Bernd Eusemann

Mainfränkische Ortsnamen erzählen Geschichte(n)


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hätten nichts Schriftliches hinterlassen: Dann gehen Sie besser auf Habacht. Denn vor fünftausend Jahren gab es noch keine Kelten, nicht sonstwo noch gar in Mainfranken. Ihre Zeit war die Eisenzeit, ihre Spuren finden wir im ersten vorchrislichen Jahrtausend. Das Keltische entstand aus dem Indogermanischen um 1000 vor Christus, sagen uns Sprachforscher; wie und wo genau, darüber streiten sie; ein Favorit ist die Gegend um Lyon am Westalpenrand. Und Kelten kannten Schrift, dazu liegt feine Forschung vor; nicht erst die Inselkelten in Irland und Britannien fingen mit dem Schreiben an; schon vor Christi Geburt gruben die Festlandkelten auf dem Kontinent Inschriften in Steine und Metallplatten, wie Funde aus Frankreich und Spanien zeigen. Sie enthalten – Namen!, sind für die Namenforschung besonders wertvolles Material.

      Arme Hummel, oder: Wer martert wen? Schumm ist für viele Überraschungen gut, so wenn er beim Weiler Hummelmarter nicht an ein Marterle denkt, einen Bildstock als den Inbegriff fränkischer Volksfrömmigkeit. Er tippt auf: ‚mar‘ und ‚tar‘, übersetzt das erste als Quelle, das zweite als Baum, Gesträuch. Und findet so: „Ort am hummenden, infolge des Aufenthalts der Bienen summenden Gesträuchs.“ Damit wir’s glauben mögen, rät er zum Vergleich mit dem Hummenwald. Tatsächlich gibt es im deutschsprachigen Raum etliche Ortsnamen mit hummel und hummen oder, noch mehr vereinfacht, Bildungen mit: ‚hum‘, wie ‚hun‘ ein Moorwort. Ohnehin rührt Schumm an den tieferen Sinn, wenn er bei Hummelmarter die Wurzel ‚mar‘ als Quelle ins Spiel bringt. Sie steht allerdings eher für den Quellsumpf als für eine klar sprudelnde Quelle, steckt im gallischen Wort ‚mercasius‘ und blieb erhalten im fanzösischen ‚marais‘, was eben Sumpf und Moor und Morast bedeutet.

      Beim schönen Waldfenster erinnert sich Schumm an eine ältere Schreibweise: Waldmannsloch. Er folgt namenkundlicher Methodik, wonach man von der ältesten Form eines Namens ausgeht – und möglichst die ganze Kette der folgenden Schreibweisen im Blick behält. Macht Sinn, zeigt sich in der Praxis aber als dehnbar. Selbst in der Fachliteratur wird das Rohmaterial nicht immer in der Form gereicht, die ein Urteil über die Interpretation erlaubte. Beim Waldfenster greift sich Schumm das ‚loch‘ in einer Bedeutung ‚lueg‘ und versteht dies als Auslug. Eigenwillig, erst recht die Conclusio: „Als der alte Ausdruck fiel, ersetzte man ihn sinnrichtig mit Fenster.“ Wenn schon ‚loch‘ und ‚lueg‘, so hätte er besser über die indogermanische Wurzel ‚lug‘ an schwärzlichen, sumpfigen Boden gedacht. Das wäre überzeugender, zumal dem Walde selbst sprachgeschichtlich das Feuchte innewohnt. Zum Fenster gab es auch Überlegungen, ob sich darin nicht ebenfalls der Sumpf versteckt: ‚fen‘ lautet ein englisches Wort für Moor, und die sprachliche Gemeinsamkeit mit dem ‚Venn‘ liegt auf der Hand.

      So ließen sich viele Seiten füllen. Wir könnten fragen, ob die Menschen in Kothen und Kurzewind, Fladungen und Reyersbach Probleme mit der Verdauung hatten. Da bringt man die Lacher schnell auf seine Seite. Hier ging es darum, wie merkwürdige Namen allerlei Deutung provozieren, wie der erste Anschein leicht in die Irre führt. Keinesfalls liegt mir daran, Anton Schumm vorzuführen. Er ist ein typischer Vertreter seiner Zeit, im Kuriosen wie mit treffenden Deutungen. Wir werden ihm auch weiterhin das Wort erteilen, denn für das Verständnis der Namenforschung selbst ist es allemal interessant. Er spukt mit seinen Erklärungen durch die fränkische Namenlandschaft, auch wenn die Nachschreiber meist vergessen, seinen Namen zu nennen.

      Mainfränkisches Gelächter ohne Schlüpfrigkeiten? Doch, unsere Landschaft hat Frivoles zu bieten. Jedenfalls dann, wenn wir es in die Namen hineinlesen. Denn diese selbst sind durchaus unschuldig, sogar das lautmalerisch pralle Busendorf. Schumm stellt es zu einem althochdeutschen Wort ‚busc‘, womit aus dem Busendorf ein Buschendorf würde, eins am Gebüsch. Die Erklärung vermag nicht recht zu begeistern. Andere wollen im Busen verborgen einen wieder nicht bekannten Ortsgründer erkennen; oder beim Betrachten der Lage im Gelände springt ihnen eine sinnfällige Wölbung ins Auge; noch eine Variante hört ‚busen‘ und Variationen in Gewässernamen klingen, woraus man auf ein Wasserwort ‚bus‘ schließen möchte. Die Sache ist schillernd, denn wenn wir den Personennamen außen vor lassen, so findet sich vom Busen über den Hügel bis zum Feuchten ein gemeinsamer sprachgeschichtlicher Anschluss. Just in jener Gegend liegen weitere sprechende Ortsnamen, im Grenzbereich Mainfrankens, hart im Bambergischen. Sie fordern genaue Betrachtungen geradezu heraus. Später vielleicht. In einem andern Band über unsere Nachbarregion.

