hätten, aus Holz vielleicht. Im heutigen Kirchenbau stecken Reste eines romanischen Vorgängerbaus, der im 12. Jahrhundert über der Quelle errichtet wurde. Diese schüttet sogar bei Trockenheit immer noch vier Liter Wasser pro Sekunde. Wie es sich für einen Amorsbrunn gehört, zeigte sich sein Wasser besonders wirksam bei Kinderlosigkeit. Deswegen wallten besonders viele Frauen dorthin. Da die Quelle schon früh auch anderweitig Wundertätiges vollbrachte, ist sie im 11. Jahrhundert als Quell göttlicher Liebe bezeichnet worden. So hätten wir zwar den römischen Amor als christliche amor gebändig, aber noch immer keine rechte Erklärung für den Namen Amorbach.
Bei Anton Schumm lesen wir, der Ort sei genannt nach dem heiligen Amor, einem Schüler des heiligen Pirmin, und dieser Amor habe dort anno 734 die erste Klosterkirche errichtet. In Bechsteins Sage, deren Anfang wir eingangs hörten, wird selbiger Amor gar zum ersten Abt der Abtei, welche nach ihm den Namen trug; nach der Sage gründeten Karl Martell und Pipin diese Abtei, wobei sie Pirmin zu Rate zogen, einen Jünger des heiligen Maurus. Beim Amorsbrunn nahebei, als Gehöft genannt, hat sich Amor bisweilen sehen lassen. Nach einer andern Volkssage bat Amor dürstend Gott um Wasser, stieß seinen Stab in die Erde, schon sprudelte ein Born. Da ließ er sich in seiner Klause nieder und baute zum Dank über der Quelle eine Kirche. Schöne Legenden, wie man sie an jedem geheiligten Orte findet. Nur wissen wir nicht einmal, ob dieser sagenhafte Amor je lebte; und der heilige Pirmin weilte zur Zeit dieses Geschehens nachweislich andernorts.
Schöne Beispiele für Volksetymologie. Sie wird auch für die Schreibweise in Haftung genommen. Denn Amorbach heißt der Ort erst seit 1336, wenn wir die ganz frühen Urkunden außen vor lassen. Sie gelten als Fälschungen. In den gesicherten lesen wir Ammerbach oder Amerbach, so in einer echten Urkunde des Jahres 993. Kann es die Wissenschaft besser? Die traditionelle Namendeutung sucht also im Althochdeutschen und wird bei ‚amar‘ fündig, wie man den Sommerdinkel nannte. Weil das hübsch klingt und weil Adolf Bach versichert, die Pflanze sei in der Gegend nachgewiesen, gilt das schon als Erklärung. Aber wo in Franken sähte man den Dinkel nicht, noch heute, gerade heute wieder? Und wie dürfen wir uns das ganz praktisch vorstellen: Jemand baute hier ein Äckerlein Dinkel an und nannte sogleich den Ort danach? Oder gedieh hier Dinkel besonders gut?
Das befriedigt nicht und taugt allenfalls als Beispiel für gehobene Volksetymologie akademischen Zuschnitts. Davon verdanken wir Adolf Bach so einiges. Er schrieb eine mehrbändige „Deutsche Namenkunde“, die zwischen 1943 und 1956 erschien. Der Germanist und Volkskundler – er wurde promoviert mit einer Dissertation über Mundarten im Lahngebiet – hatte Professuren in Straßburg und Bonn. Seine Namenkunde atmet völlig den alten Geist, als einige andere Gelehrte sich bereits zu neuen Wissensufern aufmachten. Dem bequemen Wege folgend bedienen sich freilich noch viele bei ihm, nicht nur Laien, statt sich ernsthaft der Konfrontation mit sperrigen Ortsnamen zu stellen. Schon im nächsten Kapitel werden wir es gleich wieder sehen. Weil das so ist, kommt dennoch nicht an ihm vorbei, wer sich auf die Namen einlässt, von ihnen angefressen ist.
Was fangen wir jetzt an mit unserm Amorbach? Wir dürften es vielleicht ins frivole mainfränkische Fach ablegen: aber nur, solange es um vorchristliche Fruchtbarkeitsriten geht. Offensichtlich steckt im Ortsnamen ein Gewässername. Das gilt auch, wenn wir Amorsbrunn als ursprünglichen Platz vermuten und eine Übertragung des Namens auf das spätere Kloster annehmen. Amer und Ammer sind als Wasserbegriffe nicht selten, die Ammer zählt zu den vorgermanischen Flussnamen Europas. Der Platz Amorbach war schon belebt, weit bevor erste althochdeutsche Silben durch den Odenwald hallten. Selbstverständlich hatte der Ort damals einen Namen. Er wurzelt vermutlich in prähistorischer Zeit und meinte einfach dieses Wasser, diesen Quell, wobei das Wort vielleicht eine bestimmte Eigenschaft aufgriff. Durch die Zeiten ging es von Mund zu Mund, wurde dabei sicher abgeschliffen. Als dann die Germanen kamen, versahen sie vielleicht das Vorgefundene mit ihrem ‚baki‘ für ein kleines Gewässer, was dem althochdeutschen Bach nicht mehr ferne steht.
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