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Den österlichen Mehrwert im Blick


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Hier sind Bischöfe, Seelsorger und Theologen gefordert, den auch kirchenrechtlich gegebenen Spielraum für Lösungen in besonderen Lebenssituationen auszuloten. Bloßes Verurteilen und Ausgrenzen als einzige Antwort auf heutige Lebensprobleme verdunkeln das Evangelium. Das Scheitern oder das Zurückbleiben hinter dem, wozu uns das Evangelium drängt, muss dabei nicht kaschiert oder gar zur Normalität erklärt werden. Einem Kranken ist nicht geholfen, wenn man seine Not bagatellisiert. Doch sollte gelten: Auch der Gescheiterte kann sich auf Christus hin in Bewegung setzen, wenn auch manchmal nur auf Krücken.

      Hier geht es also um das dritte Stichwort in der Rede von Erzbischof Zollitsch: Die Kirche ist am meisten bei sich selbst und ihrem ureigensten Auftrag, wenn sie „dient“. Dienende Kirche sind wir gottlob schon auf vielfältigste Weise, öffentlich und verborgen, als Einzelne und gemeinschaftlich, auch in der Seelsorge, in der Begleitung, im Angebot des Bußsakraments. Wir fangen mit der im kirchlichen Innenraum geübten Barmherzigkeit nicht beim Nullpunkt an. Freilich: Wie sieht heute konkret Barmherzigkeit aus? Wissen wir das wirklich? Gerade nichtprofessionelle „Barmherzigkeitsdienste“ werden künftig noch mehr gefragt sein. Es lohnt sich, darüber zu reden. In einem Beitrag vom 18. Juni 2010 im „Rheinischen Merkur“, der die Vision einer den Menschen dienenden Kirche in den Blick nahm, habe ich diese Frage noch einmal aufgeworfen. Ich hatte dabei auf die Werke der Barmherzigkeit verwiesen, die wir im Elisabethjahr 2007 „auf thüringisch“ neu durchbuchstabiert hatten. Das Echo darauf hat mir gezeigt, wie sehr sich Menschen davon ansprechen lassen.

      Als Seelsorger kann ich durchaus die oft komplizierten Lebenssituationen der Menschen würdigen und in meinem Handeln berücksichtigen. Im Umgang mit konkreten Lebenssituationen könnte unsere Kirche vom ostkirchlichen „Ökonomie-Prinzip“1 lernen, auch wenn wir wissen, dass damit nicht alle Probleme gelöst sind. Unsere Seelsorge kann helfen, Menschen auf Christus hin in Bewegung zu bringen. Wir brauchen noch stärker eine Pastoral, die gestuft der Situation der Menschen in ihren Unterschiedlichkeiten Rechnung trägt, auch der Tatsache, dass Menschen scheitern können.

      In unserer praktischen Diakonie tun wir das. Deswegen sind wir dort überzeugend und finden Vertrauen. Das sollte für uns eine Herausforderung sein. Warum nur leibliche Diakonie und nicht auch pastorale? Wenn das Erbarmen die Grundsignatur des Evangeliums ist, dann sind Caritas und Pastoral Geschwister im Geist. Es gibt „Sakramente“, die vor den Kirchentüren gespendet werden, wie Hans Urs von Balthasar formuliert hat. Nach Christus hungern mehr Menschen als nur jene, die unseren kirchlichen Normen entsprechen.

      Nur eine, mir freilich wichtige, Nebenbemerkung: Wir spüren, dass sich die Sozialgestalt des Kirchlichen in der Gesellschaft langsam wandelt. Die bislang tragende pfarrliche Seelsorgestruktur dünnt sich aus. Sie wird gleichsam weitmaschiger. Sie entspricht zudem oft nicht mehr einer mobil gewordenen Welt, in der Menschen, besonders junge Menschen, sich anders verorten als früher.

      Ich möchte einmal folgendes Bild gebrauchen: Wenn sich der Aggregatzustand eines Elementes verändert, also z. B. Wasser verdunstet, verliert sich dieses Element nicht. Es bleibt vorhanden. Und es ist zu erwarten, dass es sich in absehbarer Zeit neu „kondensiert“, in einer neuen Gestalt sich zurückmeldet. Das, was unsere herkömmlichen Gemeinden religiös getragen hat, scheint derzeit zu verdunsten. Aber ist dann wirklich weg, was an Verlangen nach Gemeinschaft, nach Verlässlichkeit, nach Angenommen-Werden, nach der Möglichkeit, wirklich Anbetungswürdiges anbeten zu können, bislang vorhanden war? Ich meine: Nein. Aber diese tragenden Grundkomponenten einer christlich-religiösen Existenz werden sich in einem anderen, veränderten „Aggregatzustand“ bemerkbar machen. Sie werden nach neuen Ausdrucksformen suchen. Hie und da kann man das schon wachsen sehen.

