Wort für Wasser und Sumpf erweisen. Die Franken seien in lateinischen Schriften direkt so geschildert worden: „zwischen unwegsamen Sümpfen wohnend“, denen der Rheinmündung nämlich. Wäre man als Franke letztlich eine Sumpfpflanze, bräuchte man sich gleichwohl nicht herabgewürdigt fühlen: Vor den Sümpfen hatten die Römer höllischen Respekt; sie waren ein wichtiger Verbündeter der Germanen, als sie die römischen Legionen vernichtend schlugen, bei aller Tapferkeit.
Hans Bahlow – kein Lehrer – gilt im Kreise teutomaner Namenforschung als Unperson. Germanist von der Ausbildung, arbeitete er an den Universitäten Rostock und Hamburg als Bibliothekar. Er entwickelte eine Methode des Vergleichens, um verklungenen Wurzeln und dem Sinn alter Namen auf die Schliche zu kommen. Sie fand heftige Kritik. Ernsthafte Auseinandersetzung mit Inhalten suchte die traditionelle Namenforschung aber nicht gerade. Freilich wirkt sein Hauptwerk über „Deutschlands geographische Namenwelt“ fast privat, so schwer macht er es den Lesern. Quellen und Literatur fehlen meist, die Systematik ist nicht gerade eingängig. Lässt man sich aber darauf ein, ist es ungemein anregend. Prüfen muss man immer: Bei ihm wie bei den Traditionalisten. Bahlow starb 1982. Seine Gegner überzogen ihn noch postum mit Hohn. Die Pein scheint wirklich groß.
Kurz sei an jene Orts- und Örtlichkeitsnamen erinnert, die sich mit Franken schmücken. So wenige sind es nicht, darunter auch Gewässer. Gehen die wirklich alle auf freie Franken zurück, oder liegt nicht bei manchen das Wasserwort ‚frank‘ näher? Bei Frankenried und Frankenau, gleich mehrfach vorhanden, wäre das schon zu prüfen. Wir beschränken uns aber auf einen Ort in unserem Gebiet, der – zwei Volksnamen verknüpft. Wirklich? Frankenwinheim, schon Mitte des 8. Jahrhunderts in Urkunden genannt, bei Gerolzhofen gelegen. Damals war es noch frankenlos und blieb es lange. Erst 1574 tauchte der Zusatz auf: Franckenwindtheim. Die ältere Namenforschung sah, immer gern martialisch: Wendenheim, den Franken unterworfen. Die jüngere bleibt zwar bei den Wenden oder Slawen; Franken habe man lediglich unterscheidend zum Ort Burgwinheim bei Bamberg beigefügt.
Nun liegen bestimmt die Hälfte der Orte mit „win / wind“ und Varianten in Gegenden, wo niemals Wenden weilten. Auch das Land zwischen Steigerwald und Main bleibt westlich ihres Verbreitungsgebiets. Mit Bahlow könnten wir an ‚wind‘ mit seinen Spielarten ‚wend‘ und ‚wand‘ denken, ein prähistorisches Wort für Wasser, Sumpf, Moor: das schon Wilhelm von Humboldt erkannt habe! Schick, sich auf den Begründer der vergleichenden Sprachwissenschaft zu stützen. Grob gesagt verkörpert sie das Konkurrenzmodell zum Germanistenansatz, tunlichst alles deutsch zu erklären. Vergleichend meint eben auch, für Namenforscher sei es hilfreich, außer Deutsch wenigstens eine weitere Sprache zu beherrschen. Humboldt war mit einem guten Dutzend vertraut.
Kommen wir also, wie versprochen, noch einmal auf Mainbernheim und Mainstockheim. Im ersten erkennt Bahlow weder einen ‚Bero‘ noch den Bären, sondern ein prähistorisches Wasserwort ‚ber‘ für Schlamm und Morast. Es hätte sich demnach um eine Siedlung am Sumpf gehandelt. Im zweiten sieht er stagnierendes Wasser, wie es sich im Wort stocken zeigt, und keine Baumstöcke. Fern dem Getriebe der Fachgelehrten halten wir es mit Ludwig Braunfels und lassen alle glauben, was ihnen dünkt. Um die Existenz verschiedener Denkmodelle sollten sie aber schon wissen.
Esche zu Asche
Bahlow allein im Sumpf? Alles andere als das. Manches von dem, was er schreibt, kann man ohne lange Suche auf indogermanische Wurzeln zurückführen. Das gerade im letzten Absatz genannte ‚ber‘ zum Beispiel. Julius Pokorny und sein „Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch“ laden stets zu erhellenden Sprachexkursionen ein. Natürlich müssen dazu die örtlichen Gegebenheiten passen: so, wie sie früher waren. Bei Mainbernheim trifft das zu, und einige weitere Namen im Umfeld lassen sich zwanglos mit Wasserbegriffen verbinden. Nah bei Bahlow liest sich manches von Jürgen Udolph. Theo Vennemann, beharrlicher Kritiker der Volksetymologie, bricht Lanzen für ihn und schreckt vor dem namenkundlichen Establishment kein bisschen zurück. Köstlich zu lesen seine Kritik der Deutung vieler Ortsnamen durch Reitzenstein.
