nur unter hohen Kosten vom Lernen verabschieden. Zudem unterliegt das Gelernte in einer sich so rasch wandelnden Zeit einer immer kürzeren Halbwertszeit, und immer schneller muss immer mehr Neues bewältigt werden. Zu viele Kinder, Jugendliche und Lernende werden in ihrer Lernmotivation verletzt. Davon zeugen massiv gestiegene Stütz-, Therapie- und Sondermaßnahmen für Kinder mit Lernschwierigkeiten und die zunehmend in Anspruch genommenen privaten Schulungsmöglichkeiten. Durch die fehlende Lernmotivation und durch Schulversagen entsteht viel Leid, und wertvolles Potenzial geht für die Einzelnen und die Gemeinschaft verloren. Wenn Eltern spüren, dass ihre Kinder im Schulsystem unglücklich sind und leiden, wird zu oft unter Druck versucht, die Kinder anzupassen, oder das Schulsystem wird als Leistungssystem abgelehnt – und damit auch die Leistung selbst. Es soll gezeigt werden, dass Leistung zu einer Herausforderung und Stärkung werden kann, wenn sie sorgsam begleitet wird.
Erfolgreiches Lernen ist, und das soll in diesem Buch gezeigt werden, machbar und sogar angenehm wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind:
1. | das Schaffen eines Gefühls von Erfolg und Meisterschaft, |
2. | das Lernen von minimal Wichtigem/Wenigem gemäß der Funktionsweise des Gehirns und |
3. | das Zurverfügungstellen einer garantierten, minimalen Zeit, sich mit dem Stoff zu konfrontieren. |
Es gibt zahlreiche, verschiedenste, meist umfangreiche Beiträge zu Lerntechniken. Zumeist wird dabei von einer Optimierung eines schwierigen, großen Gebietes ausgegangen. Es geht hier um eine radikal andere Sicht auf das Lernen, das als etwas Kleines, sehr bewältigbar Gemachtes erfahren werden soll. Wenn, auf das Wesentliche ausgerichtet, auf eine minimale Art gelernt wird, geschieht dies in der Sprache und gemäß der Funktionsweise des Gehirns. Das Gehirn strukturiert Inhalte nach den sparenden Prinzipien des Minimalen.
Es geht in erster Linie darum, dass alle – auch diejenigen, die glücklich sind, hauptsächlich mit den Händen zu arbeiten – mit Leichtigkeit und ohne Scheu über Wissen verfügen und es sich aneignen können. Zu wünschen wäre ein selbstverständlicher Umgang mit Wissen und Wissenschaft, unbelastet von Scheu oder Angst.
Die Kinder und Jugendlichen und diejenigen Menschen, die sie unterstützen, benötigen eine sehr kurze und einfache Hilfe, damit sie das Lernen wieder angehen und in einen ermutigenden, positiven Kreis gelangen können. Es soll das Ziel sein, zu zeigen, dass das Gehirn Neues nach minimalen Prinzipien aufnimmt und speichert und dass Lernen als etwas sehr Einfaches leicht zu schaffen ist. So kann Lernen möglichst vielen offenstehen, während wir uns auf eine immer immateriellere Wissensgesellschaft zubewegen.
Das vorliegende Buch richtet sich an ein breites Publikum, angefangen bei jungen Lernenden und ihren Eltern über Studierende bis hin zu Fachpersonen der Pädagogik und Didaktik. Es besteht entsprechend aus praktischen wie auch sehr theoretischen Teilen. Diese theoretischen Teile sind formal dadurch gekennzeichnet, dass die Literaturangaben im Text selbst erscheinen. Damit soll die wissenschaftliche Nachprüfbarkeit in den theoretischen Teilen erleichtert werden. In den praktischen Teilen wurde auf diese Angaben im Text verzichtet, damit die Texte möglichst leicht lesbar bleiben.
Erfolg beruht auf Wissen, nicht auf Begabung und IQ
Es wird immer klarer und es besteht breite Einigkeit darüber, dass hohe Leistungen nicht über Begabung, Intelligenz oder Genetik, sondern über Lernen und Wissen erbracht wer- den.1 Wissen und Motivation erweisen sich im Verlauf der Schulkarriere als entscheidender als Intelligenz.2 »Zugespitzt kann man sagen: Wissen schlägt Intelligenz« und »der größte Teil der Gehirnleistung ist wenig genetisch determiniert«.3 »Wir müssen ›nur‹ die internen Motivationen wecken und den didaktisch effektiven Zugang finden.«4
Dies spricht klar und eindeutig für das Lernen. Dieses muss aber zugänglicher und einfacher werden.
