Sebastian Holzbrecher

Der Aktionskreis Halle


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und verhalf dem Modell der „Katholischen Aktion“ letztlich zur Durchsetzung? Weshalb gab es in der DDR kein kirchliches Vereinswesen? Wie reagierte der totalitäre SED-Staat auf eine fest institutionalisierte katholische Reformgruppe und wie reagierte man schließlich kirchlicherseits unter den Bedingungen einer totalitären Diktatur auf interne Kritik und die zum Teil scharfe Infragestellung pastoraler und kirchenpolitischer Konzepte?

      Innerkirchliches „Dissidententum“ und „Nonkonformismus“ waren in der katholischen Kirche in der DDR keine weit verbreiteten Phänomene. Ihre Erforschung ermöglicht daher kaum verallgemeinerbare Aussagen über den DDR-Katholizismus insgesamt, hinterfragt aber das Bild eines „monolithischen Blocks“, für den der ostdeutsche Katholizismus lange Zeit gehalten wurde. Dem Aktionskreis Halle kommt daher unter verschiedenen Blickwinkeln eine Sonderstellung als Kristallisationspunkt für die regionale Kirchen- und Theologiegeschichte Ostdeutschlands zu. Die Erforschung seiner Geschichte liefert daher einen pastoral sowie kirchenpolitisch angelegten Beitrag zu einer noch zu verfassenden Gesamtdarstellung der Kirchengeschichte der DDR.

      Die leitenden Thesen dieser Dissertation lauten: Der Aktionskreis Halle hat theologisch legitimiert die Aussagen des II. Vatikanischen Konzils selbstständig und partiell autonom rezipiert und ist aufgrund der hieraus gefolgerten Positionen und Ansprüche in teils massiven Konflikt zum Magdeburger Bischof und der ostdeutschen Ordinarien- und späteren Bischofskonferenz sowie dem SED-Staat geraten. Durch seine Interpretation und Umsetzung von Geist und Buchstabe des Konzils in den 70er Jahren hat er Wege beschritten, die für einzelne Bischöfe Anfang der 80er Jahre anschlussfähig waren. Als wohl einzige öffentlich agierende katholische Vereinigung aus Priestern und Laien in der DDR hat er dazu beigetragen, dass sich kirchliches Leben jenseits von Pfarrgemeindestrukturen entwickeln konnte und hier neue Freiräume entstanden.

      2.Forschungsstand

      Beim Stand der Forschungen ist hinsichtlich der beiden Themengebiete Aktionskreis Halle und Konzilsrezeption in der DDR zu differenzieren. Zu Geschichte und Entwicklung des AKH liegen bislang eine Monographie9, ein Lexikoneintrag10 sowie verschiedene publizistische und wissenschaftliche Artikel11 vor. Auffallend ist, dass es vor allem Mitglieder des Aktionskreises selbst waren, die über ihn veröffentlichten.12 Darüber hinaus wurden die Gruppe und ihr Engagement in zeitgenössischen Kommentierungen bundesdeutscher Autoren13 ebenso thematisiert wie in jüngeren Beschreibungen zeitgeschichtlicher Sekundärliteratur.14

      Der AKH wird dabei sowohl aus historischer, politikwissenschaftlicher, soziologischer und theologischer Perspektive betrachtet und als „innerhalb wie außerhalb der DDR[…]wohl bekannteste innerkirchliche Basisgruppe“15 beschrieben, die sich „kirchenkritisch, nicht kirchenfeindlich“16 „auf den Geist und die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils“17 berief und durch ihr Wirken ein „prophetisches Wächteramt“18 in der ostdeutschen Kirche wahrnahm sowie aufgrund der Konfrontation mit Staat und Kirche in einer „dreifachen Diaspora“19 existierte. Die bisherigen Publikationen über den Aktionskreis skizzieren zumeist knapp die Entstehung, Struktur und Tätigkeit der Gruppe und weisen in unterschiedlicher Ausführlichkeit auf die Auseinandersetzungen mit dem SED-Staat und den katholischen Bischöfen in einer „unheiligen Allianz“20 hin.21 Nur wenige Beiträge greifen in ihren Darstellungen und Einschätzungen auf Quellen zurück; zumeist handelt es sich um zeitgenössische Beobachtungen oder um Kompilationen bisheriger Darstellungen. Noch immer gibt es zum Teil erhebliche Differenzen darüber, was der Aktionskreis war und welche Ziele er verfolgte bishin, dass es nicht immer gelingt, die Abkürzung AKH exakt aufzuschlüsseln.22

      Eine umfassende Analyse der ostdeutschen Konzilsbeteiligung und der anschließenden Konzilsrezeption in der katholischen Kirche in der DDR steht, ebenso wie für den bundesdeutschen Katholizismus23, noch aus. Erste Forschungen für die katholische Kirche in der DDR konnten Entwicklungslinien und zentrale Themen, beteiligte Personen und Institutionen sowie verschiedene Konfliktfelder der Konzilsrezeption herausarbeiten.24 Eine Verknüpfung beider Forschungsansätze in einer Geschichte der Konzilsrezeption durch den AKH ist bislang nur vereinzelt in den Blick gekommen.25

