Bernd Eusemann

Mainfränkische Ortsnamen erzählen Geschichte(n)


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Der Herd dieses Ortsnamentyps liegt von Fulda bis ins Land um Meiningen. Geortet hat ihn Mitte des 19. Jahrhunderts Ernst Förstemann. Das Werk des Altmeisters deutscher Namenforschung ist bis heute allgegenwärtig, trotz unbestrittener Mängel aus neuer Sicht. Die traditionelle Deutung beruft sich unbeirrt auf ihn, obwohl auch in diesem Lager mit Leidenschaft über eine Revision vielfach debattiert wurde. Förstemann selbst hatte schon darauf hingewiesen, es seien vorgermanische Einflüsse noch nicht genügend untersucht.

      Zu nämlicher Zeit erzählte Ludwig Braunfels in seinem Buch über „Die Mainufer und ihre nächsten Umgebungen“ von scherzhaften Ortsnamen: Als einem Würzburger Fürstbischof auf der Hasenjagd das Langohr entwischte, seufzte er: „Has furt“ – und ließ an jener Stelle Haßfurt errichten; als er hernach zwei Löffel erspähte und den Hasen darunter wähnte, erregte er sich: „Der is! Der is!“ – was ihn zur Gründung des Klosters Theres animierte; endlich entließ er seine erschöpften Jäger: „Geht heim!“ – woran Gädheim erinnere. Da berühren sich Volksetymologie und Namenforschung: Auch diese bezieht in ihre Deutungsversuche mundartliche Formen mit ein.

      Betrachten wir ein paar Ortsnamen aus einem Klassiker: „Unterfränkisches Orts=Namen=Buch“ von Anton Schumm. Die zweite Auflage erschien 1901. Anders als der augenzwinkernde Fritz Dunkel und der heitere Reisende Ludwig Braunfels versteht Anton Schumm sein Werk durchaus ernst, hegt wissenschaftlichen Ehrgeiz. Greifen wir einige Beispiele heraus, die es zu gehöriger Prominenz bei Lachern wie Deutern gleichermaßen brachten.

      Das köstliche Gückelhirn beispielsweise, ein kleiner Weiler, heute zu Maroldsweisach gehörig. Bei Schumm finden wir die Siedlung in den Haßbergen als Gickelhirn genannt. Er liest das hirn als ‚horn‘ oder ‚hürn‘, was eine vorspringende und wenig bewaldete Bergspitze meine; den ‚gickel‘ stellt er zu ‚cucullus‘, verrät uns aber leider nicht, warum er aufs Lateinische verfällt; als Bedeutung werden wir mit Gugel und Kaputze überrascht: Schumm interpretiert den Ortsnamen als einen Bergvorsprung, der wie eine Kaputze aussieht. Das würde man sich doch gerne bildlich vorstellen. Vielleicht stieß Schumm ja in Grimms Wörterbuch der Deutschen Sprache auf Gugel, denn dort findet sich hierfür die Ableitung von ‚cucullus‘. Wenn man denn schon dieses ‚cucullus‘ ernst nehmen wollte, könnte man ein wenig weiterspinnen: Es kam offenbar als gallisches Lehnwort in die lateinische Sprache, und Mainfranken war Keltenland. Wäre da die Suche nach einem keltischen Wort nicht lohnender?

      Als früher Sammler in solchen Gefilden zog sich Franz Josef Mone gar eine „rügende Abmahnung“ von Jacob Grimm zu, dem Übervater der Germanistik. Wir trauen uns trotzdem einen Blick in seine „Celtische Forschungen zur Geschichte Mitteleuropas“ aus dem Jahre 1857. Da erklärt er gückel als germanisierte Form eines keltischen Wortes, wie es im irischen coiche vorliegt. Demnach trägt es die Bedeutung: hoher Berg, und es findet sich in weiteren Ortsnamen. Nennen wir hier nur Gügel: Die Kapelle nahe dem oberfränkischen Scheßlitz liegt auf schroffem Fels, der zuvor schon eine alte Befestigung trug; benachbart ragt die Giechburg auf einem Berg, der in der Jungsteinzeit und später von Kelten besiedelt wurde. Deutung in der Richtung bietet sich an. Der Vorwurf der „Celtomanie“, dem sich Mone ausgesetzt sah, hatte viel mit nationalen Gefühlswallungen zu tun: Sprachliche und historische Studien dieser Art kamen für manche einer Preisgabe „Teutschlands“ gleich.

      Der studierte Philologe und Historiker Mone führte ein bewegtes Leben und hinterließ auf vielen verschiedenen Feldern bleibende Spuren. Selbstsicher zahlte er Grimm und Konsorten mit gleicher Münze heim und zieh sie der „Germanomanie“ in ihrem Eifer, sprachlich widerstrebende Namen auf Biegen und Brechen fürs Deutsche zu retten. Im Grunde zieht sich diese Front bis heute durch die Namenforschung. Das monumentale Werk Mones kann man nicht unbedenklich nutzen. Unsere linguistischen, historischen und archäologischen Kenntnisse sind seither beträchtlich gewachsen. Doch sein Ansatz bleibt inspirierend. Es ginge also um eine Würdigung und Bewertung mit dem heutigen Wissensstand. Gugel eben, in Schweizer Bergnamen nicht unüblich. Die Schweiz war keltisches Siedelgebiet durch und durch.