      Lauschen wir an einem abschließenden Beispiel, wie sich Bierernst und mainfränkisches Gelächter treffen bei einer Namenverbindung, die Schumm gleich vierfach kennt: Poppendorf, Poppenhausen, Poppenlauer, Poppenroth. Den Jüngeren wird im Alltagsjargon das Poppen für ein gewisses Treiben vertraut sein. Allerdings wissen wir rein gar nichts über die Kraft der Lenden früherer Bewohner. Einen männlichen Gründer will die traditionelle Namendeutung aber schon erkennen: einen Poppo, auch Boppo oder Bobo. Laut Schumm bedeutet dieser Name: der junge Gebieter. Auf thüringische Ansiedelung weise er. Was mich betrifft, so weise ich hin auf den Poppengrund: kein Ort, sondern ein Tälchen, das Pfarrweisach gegenüber sich von der Weisach zum Simonskapellberg streckt. Statt nun auch noch für diesen Wiesengrund einen nirgends erwähnten Poppo zu vereinnahmen, denke ich mit Bahlow an Poppelsdorf am Rhein und Pappenheim an der Altmühl, womit sich für ‚pap‘ und ‚pop‘ ein Sumpfwort erschließt. Was Pappenheim und die Altmühl betrifft, so will ich diese überaus spannende Namenlandschaft gerne in einem Folgeband beleuchten. Selbst mit dem Kanalbau Karls des Großen zwischen Main und Donau können wir die Altmühl nicht Mainfranken zuschlagen.

      Lassen wir es gut sein mit Anzüglichkeiten, bevor am Ende noch das weinselige mainfränkische in donnerndes Homerisches Gelächter ausartet. Falls jemand den Ausflug in klassische Gefilde völlig verfehlt findet, so gebe ich zu bedenken: Am Untermain war unsere Gegend länger von den Römern besetzt. Von Fall zu Fall hilft es, antike Wurzeln in Ortsnamen zu erwägen. Auch konnten es spätere Generationen nicht lassen, immer mal wieder im Rausch etweder Moden Namen zu latinisieren, zu gräzisieren. Also: Wie uns der Dichter Homer in seiner Ilias und in der Odyssee erzählt, brachen die griechischen Götter bei zwei Anlässen in unbändiges Lachen aus: als sie einen veritablen Ehekrach zwischen Göttervater Zeus und seiner Hera mitbekamen; und als sie Aphrodite mit Ares munter in ehebrecherischem Treiben sahen – gefangen im Lotterlager durch ein Netz aus Blitzen, ausgelegt vom gehörnten Hephaistos, Gott des Feuers und der Künste, Gemahl der Aphrodite. So ging es zu auf dem Olymp, dem verlotterten. Aber doch nicht in Franken!

      Obwohl: Denk ich an Amorbach –

       Verlassen vom Liebesgott

      In einer Gegend, wo die Römerzeit so viele Spuren hinterließ, würde es kaum befremden, wenn der Name eines Gottes der antiken Mythe in deutscher Sage begegnete“, meinte Ludwig Bechstein in seinem Deutschen Sagenbuch; freilich nicht ohne zugleich einige Spitzen gegen jene loszulassen, welche „dem Herzenbewältiger Amor hier ein frühes Heiligtum“ zuweisen wollen. Er wendet sich in bemerkenswerter Weise gegen die Sucht, in Ortsnamen antike Gestalten zu heroisieren, entgegen aller Logik und jeglichen archäologischen Befunds. Die Sucht war zu seiner Zeit, in bürgerlicher Antikenschwärmerei, sehr verbreitet. Doch nicht erst da. Das fing schon im Mittelalter an.

      Bereits im 11. Jahrhundert finden wir für Amorbach, es werde als „Rivus amoris“ verstanden, als „Bach der Liebe“ mithin. Wenn auch nicht Amor selbst, so könnten doch immerhin die Römer dort gewesen sein, wenigstens für einige Zeit. Immerhin sind wir hier im Limesbereich. Wegen nahebei gefundener römischer Inschrift folgern manche, Amorbach sei Truppenstandort gewesen. Sogar ein römisches Quellheiligtum soll dort verehrt worden sein. Immerhin lasse sich aus der einen Inschrift ein Dreiborn erschließen, eine dreifache Quelle, was immer das auch sein mag; die andere hingegen nenne Nymphen, also an Quellen verehrte Schutzgeister.

      Manche sprechen von einem germanischen Quellheiligtum. Was kein Widerspruch zu sein braucht, da heilige Plätze häufig von vielen Völkern nacheinander verehrt wurden. Dieses Quellheiligtum also könnte vor den Römern von Kelten aufgesucht worden sein. Manche sehen einen Ort vorchristlicher Fruchtbarkeitskulte. Mit Sicherheit spielte es zur Zeit des frühen Christentums in jenem Raum eine Rolle. Missionare bauten häufig ihre ersten Kirchen auf alte Kultstätten: Sie empfingen ihre neuen, ihre künftigen Schäflein dort, wo diese schon immer hinzugehen pflegten.