Sebastian Holzbrecher

Der Aktionskreis Halle


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an der ereignisgeschichtlichen Darstellung von Vorgängen und Entwicklungen, um dabei nach auslösenden, hemmenden und begleitenden Faktoren zu fragen. Strukturgeschichtlich wird nach den Charakteristika der basiskirchlichen Gemeinschaft in der katholischen Kirche in der DDR gefragt. Theologie- und ideengeschichtlich kommen jene Auffassungen, Einstellungen und Konzepte in den Blick, die Personen und Gruppen wirksam beeinflusst und Handlungen legitimiert und motiviert haben. Als kirchengeschichtliche Arbeit ist die vorliegende Analyse der Hermeneutik theologischer Forschung verpflichtet. Kirchengeschichte wird dabei als theologische Disziplin betrieben, die nicht nur historische Fakten und Entwicklungen festhält, sondern auch zu theologisch relevanten Ergebnissen führt. Ein derartiger Zugang zum AKH legitimiert sich nicht nur a priori durch das fachspezifische Selbstverständnis und die damit verbundene Methodik. Eine theologisch ausgerichtete Heuristik empfiehlt sich auch durch das Forschungsobjekt selbst. Die Konzilsrezeption ist insofern keine bloß von außen an den Hallenser Aktionskreis herangetragene, analytische Matrix. Sie entspringt vielmehr dem Gründungsimpuls und der bleibenden Intention der Gruppe. Der in dieser Studie verfolgte historisch-theologische Ansatz vermag es deshalb, die Entwicklungen gerade nicht losgelöst vom Selbstverständnis des Forschungsobjektes zu deuten und einzuordnen. Ein explizit sozialgeschichtlicher, soziologischer oder politikwissenschaftlicher Zugang zum Thema AKH wird in dieser Untersuchung aufgrund der damit verbundenen Aporien aus Methodologie, Forschungsobjekt und Forschungsfrage nicht verfolgt. Die breite Quellenüberlieferung in den konsultierten Archiven erlaubt nicht zuletzt durch konkrete Überlieferungsvergleiche eine differenzierte Darstellung. Auf qualifizierte Zeitzeugeninterviews wurde nur dort zurückgegriffen, wo die ansonsten umfangreiche Quellenlage widersprüchlich oder inexistent ist oder Zeitzeugen zusätzliche Hintergrundinformationen geben können.28

      4.Quellenlage

      Die kirchengeschichtliche Bearbeitung des Aktionskreises Halle kann sich auf eine breite Quellenbasis stützen. Sowohl in privaten, kirchlichen als auch staatlichen Archiven und in universitären Forschungseinrichtungen finden sich Nachlässe, Korrespondenzen, amtliche Mitteilungen, Rundschreiben, Protokolle, Tonbandaufzeichnungen und Aktenvermerke des Kreises sowie in unterschiedlicher Ausprägung auch von kirchlichen und staatlichen Antagonisten. Diese Überlieferungsdichte wird durch die bereits edierten Quellenbände ergänzt und erlaubt in weiten Teilen eine detaillierte Darstellung und Erörterung.29

      Der primäre Quellenbestand findet sich im Privatarchiv des Aktionskreises Halle, das als Depositum in der Forschungsstelle für kirchliche Zeitgeschichte in Erfurt lagert.30 Hier befinden sich Kopien der Rundbriefe, Protokolle der Vollversammlungen und Sprecherkreissitzungen, Mitgliederlisten, Empfängerlisten der Rundbriefe, Berichte über Aktivitäten, Vorträge sowie ein großer Teil der Korrespondenz des AKH und seiner Mitglieder. Das Archivmaterial ist durch verschiedene Vorarbeiten teilweise erschlossen und verzeichnet.31 Ergänzt wird dieses Privatarchiv, das den materiellen Ausgangspunkt der Forschungen darstellt, durch den Nachlass von Adolf Brockhoff 32 sowie durch private Aktensammlungen von Dr. Claus Herold33, Helmut Langos34, Joachim Garstecki35 und Dr. Peter Willms.36

