Sebastian Holzbrecher

Der Aktionskreis Halle


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wirken könnte.

      Dazu kam, dass dieser Kreis auch Themen aufgriff, die besonders durch das 2. Vatikanische Konzil (1962-1965) innerhalb der Katholischen Kirche zunehmend an Bedeutung gewannen. Gerade etwa im 2. Teil des Konzilsdokumentes „Kirche in der Welt von heute“ wurden konkrete Aufgabenbereiche angesprochen, bei denen es um die Mitgestaltung einer gerechten, menschenwürdigen Gesellschaft aus der Kraft des christlichen Glaubens heraus ging – in diesem Text natürlich grundsätzlich und aus einer weltweiten Perspektive heraus formuliert. Auch grundlegende Fragen nach dem Selbstverständnis der Kirche, ihrem Wesen und Auftrag wurden in diesem Konzil thematisiert und überkommene Antworten der Theologie in einen neuen Horizont des Verstehens gestellt.

      Es war das Anliegen der Konzilsväter, dass die Texte und die davon ausgehenden Impulse des Konzils weltweit in den Ortskirchen weiter bedacht und vor allem auf mögliche Konsequenzen für die einzelnen Teilkirchen in ihren z.T. ja recht unterschiedlichen Situationen hin geprüft werden sollten. In vielen Ländern fanden in der Folge des Konzils lokale Synoden statt, in der Bundesrepublik Deutschland etwa die Würzburger Synode aller dortigen Bistümer (1971-1975) und (im Beginn leicht zeitversetzt) in der DDR die Pastoralsynode in Dresden (1973-1975). Beide dienten letztlich dem Anliegen der Konzilsrezeption. Man versteht freilich den Verlauf und die Ergebnisse dieser beiden Synoden nur, wenn man bedenkt, in welchem gesellschaftlichen Kontext sie stattfanden.

      Es ist kein Geheimnis, dass Kardinal Alfred Bengsch als Vorsitzender der Berliner Ordinarienkonferenz hier seine speziellen Sorgen hatte. Er sah die Gefahr einer möglichen Vereinnahmung, ja Gleichschaltung der Katholischen Kirche durch die kommunistische Partei, wie sie ja teilweise in manchen Ländern des damaligen Ostblocks erfolgt war. Sollte das nun mit Hilfe des „trojanischen Pferdes“ falsch verstandener bzw. missbräuchlich benutzter Schlagworte des Konzils (etwa „Friedensdienst“, „politisches Engagement der Christen“, „Dialog mit dem Atheismus“; vgl. schon vorher die politisch von den DDR-Machthabern instrumentalisierte Enzyklika von Johannes XXIII. „Pacem in terris“) weiter vorangetrieben werden? Das erklärt neben anderen Gründen (etwa das angebliche Fehlen einer Kreuzestheologie) seine Ablehnung gerade des genannten Konzilsdokuments „Kirche in der Welt von heute“. Er sah nur im Kurs einer klaren Distanz zwischen Kirche und Partei - sprich: DDR-Staat - die Identität und Eigenständigkeit kirchlich-katholischen Lebens gewahrt. Dafür warb Kardinal Bengsch. Dies hatte auch gerade im Blick auf die Situation der Kirche im Ostblock eine gewisse Evidenz. Aber das war damals schon unter einzelnen Katholiken, darunter auch Priestern, nicht zuletzt auch aus theologischen Gründen umstritten.

      In dieser spannungsvollen Situation fanden sich die Protagonisten des Hallenser Gesprächskreises zusammen, um bewusst als gläubige katholische Christen, aber in einer gewissen Distanz zur kirchlichen Hierarchie, eine eigenständige Konzilsrezeption voranzutreiben. Dahinter stand natürlich auch eine Kirchenvision, die weniger „hierarchisch“ dachte als die vom „kirchlichen Berlin“ vorgegebene offizielle Marschroute. Das führte zu nicht unerheblichen Spannungen innerhalb der Katholischen Kirche in der DDR, nicht nur im Magdeburger Jurisdiktionsbezirk, wobei natürlich noch andere Ereignisse und Problemfelder der damaligen Zeit eine Rolle spielten. Nicht zu vergessen sind auch die revolutionären kulturellen Veränderungen der sog. 68er Jahre, deren Nachwirkungen via Fernsehen und Literatur (übrigens auch kirchlicher!) selbst in der DDR zu spüren waren.

      Es ist vom Verfasser der vorliegenden Studie verdienstlich und mutig zugleich, sich in einer gründlichen und ausführlichen Untersuchung dieses delikaten Themas anzunehmen, auch angesichts der Tatsache, dass manche der damals handelnden Personen noch leben. Es geht ihm dabei auch um die Klärung der Frage, inwieweit es zu einer unbeabsichtigten oder gar beabsichtigten „Unheiligen Allianz“ zwischen der damaligen Kirchenleitung und dem DDR-Staat bei der „kirchlichen Domestizierung“ des Hallenser Kreises gekommen ist. Sehr präzise und m.E. objektiv werden die vorliegenden Quellen geprüft und in ihrer Eigenart und jeweiligen Tendenz gewürdigt, wie überhaupt dieser Studie zu bescheinigen ist, dass sie viele für das Thema wichtige kirchliche und staatliche Archive gesichtet und die vorliegenden Befunde umfassend und gründlich ausgewertet hat. So ist der Leser in der Lage, zu einer nachprüfbaren und ausgewogenen Beurteilung der damaligen Geschehnisse zu kommen, bei denen sich, das sei durchaus zugegeben, wie meist in der Geschichte, Licht und Schatten gegenseitig durchdringen.