      Hans Bahlow hat ebenfalls eine Erklärung, in seinem gewohnten Muster: ‚Guck‘ und ‚gug‘ erschließt er als bislang unerkannte Sumpfwörter, in den Wörterbüchern des alten Sprachguts nicht enthalten. Er führt sogar ein historisch verbürgtes Volk ins Feld, die am Niederrhein siedelnden Gugerni, offenbar keltisch. Es würde sich jedenfalls in dieses ganze Szenario fügen. Der weite Bogen von Hochrhön und Grabfeld bis zu den Haßbergen und darüber hinaus war einst ebenfalls von keltischen Stämmen besiedelt. Das belegen archäologische Funde, so mancher Ortsname legt davon noch immer Zeugnis ab – vielleicht auch Gückelhirn. Eine weitere Stütze sieht Bahlow im ‚hirn‘: Bestandteil vieler Orts-, Bach- und Flurnamen, steckt darin ‚hur‘ im Sinn von Schmutz und Morast; es bildet eine Variante zum Sumpfwort ‚hor‘, noch im Althochdeutschen lebendig. Und so wie ‚horn‘ eben nicht immer nur den Bergvorsprung markiert, meint ‚hurn‘ ebenfalls den Sumpf. Als Gugelhurne taucht Gückelhirn anno 1232 auch erstmals urkundlich auf.

      En passant streiften wir einen wichtigen Ortsnamentypus: nach der örtlichen Gegebenheit. Wobei ganz alte Namen eher auf den Boden abheben denn auf Geländeformen – sagen Namenforscher. Tatsächlich entstanden ja viele Ortsnamen aus ursprünglichen Flurnamen. Für Ackerbauern ist die Natur der Böden wichtig. Für nomadisch lebende Viehzüchter spielen auch andere Kriterien eine Rolle. Siedelnden wie umherstreifenden Menschen gemeinsam war die überragende Bedeutung von Wasser: als unverzichtbares Lebenselement, als Leitlinie für Wanderbewegungen und Siedelplätze, als Bedrohung oder doch jedenfalls Hindernis in Form großer Moorgebiete.

      Gewagt erscheint es, sich allein auf Sprachliches bei der Deutung von Ortsnamen zu verlassen. Für spezielle Fragestellungen geht es an, solange man weiß, was man tut. Ansonsten gehört der Blick auf die Örtlichkeit dazu: Liegt dort alles platt, zum Beispiel, drängt sich die Lesart Berg für Gugel nicht gerade auf. So einfach ist es meist freilich nicht. Dazu wäre Kenntnis nötig, wie es zur Zeit der Benennung am Orte ausgesehen hat. Trockenlegen von Sümpfen, Kahlschlag und Schwund von Wäldern, Bodenerosion durch Überweiden – die Landschaft ist seither völlig umgekrempelt. Wie also steht es nun um Gückelhirn? Nahebei wölben sich hübsche Erhebungen, möge man sich mit Schumm an Kapuzen erinnert fühlen oder nicht. Die Siedlung hingegen schmiegt sich in eine flache Mulde, die ehedem sichtlich feucht und morastig lag, wie das Quellmulden eben charakterisiert.

      Benachbart finden wir weitere Örtlichkeitsnamen mit Wasserbezug, Todtenweisach gleich unterhalb etwa. Der als Totenwissa ebenfalls anno 1232 erstmals genannte Ort enthält das Sumpfwort ‚tot‘ oder ‚tod‘ und den Bachnamen ‚wisaha‘, bezeichnet eine versumpfte Lage am moorigen Bachlauf. Toten- und Todtenbäche plätschern in ganz Deutschland; erinnert sei hier lediglich an den Todtenbach im Schwarzwald mit der Ortschaft Todtmoos, die im Namen so schön das Sumpfige bewahrt. Solche Sprünge sind in der Namenforschung nicht nur erlaubt, sondern zwingend; die Analyse sprachlich offenbar verwandter Namen, vom gleichen Bildungstyp, erschließt oft erst den Sinn und bewahrt vor Fehldeutung aus isolierter Einzelbetrachtung.

      Die Weisach, wie sie nunmehr heißt, gab dem heutigen Zentralort Maroldsweisach seinen Namen, 1118 als Landgut Wisaha genannt. Auf welch verschlungenen Wegen dieses – oder der? – Marold in die Urkunden des 14. Jahrhunderts fand, bleibt ein Geheimnis. Wenn traditionelle Namenforschung einen Personennamen wittert, aber keine belegte Person findet, sagt sie: „wohl“. Also ziemlich oft. So sei bei Maroldsweisach ein Maroald im Spiel. Wohl – dem der es glauben mag. Wir begnügen uns mit dem Hinweis auf Marbach nahebei, gelegen am Bächlein des Namens, das wenig weiter in die Weisach mündet, nicht ohne zuvor noch ein Lohr zu durchfließen: Wie jenes bekanntere am Main, genau. Doch da sind wir schon mittendrin in einem alten, langen, heftigen Grundsatzstreit der Namenforschung: dem Lar-Problem. Mit den alten Sumpf- und Wasserwörtern ‚lar‘ und ‚mar‘ und ihrer Zugehörigkeit zum Keltischen oder Germanischen oder noch älteren Sprachschichten werden wir uns später beschäftigen.

      Keltomanie ganz eigener Art schwappt seit etlichen Jahren durch Europa. So suchen zum Beispiel unsere französischen Nachbarn daraus nationale Identität zu ziehen – Asterix und Obelix lassen grüßen. Durch deutsche Wälder trampeln maskierte Druiden, Scharen im Schlepptau und suchen Heilkräuter – Auswuchs besonderer Art der Ökobewegung. An wirklichen oder vermeintlichen keltischen Kultstätten sammeln