Selbstwert, für Einheit, Passung oder gelingende Identitätsarbeit.«43 Die somatischen Marker funktionieren dabei als Go- oder Stop-Signal für geplante Handlungen.44 Schiffer meint, dass ein starkes Kohärenzgefühl, d. h. das Gefühl, dass die Welt verständlich, die Aufgaben lösbar und Anstrengungen sinnvoll sind, zu positiven Lernprozessen führt, indem es entscheidend Einfluss auf die Genaktivität und Gehirnentwicklung nimmt.45
Psychische Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Wertschätzung sind weitere entscheidende Faktoren. Für das intrinsische Lernen müssen die grundlegenden Bedürfnisse nach Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Einbindung erfüllt sein.46 »Entscheidende Voraussetzungen für die biologische Funktionstüchtigkeit unserer Motivationssysteme sind das Interesse, die soziale Anerkennung und die persönliche Wertschätzung, die einem Menschen von anderen entgegengebracht werden.«47 Noch konkreter könnte man sagen: »Für Lernen, auch für das Lernen in der Schule, muss das Motivationssystem aktiviert werden. Dies geschieht durch gute zwischenmenschliche Beziehungen, durch soziale Anerkennung und durch Erfolgserlebnisse beim Lernen.«48 Diese Befunde und Aussagen stellen, wenn das Hauptziel Lernen sein soll, die schulische Selektion infrage.
Unsere Identität bestimmt den allergrößten Teil des psychischen Geschehens wie die automatisierte Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Handlungssteuerung. Dementsprechend sind ein Selbstkonzept und eine Identität als erfolgreich Lernende/r handlungsbestimmend und -wirksam.49 Dilts erklärt dies folgendermaßen: »Weil Überzeugungen in tieferen Gehirnstrukturen entstehen, verändern sie grundlegende physiologische Funktionen im Körper, die viele unserer unbewussten Reaktionen beeinflussen.«50
Letztlich wirkt die Motivation sogar als entscheidender Faktor für Erfolg oder Misserfolg von Ausbildungen überhaupt.51 »Selbstkonzept und Selbstwertgefühl steuern in einem hohen Maße die Handlungen von Personen.«52 Dazu kommt, dass »die Selbstkonzepte eines Menschen für die Wahl und für den Erfolg seiner Handlungen tendenziell wichtiger sind als seine intellektuellen und physischen Fähigkeiten und zum Teil auch wichtiger als die situativen Gegebenheiten«.53 So scheint es nur folgerichtig, in einem Förderungsprogramm zur Problemlösung in den Ingenieurwissenschaften an erste Stelle folgenden Punkt zu stellen: »Motivation: Ich kann es schaffen, ich möchte es schaffen.«54
Wenn man nicht motiviert ist, kann man auch Lernstrategien nicht umsetzen.55 Erfolgreiche, intrinsische Lernerinnen und Lerner setzen Techniken ein, die das Lernen erleichtern und die Motivation weiter erhalten.56 »Generell scheint zu gelten, dass begabte Menschen sich von Natur aus effizienterer Strategien bei der Verarbeitung und Speicherung von Informationen bedienen, wobei diese in den meisten Fällen nicht bewusst angewendet werden, sondern vermutlich auf frühe erfolgreiche Lernerfahrungen zurückgeführt werden können.«57 Diese Prozesse für selbstgesteuertes und reguliertes Lernen basieren auf internen Bedingungen der Lernenden wie ihren Kontroll- und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, die in den unbewusst arbeitenden Hirnarealen beheimatet sind.58 Die Bereitschaft, sich mit einem Lernstoff zu beschäftigen, wird zuerst über Gefühle und nicht über das rationale Denken gesteuert.
Messmer stellt in ihren Vorschlägen zur Frühförderung fest: »Es [das Kind, R. H.] soll das Gefühl entwickeln, etwas leicht zu Bewältigendes zu tun, denn schon die geringste Überforderung wird den gegenteiligen Effekt hervorrufen, nämlich die Angst vor Schwierigkeiten und das Gefühl, es nicht schaffen zu können.«59
Largo meint zu den Zielen einer kindgerechten Schule: »An erster Stelle steht für mich das Selbstwertgefühl […]. Ein gutes Selbstwertgefühl hat ein Schüler dann, wenn die Schule für ihn eine positive Erfahrung war, das heißt, die schulischen Anforderungen waren für ihn mehrheitlich zu bewältigen und überwiegend mit Erfolg verbunden.«60
Eine breite Forschung bestätigt, dass das Gefühl, dass man etwas beherrscht, und das Gefühl von Erfolg von großer und entscheidender Bedeutung ist.