      Ich bin gewiss, dass diese Studie viele aufmerksame, vielleicht auch anders als der Verfasser urteilende Leser finden wird. Es wäre mein Wunsch, dass aus dem Rückblick auf einen spannungsvollen Wegabschnitt unserer Kirche damals Licht auf den heutigen Weg der Kirche in einer nicht minder spannungsvollen Zeit fällt. Meine Lernfrucht aus diesem hier vorgelegten Rückblick ist: Es kann in der Kirche nie genug an Transparenz, an gemeinsamem Gespräch und gegenseitigem Austausch geben. Und vor allem: Wir sollen uns innerkirchlich nicht gegenseitig vorschnell etikettieren und durch Feindbilder fixieren, sondern – in aller Unterschiedlichkeit der jeweiligen Prägungen und Denkweisen – uns auf die Hauptaufgabe einlassen, zu der Kirche zu allen Zeiten und unter allen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerufen ist: auskunftsfähig für das Evangelium zu werden. Ich gebe zu: Nicht jeder ist berufen, Märtyrer zu werden. Aber wir alle sind berufen, Zeugen für den Ostersieg unseres Herrn zu sein.

      Erfurt, im Juni 2013

      Dr. Joachim Wanke

      Bischof emeritus

       VORWORT

      „Greife niemals in ein Wespennest, doch wenn du greifst, so greife fest.“1 Der verstorbene Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky2 wies in einem Gespräch auf die Brisanz des Promotionsthemas „Aktionskreis Halle“ hin und fragte auffallend unauffällig, ob mir die Tragweite des Themas und der damit verbundene Griff ins sprichwörtliche „Wespennest“ bewusst sei. Zu jener Zeit war an eine innerkirchliche Aussöhnung oder gar ein bischöfliches Eingeständnis der Anwendung gefährlicher Ausschlussmechanismen nicht zu denken.

      Die vorliegende Arbeit wurde an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt als Promotionsschrift angenommen und für die Drucklegung überarbeitet. Sie zeichnet die Geschichte des Aktionskreises Halle im Rahmen der Konzilsrezeption des II. Vatikanums nach, wohl wissend, dass es sich dabei vor allem um eine kontrastreiche Konfliktgeschichte handelt.

      Dieses Thema wäre ohne die Hilfe und Unterstützung von verschiedener Seite nicht umsetzbar gewesen. An erster Stelle möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Josef Pilvousek danken, der mich ermuntert und begleitet hat, dieses Thema zu bearbeiten. Ohne seine wegweisende Pionierarbeit für die zeitgeschichtliche Katholizismusforschung, seine Freude und Begeisterung am historischen Arbeiten, seine Fürsprache, sein kluges Urteil sowie seine freundschaftliche Verbundenheit wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Ebenfalls danken möchte ich Prof. Dr. Klemens Richter, Münster für die Erstellung des Zweitgutachtens.

      Historische Quellen sind unverzichtbare Basis jeder historischen Arbeit. Dem Aktionskreis Halle danke ich herzlich für den uneingeschränkten Zugang zum Archiv des Kreises sowie Ursula Broghammer, Marga Schmidt und Elisabeth Brockhoff für den Zugang zu diversen Nachlässen. Explizit möchte ich Herrn Dr. Peter Willms und Herrn Joachim Garstecki für ihre Unterstützung und stete Begleitung meiner Forschungen danken.

      Den (Erz-)Bischöfen Georg Kardinal Sterzinsky von Berlin, Hans-Josef Becker von Paderborn, Dr. Gerhard Feige von Magdeburg und Dr. Joachim Wanke von Erfurt danke ich für die Erteilung von Sondergenehmigungen für die Nutzung gesperrten Archivmaterials. Mein Dank gilt ebenfalls den kirchlichen Archivleitern Dr. Michael Matscha in Erfurt, Dr. Arnold Otto in Paderborn, Dr. Gotthart Klein in Berlin und Lic. iur can. Daniel Lorek in Magdeburg. Zugleich danke ich den Archivaren des Bundesarchivs sowie der Außenstelle Erfurt des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes.

      Der Konrad-Adenauer-Stiftung danke ich für die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie für die Aufnahme in das zeitgeschichtliche Promotionskolleg „Die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten und Gesellschaften in der Zeit ihrer Teilung (1949 – 1990)“ unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Beate Neuss.

      Dem Theologischen Forschungskolleg an der Universität Erfurt