      Trotz des keineswegs unprofilierten Forschungsstandes ergeben sich verschiedene Desiderate und offene Fragen. Bislang fehlt eine ausführliche Darstellung, Analyse und Einordnung dieser innerkirchlichen Basisgruppe aufgrund von Kategorien und Maßstäben, die sich am Selbstverständnis und dem historischtheologischen Kontext des Forschungsgegenstandes orientieren. Die bisher eher fragmentarische Übersicht zur tatsächlichen Aktivität des Kreises vermag es zudem nicht, die Relevanz seiner Beiträge für die katholische Kirche in der DDR überzeugend darzustellen und kritisch einzuordnen. Dies liegt nicht zuletzt im Mangel eines geeigneten Bezugssystems begründet, anhand dessen sein Wirken verglichen und beurteilt werden könnte. Die zahlreichen Darstellungen konstatieren zwar ausnahmslos die Konfliktsituation des Hallenser Aktionskreises zwischen Staat und Kirche und beschreiben die Auseinandersetzungen mitunter aus Sicht der Betroffenen. Der bisherige Forschungsstand entbehrt aber einer objektiven und umfassenden Darstellung dieser Konfrontationen anhand einer synoptischen Betrachtung unterschiedlicher Quellenüberlieferungen. Auch die Motive und Verantwortlichkeiten kirchlicher und staatlicher Stellen wurden bislang kaum thematisiert bzw. ausreichend zu ergründen und zu analysieren gesucht.26 Schließlich bleibt erläuterungsbedüftig, ob der Aktionskreis Halle nur ein Opfer staatlicher Zersetzungspraktiken war oder ob er nicht durch Unterwanderung und Infiltrierung durch das MfS passiv oder aktiv zum Vollzugsgehilfen staatlicher Interessen wurde.27

      3.Aufbau und Methodik

      Die vorliegende kirchengeschichtliche Arbeit gliedert sich entsprechend der historischen und theologischen Forschungsmotive in vier Hauptkapitel, denen sich ein resümierender Ausblick anschließt. Ausgehend von einer genetischen Darstellung der Geschichte, Struktur und des Wirkens des Aktionskreises Halle als postkonziliare Reformgruppe im ersten Teil wird im zweiten Kapitel die Konzilsrezeption durch den AKH konkret nachgezeichnet. Anhand dreier Themen von kirchlicher und gesellschaftlicher Relevanz wird die Konzilsrezeption des Aktionskreises exemplarisch analysiert und mit bischöflichen Rezeptionsbemühungen komparativ diskutiert.

      Aufgrund der spezifisch ostdeutschen Situation einer Kirche im totalitären Staat ist es in einem dritten Hauptteil notwendig, die rein innerkirchliche Betrachtung des Aktionskreises um die staatliche Perspektive zu ergänzen. Dabei könnte der Eindruck entstehen, dass die Arbeit in zwei Teile - die Geschichte und Konzilsrezeption einerseits und die staatliche Auseinandersetzung andererseits - zerfällt. Um jedoch ein vertieftes Verständnis von dem zu erlangen, was der AKH war, durch sein Tun beabsichtigte und was er für die katholische Kirche in der DDR angestoßen und bedeutet hat, ist die Verschränkung beider Teile unabdingbar. Die Auseinandersetzung der Kirche mit der atheistischen Einparteiendiktatur sozialistischer Prägung ist für die DDR konstitutiv. Nur so kann das tatsächliche Umfeld, in dem sich die Rezeption der konziliaren Reformbemühungen bewähren musste, dargestellt werden. Diese Dimension unterscheidet die Situation des AKH elementar von der bundesdeutscher Priester- und Solidaritätsgruppen. Sie macht deutlich, dass die Verfolgung innerkirchlicher Reformanliegen in der DDR mit Repressionen und zum Teil existentiellen Gefährdungen verbunden sein konnte. Die politische und staatliche Bewertung sowie das daraus resultierende geheimpolizeiliche Vorgehen gegen einzelne Personen und den AKH insgesamt wird detailliert beschrieben, um die Menschenverachtung des SED-Staates herauszustellen und zugleich den Erfolg oder Misserfolg staatlicher Einflussnahme kritisch bilanzieren zu können. Dass eine gezielte staatliche Zersetzungsstrategie gegenüber dem AKH nicht ohne eine partielle Kooperation mit leitenden kirchlichen Stellen stattfinden konnte, wird eigens im vierten Kapitel aufgezeigt und kritisch hinterfragt. Der resümierende Ausblick bündelt die historisch-theologischen Darstellungen und synthetisiert die Ergebnisse in drei Begriffen und Modellen.

      Grundlegend für die historische Arbeit ist das Quellenstudium in Archiven verschiedener Provenienz. Die zu bearbeitenden Quellen werden historisch-kritisch analysiert, eingeordnet und interpretiert sowie mit der Literatur zur zeitgeschichtlichen