Lernen wird als schwierig angesehen …
Leider wird nicht nur von der Allgemeinheit, sondern auch von Forschenden vertreten, Lernen sei anspruchsvoll und schwierig.5 Es gebe keine »Taschenspielertricks«, um einfach zu lernen.6 Spitzer formuliert dies so: »Lernen hat ein negatives Image. Es wird als unangenehm angesehen.«7 Weiter sagt er aber auch, dass diese verbreitete Haltung dem Lernen gegenüber nicht der menschlichen Natur entspreche, sondern dass der Mensch vielmehr zum Lernen prädestiniert sei und ohne zu lernen gar nicht extistieren könne. Das Gehirn bezeichnet er sogar als die beste Lernmaschine der Welt.
Dass Lernen nicht Spaß macht, ist also auch nur gelernt.
… und Lernen wird vermieden
Es ist eine der psychologischen Grundlagen, dass Reize mit negativen Konsequenzen möglichst vermieden werden.8 So wird auch gelernt, Lernen zu vermeiden, wenn dieses mit Negativem verbunden ist. Tief in uns sitzen alle die Erfahrungen, die Lernen verbinden mit Korrekturen, Rotstiftkorrekturen, auch mit schlechten Noten, Beschämungen, letztlich unguten Gefühlen, die man in der Folge zu vermeiden sucht. Von daher kann es nur logisch sein, dass gegenüber dem Lernen schlechte Gefühle und eine Abwehr entstehen. Dies führt verständlicherweise dazu, das Lernen möglichst zu meiden. Und dies wiederum zieht weitere Schwierigkeiten und negative Erfahrungen nach sich.
Es wird unüberlegt viel dafür getan, Lernen zu verbinden mit Erfahrungen von Rückweisungen. Oft werden Fehler negativ bewertet, statt als interessante Hinweise und Hilfe für eine Änderung gesehen, besser und kompetenter zu werden. Weiter wird der Schule und dem Schulerfolg vom familiären Umfeld meist ein hohes Gewicht beigemessen. Dies fügt negativen Erfahrungen in diesem Bereich weitere Belastungen hinzu. Ist man unbeeindruckt von negativen Lernerfahrungen und entscheidet sich doch, zu lernen und in der Schule gute Resultate zu erreichen, bringt das einen zumindest bei den Mitschülerinnen und Mitschülern oft in die äußerst unerfreuliche Außenseiterrolle des Strebers bzw. der Streberin. Es spricht also eigentlich leider nicht sehr viel fürs Lernen.
Dies führt dazu, dass viele Schülerinnen und Schüler sich vom Lernen als etwas Freiwilligem oder Lustbetontem verabschieden und nur unter größtem Druck wenig und ineffektiv lernen. Sie wenden sich innerlich von der Schule ab.
Lernen ist die Hauptbeschäftigung der Kinder und Jugendlichen und bestimmt die Hauptzeit ihrer Tage – oft über die ganze Kindheit und Jugendzeit. Ist es akzeptabel, dass für so viele diese Zeit belastend und negativ ist? Ist es verwunderlich, wenn daraus größte Schwierigkeiten entstehen?
Den Minimalismus der Lernenden respektieren
Man muss also diesem Minimalismus (und der teilweise gänzlichen Lernabstinenz als logischer und rational nachvollziehbarer Folge) Verständnis und Respekt entgegenbringen – es handelt sich um eine Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler, die passend und zutreffend ist. Dass viele nicht lernen wollen, ist also folgerichtig, und es ist wichtig, diese Tatsache ernst zu nehmen und ihr Wertschätzung entgegenzubringen.
Diesen Minimalismus der Lernenden gilt es weiter auszunutzen, aber nicht, indem man einfach vor dem Lernen flüchtet, wenn es nicht auf Anhieb angenehm ist. Vielmehr braucht es einen kultivierten Minimalismus. Den Minimalismus und die vermeintliche Faulheit der Schülerinnen und Schüler gilt es also nicht auszutreiben, sondern umzuwandeln und als Ausgangspunkt für eine weiterführende Lösung zu verstehen. Der Minimalismus der Lernenden ist ein Geschenk, das es für ein minimales, kreatives Lernen zu nutzen gilt.
Milton Erickson, der Begründer der modernen Hypnosetherapie, geht in seinem Utilisationsansatz genau davon aus, wenn er vorschlägt, die vorgebrachten (zunächst wohl auch schädlichen) Bedürfnisse der Patienten zu nutzen, damit weiterzugehen und »wirkungsvoll zu demonstrieren, dass sie absolut annehmbar sind, und dass der Therapeut trotz ihres Verhaltens effektiv mit ihnen umgehen kann. Diese Technik entspricht zum einen den vorgebrachten Bedürfnissen des Patienten und nutzt zum anderen als entscheidenden Teil der Induktion genau das Verhalten, das den Patienten beherrscht.«9
Wenn man nicht lernen mag, wird man mit vielen negativen Auswirkungen konfrontiert, von den Erwachsenen kritisiert, mit Schwierigkeiten in der Zukunft bedroht. So spricht vieles dafür zu lernen (und gelernt zu