      Hier tun sich also neue Türen auf. Ich mache es an dieser Beobachtung fest: Manche kirchlichen Einrichtungen, besonders auch solche sozialer Art, erreichen täglich viele Menschen, darunter auch nichtkirchliche Menschen. Ich denke an unsere Kindergärten, aber auch Schulen, Betreuungs- und Beratungseinrichtungen. Immer hängen an solchen Einrichtungen und Häusern auch Angehörige und Besucher, die solche „Brücken“ zur Kirche hin eher betreten als Kirchen und Pfarrhäuser. Wie können wir das stark machen, worin Kirche heute als „lebensdienlich“ erfahren wird? Die Deutsche Post z. B. scheut sich nicht, postalische Dienstleistungen in Lebensmittel-Discountern anzubieten. Es macht mich nachdenklich, was in der säkularen Gesellschaft an Beweglichkeit dieser Art zu beobachten ist. Sind wir kirchlich noch zu phantasielos? Ist unsere Pastoral noch zu sehr von der Vergangenheit fixiert?

       Das Handeln von Laien in der Kirche fördern und profilieren

      Ich schlage vor, den Ausbau und die „Ermächtigung“ laikaler Beauftragungen und Dienste weiter voranzubringen. Wenn das Weiheamt bei seinen spezifischen Diensten bleiben soll, wird den Getauften und Gefirmten vermehrt neue, eigenständige, aber nicht unbegleitete Verantwortung in der Verkündigung, der Liturgie, der Leitung und „ekklesialen Vernetzung“ zuwachsen.

      Ich weiß um die Unersetzbarkeit des Weiheamtes. Aber diese Unersetzbarkeit darf sich nicht so absolut setzen, als ob ohne das Weiheamt vor Ort Glaube, Hoffnung und Liebe unmöglich würden. Das demütige Selbstbewusstsein aller Getauften und Gefirmten sollte gestärkt werden. Das wird auf Dauer auch positive Auswirkungen haben für ein neu akzentuiertes Dienstprofil der weniger werdenden Kleriker. Wir haben mehr und mehr Gläubige, die in Glaubensdingen wieder neu für andere auskunftswillig und auskunftsfähig sind. Das macht mich zuversichtlich für die Kirche von morgen – übrigens auch für die Weckung geistlicher Berufungen.

      Hier gälte es Strategien der Weckung, der Akzeptanz und der Vernetzung solcher Kompetenzen zu entwickeln. Die Kirche morgen wird sich weniger auf Institutionen verlassen können, sondern sich mehr durch Gesichter ausweisen. Es muss sich noch mehr herumsprechen, dass wir die Sakramente nicht allein für uns selbst empfangen. Getauft- und Gefirmt-Sein ist immer auch Beauftragung für die Glaubensstärkung anderer.

      Wie sehen heutige Formen an verbindlicher, vielleicht zeitlich begrenzter Laienermächtigung („Beauftragungen“) aus, auch in der Pastoral? Was bewirkt Freude am Mitmachen? Was stärkt in übernommener Eigenverantwortung? Manche Möglichkeiten neuer kirchlicher Communio-Formen sind noch lange nicht ausprobiert. Ich sehe vieles wachsen, was nach Ermunterung, Begleitung (vermutlich auch nach Korrektur) ruft. Auch hier wäre von Formen heutigen bürgerschaftlichen Engagements zu lernen.

       Auf kirchliche „Leuchttürme“ setzen

      In größeren Räumen sind „Leuchttürme“, die orientieren, unersetzlich. Die Kirche in Deutschland, ein Bistum, eine Region sollte überlegen, was für sie solche „Leuchttürme“ sein können und deswegen gestärkt werden müssen. Anzusetzen wäre dort, wo Menschen etwas als für sich wichtig erfahren: Wallfahrten, bistumsweite Initiativen, herausragende kirchliche „Orte“ mit Ausstrahlung, nicht zuletzt durch eine Präsenz von Menschen, die „Türen“ offen halten. Manche Ordenshäuser sind kostbare Anlaufstellen für den geistig vagabundierenden Zeitgenossen. Nicht die Vielzahl, sondern die Qualität wäre entscheidend. Was sich als wertvoll ausweist, zieht von allein an. Mir ist deutlich: Es gibt mehr „Gottesfürchtige” und am Glauben Interessierte als wir manchmal vermuten. Nicht der sich säuberlich abschließende Kokon ist Grundfigur von Kirche, sondern das Netzwerk, in das man sich einklinken und mit Eigenem einbringen kann.

      Was hieße das konkret? Für das Gespräch mit der säkularen Gesellschaft? Für den Stil kirchlicher Präsenz in den Medien? Für die Bündelung von Kräften im Hochschul- und Ausbildungsbereich? Wir schieben oft genug noch anstehende Entscheidungen vor uns her und vergeben so Chancen. Unsere Bistümer, besonders in der Diaspora werden „Missionskirchen neueren Typs“ sein, die nicht flächendeckend, aber mit Anlauf- und Kontaktstellen zur Gesellschaft hin arbeiten müssen. Für neue Formen des Kirche-Seins kommt uns eine neue Beweglichkeit vieler Menschen entgegen. Generell gilt: Nicht unser Kleiner-Werden ist das Problem, sondern eher eine mentale Selbstmarginalisierung, für die es eigentlich keinen Grund gibt. Hier wäre manches von Minderheitskirchen anderswo zu lernen, zumindest was Selbstbewusstsein und spirituelle Ausstrahlung betrifft.

       Demütiger werden

      Bei diesem Punkt tue ich mich schwer, in Worte zu fassen, was ich derzeit empfinde. Ich sage es einmal so: Wir sollten