Drei der eben genannten Wissenschaftler haben wir noch nicht vorgestellt. Julius Pokorny, er starb 1970, lehrte als Keltologe und Linguist an mehreren Hochschulen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz. Er gab 1958 das gerade erwähnte Indogermanische Wörterbuch heraus, welches noch heute Maßstäbe setzt. Jürgen Udolph, 1943 geboren, ist vielen bekannt als der nette Professor von Rundfunk und Fernsehen, der so schön Familiennamen erklärt. Der Slawist forschte zu slawischen und alteuropäischen Gewässernamen und zur Herkunft der Germanen. Bis zur Emeritierung hatte er den einzigen deutschen Lehrstuhl für Namenforschung an der Universität Leipzig inne. Der 1937 geborene Linguist Theo Vennemann lehrte bis zur Emeritierung 2005 an der Universität München. Seine Forschungen gelten den ältesten Namenschichten, in denen er Reste von Sprachen sucht, die vor dem Indogermanischen in Europa gesprochen wurden.
Wasserwörter faszinierten nicht nur Bahlow. Ein anderer Pionier wirkte sogar lange in Würzburg: Hans Krahe. Geboren 1898, lehrte er von 1934 bis 1946 hier an der Universität. Dort gründete er 1942 das Archiv für Gewässernamen Deutschlands, dessen Bestände 1945 vernichtet wurden. Auch zum Namen des Mains forschte er. Er fand heraus: Es gibt in Europa Gewässernamen, die nicht aus indogermanischen Einzelsprachen erklärbar sind. Wir müssen über Grenzen schauen: Der Vergleich ähnlicher, verwandter Namen gibt Auskunft über sprachliche Verhältnisse. Volksetymologie klebt immer nur am einzelnen Namen. Dabei gewährt der übergeordnete Blick mehr Einsicht sogar dort, wo Deutung aus dem Deutschen möglich ist.
Legen wir erst ein paar Erlen um, bevor wir Eschen fällen. Die nämlich halten ein schönes Beispiel bereit für die Beliebigkeit volksetymologischer Namendeutung. Erlabrunn unterhalb Würzburgs am Main taucht Anfang des 9. Jahrhunderts in Urkunden auf: als Harnobrunno und Arinebrunno; erst im 12. Jahrhundert begegnet uns die spätere Schreibung: Erlinbrunnan. Obwohl nun Reitzenstein im Erstbeleg den Harn und Urin erkennt, weist der Name für ihn auf die von Erlen umstandene Quelle. Das ist sie aber – rein sprachlich – erst seit dem hohen Mittelalter. Wie es zum Wechsel kam, wissen wir nicht. Meist steckt ein Kanzleischreiber dahinter, der die alte Schreibweise nicht mehr verstand oder für falsch hielt und sie nach seinem Gutdünken abänderte. Den Erlabrunnern mag das gefallen, die lieber eine Erlenquelle besingen als einen Urinbrunnen. Dabei spricht die alte Bezeichnung im Grunde nur von unreinem Wasser, also erdigem etwa.
Oerlenbach wiederum, zwischen Schweinfurt und Münnerstadt gelegen, heißt anno 953 Orinebach. Reitzenstein rätselt über altnordisches ‚aurr‘: mit Stein untermischter Sand, Feuchtigkeit, Nässe. Was exotisch das Wässrige trifft. Althochdeutsch ‚horuuin‘: sumpfig, schmutzig, kotig kennt er. Sieht aber nicht genannte lautliche Schwierigkeiten. Dabei sind Orinebach und Arinebrunno fast identisch im ersten Wortteil, wenn man den häufigen Wechsel der Vokale im Sinn behält. Es wird halt auch hier ein Matschbach den Namen geliefert haben, wie dort eine Sumpfquelle den Brunnen speiste.
In die Kategorie fallen weiters Erlach und Erlasee. Erlenbach sowieso, in Deutschland nicht gerade selten. In unserm Raum liegt eines Wörth gegenüber am Main, ein anderes oberhalb Lengfurt und Marktheidenfeld. Gemeinhin werden sie alle gleichermaßen erklärt als Orte am Erlenwasser oder am Erlensee, als mit Erlen bestandene Bäche. Ausschließen kann man die Erlen natürlich nicht ohne Weiteres. Bahlow bietet den Bach im Erlicht, in sumpfigem Gelände als Erklärung. Für ihn spiegeln alte Namen äußere Gegebenheiten, beziehen sich auf Wasser oder die Bodennatur. Pflanzennamen wurzeln gelegentlich in Wasserwörtern. Das Erlenbruch bezeichnet gar einen besonderen feuchten Standort, bei dem die Erle einen Leitbaum stellt. Die Erlenbäche greifen im Grunde also beides auf, man darf es nur nicht modern idyllisch sehen. Zumal die Alten das Bruch als gefahrvollen Ort sahen und mit allerlei Mythen und Märchen belegten. Nahe dem Zeubelrieder Moor liegt unser Erlach. Übrigens hieß Wörth ursprünglich ebenfalls Erlebach. Im späteren Namen steckt: ‚wert‘, ein erhöhtes Stück Land in Sümpfen.
Was nun die Esche betrifft, so hatte Bahlow die Baum-Etymologie rasch gefällt. Und Vennemann assistiert ihm ähnlich radikal, indem er an die ‚asc-‘ Namen in Frankreich, Italien, Spanien erinnert. Sie alle gehen auf ein verklungenes Wasserwort ‚asc‘ zurück, das vielleicht noch einen schwachen Nachhall zeigt im schweizerischen Ausdruck ‚ascher‘