser Gesprächsgang wird – so vermute ich einmal – schmerzlich sein. Aber er ist bitter notwendig.

       Verabredung konkreter, aber verbindlicher Schritte („handeln“)

      Das Gespräch über den künftigen Weg unserer Kirche in Deutschland sollte Handlungsbereiche in den Blick nehmen, bei denen wirklich etwas gemeinsam zu bewegen ist, beispielsweise etwa folgende:

       Lebensdienliche Kirche bleiben und noch mehr werden

      Es ist meine Erfahrung: Dort leuchtet das Evangelium am überzeugendsten auf, wo Christen Barmherzigkeit in die Strukturen dieser Welt einbringen. Diese Aussage meint nicht, dass die Welt keine Gerechtigkeit nötig hätte. Doch braucht der Mensch mehr als Gerechtigkeit. Dort wird das Licht des Evangeliums verbreitet, wo auch die Versager, die Zu-Kurz-Gekommenen, die Fortschrittsverlierer Beachtung und Zuwendung erfahren; wo diese von anderen hören: „Du bist keine Fehlkonstruktion, sondern du bist eine Sonderanfertigung Gottes!“ (für mich, für unsere Kirche). Hier lagen und liegen übrigens die überzeugenden Stärken unserer Caritas, der verfassten und der ehrenamtlichen. Hier bewährt sich auch die Ausstrahlungskraft unserer katholischen Verbände und Gemeinschaften.

      Diese „Einfärbung“