      Insgesamt vier Diözesanarchive in Magdeburg, Paderborn, Berlin und Erfurt beinhalten den kirchlichen Quellenbestand jener Bischöfe, Gremien und Institutionen, die sich offiziell und inoffiziell mit dem AKH befassten.37 Dieser Bestand ist im Vergleich zum Privatarchiv des AKH oder den staatlichen Quellen auffallend gering ausgeprägt und konzentriert sich vor allem auf die Jahre 1969/70 sowie 1984/85. Die Situation eines totalitären Staates und die latente Papierknappheit in der DDR haben die Amtskirche nicht selten von einer schriftlichen Fixierung bestimmter Fragen und Positionen Abstand nehmen lassen. Im Bistumsarchiv Magdeburg (BAM) konnten die Aktensammlungen zum Aktionskreis Halle eingesehen werden, die sich neben der Sammlung der AKH-Rundbriefe vor allem auf Briefe im Zusammenhang mit den „Magdeburger Vorgängen 1969/70“ konzentrieren. Die beiden Teilnachlässe von Weihbischof Friedrich Maria Rintelen38 und Bischof Johannes Braun39 sind hinsichtlich der bischöflichen Bewertung des AKH wenig aussagekräftig.40 Deutlicher tritt allein in der vorwiegend handschriftlich überlieferten Korrespondenz zwischen Weihbischof Friedrich Maria Rintelen und dem Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger41 die Einschätzung von bestimmten Personen und Entwicklungen zutage. Eine Vielzahl von Akten des Bistumsarchivs beinhaltet personenbezogene Informationen, die aufgrund des Schutzes von Persönlichkeitsrechten nicht zugänglich sind. Hier erlauben die kirchlichen Akten keinen Vergleich zu privat überlieferten Quellen. Im Erzbischöflichen Archiv Paderborn (EAP) befinden sich Akten der kirchlichen Verwaltung sowie der amtlichen Korrespondenz zwischen Magdeburg und Paderborn. Vor allem bis 1970 ist durch die Akten des Magdeburger Kommissars und des Nachlasses von Lorenz Kardinal Jaeger eine detaillierte Rekonstruktion von Entwicklungen und Entscheidungen des Paderborner Erzbischofs möglich. Die vor allem im Nachlass Jaeger enthaltene Korrespondenz erlaubt einen weitreichenden Einblick in das Handeln des Erzbischofs hinsichtlich der Magdeburger Vorgänge. Der regelmäßige Briefverkehr zwischen Weihbischof Rintelen und Kardinal Jaeger scheint unter Bischof Braun keine Fortsetzung gefunden zu haben. Allerdings hat der Kardinal handschriftliche Aktenvermerke über die weitverzweigten Absetzungsbemühungen von Alfred Bengsch42 gegenüber Friedrich Maria Rintelen hinterlassen, die offensichtlich gezielt ein vom Berliner Kardinal konstruiertes Geschichtsbild korrigieren sollten. Im Berliner Diözesanarchiv (DAB) findet sich ein Teilnachlass des Berliner Erzbischofs Alfred Kardinal Bengsch.43 Dieser Quellenbestand erweist sich im Hinblick auf den AKH als wenig aussagekräftig, da er nur marginale Hinweise auf einzelne Personen des Aktionskreises enthält. Die ebenfalls im Berliner Diözesanarchiv befindliche Quellensammlung von Martin Höllen weist dagegen auch Hinweise und Schriftstücke zum AKH auf, die keinen Eingang in die dreibändige Quellenedition gefunden haben. Die wohl umfangreichste und aussagekräftigste Quellensammlung kirchlicher Provenienz stellen die Akten der Berliner Ordinarien- und späteren Bischofskonferenz dar, die sich im Regionalarchiv der Ordinarien Ost (ROO) im Bistumsarchiv Erfurt befinden. Die amtlichen Protokolle der Ordinarien- und späteren Bischofskonferenz sowie Quellen, Vermerke und Briefe aus dem Bestand der Bischofskonferenz zum AKH selbst erlauben eine Annäherung an die bischöfliche Bewertung der Hallenser Reformbemühungen, obwohl die Quellendichte hierbei auffallend gering ist.

      In staatlichen Archiven sind Quellen derjenigen Institutionen und Organe der DDR überliefert, die sich mit dem Hallenser Aktionskreis auseinandergesetzt haben. Dazu zählen die Arbeitsgruppe für Kirchenfragen beim Zentralkomitee (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), der Staatssekretär für Kirchenfragen und dessen Sekretariat im Rang einer Dienststelle sowie das Ministerium für Staatssicherheit. Der mit Abstand umfangreichste Quellenbestand findet sich in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) zugänglich gemacht werden. Die quellenkritisch äußerst differenziert zu bewertenden Akten, die teilweise unvollständig oder fragmentarisch überliefert und aufgrund des Schutzes von Persönlichkeitsrechten teilweise anonymisiert sind, enthalten personenbezogene Dossiers, operative Vorgänge sowie Personal- und Berichtsakten inoffizieller Mitarbeiter des MfS. Der Staatssekretär für Kirchenfragen und dessen Dienststelle waren für die genuin staatliche Einordnung und Bewertung der katholischen Kirche insgesamt und daher auch für den Aktionskreis Halle verantwortlich. Das im Berliner Bundesarchiv überlieferte Quellendepositum enthält detaillierte Berichte und Einschätzungen über den AKH sowie die bischöfliche Bewertung des Kreises und ist daher, obgleich im Umfang wesentlich geringer als die Akten der Staatssicherheit, nicht minder aussagekräftig. Die politische und damit in der DDR letztlich entscheidende Einordnung des Aktionskreises fand in der Abteilung für Kirchenfragen beim ZK der SED statt. Der äußerst geringe, aber dennoch bedeutende Quellenbestand der Arbeitsgruppe zum AKH ist in der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ (SAPMO) im Berliner Bundesarchiv überliefert.

      Das äußerst umfangreiche Quellenmaterial ist unterschiedlich zu gewichten. Das Privatarchiv des Aktionskreises sowie die kirchlichen Archive beinhalten überwiegend Primärquellen der handelnden Personen. Quellenkritisch sind diese Überlieferungen als besonders authentisch und zuverlässig zu qualifizieren, wenngleich besonders bei