… und wenn negative Gefühle dominieren
Lernen wird, sobald es vom Gehirn als unangenehm im Sinne eines somatischen Markers (vgl. oben) taxiert wird, automatisch und sehr schnell mit Reaktionen von Abwendung und Flucht beantwortet. Sämtliche negativen Lernerfahrungen wirken in der Zukunft als Vermeidungshinweise für weiteres Lernen. Daraus entsteht eine Reaktion dem Lernen gegenüber, die dann etwa so aussieht: »Ich lerne, aber lieber später … und am besten gar nicht, wenn es geht.« Wenn jemand dann weiter sagt, er habe keine Lust zu lernen, meint er wahrscheinlich vor allem auch, er habe Angst zu lernen.
Wenn Verwirrung und Verunsicherung vorherrschen, wenn man sich nicht zurechtfindet, wenn einem der Lernstoff wie ein Dschungel vorkommt, wird das limbische System, das im Gehirn Gefühle bearbeitet, aktiv und reagiert mit Angst und Abwehr. Dasselbe Prinzip ist beobachtbar, wenn Kinder Tätigkeiten vorziehen, bei denen sie sich kompetent fühlen, und solche vermeiden, bei denen dies nicht der Fall ist.61 Da sich der Lernstoff generell eben nicht wie ein Computerspiel, sondern zu oft eher wie ein unübersichtlicher und unbewältigbar großer Dschungel darstellt, entsteht folgerichtig diese Angst und Abwendung vom Lernen. Diese Angst, etwas sei zu kompliziert oder zu schwer, löst nicht nur eine Fluchtreaktion aus, sondern blockiert das Gehirn. Wenn dann noch weiter die Haltung besteht, Lernen sei schwierig, und wenn Selektion droht, nehmen Angst und Stress weiter zu. Daher ist ein Pfad, d. h. ein klares Vorgehen, wichtig. Es ist des Weiteren auch wichtig, zu wissen, dass man irgendwie erfolgreich sein wird, wenn man diesem Pfad folgt.
Wenn die beschriebene Angst und Abwendung vom Lernen sich durchsetzt, entsteht ein Teufelskreis.62 Immer dann, wenn die Anforderung größer ist als das Können, kommt es zu Frustration und Vermeidung des Lerngebiets, was erneut beiträgt zu einer weiteren Diskrepanz zwischen Anforderung und Können. So kommt es zu immer weniger Lernen und immer weniger Können. Immer dann, wenn das Können hingegen größer ist als die Anforderung, führt dies zu Befriedigung und zu einem wiederholten Aufsuchen des Lerngebiets, was wiederum zu einem erhöhten Können und weitergehend zu erneutem Lernen führt. Auch Steiner bestätigt, dass Frustration und eine negative Dynamik entstehen, wenn die Anforderungen unser Können übersteigen.63
Abb. 1: Teufelkreis (nach Butterworth) im Mathematikunterricht. Quelle: Spitzer, 2007
Abb. 2: Virtuoser Kreis des Lernens (nach Butterworth), der sicherlich nicht nur für die Mathematik gilt! Quelle: Spitzer, 2007
Wenn Lernende annehmen, einer Aufgabe nicht gewachsen zu sein, versuchen sie, ihre Unfähigkeit zu verbergen. Sie haben weiter die Tendenz, Lernen zu vermeiden, um negativen Gefühlen wie Scham aus dem Weg zu gehen und Aufgaben zu wählen, die entweder zu schwierig oder zu einfach sind.64 Werden jedoch mittelschwere Aufgaben gewählt, ist dort ein Zuwachs an eigener Kompetenz besonders gut zu sehen. Erfolg kann den eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen zugerechnet werden, während Misserfolg auf fehlende Anstrengungen und Pech zurückgeführt werden kann. Wird Misserfolg auf fehlende Anstrengung zurückgeführt, scheint er auch beeinflussbar.65 Vollmeyer meint, dass Lernende sich dann optimal herausgefordert fühlen, wenn die Aufgabenschwierigkeit die eigenen Fähigkeiten knapp übersteigt.66 Es wird auch von »dosierter Diskrepanz« gesprochen.67
Werden schon im Vorschulbereich Kinder mit dem Ziel, ihnen selbstständiges Denken beizubringen, mit Lernspielen ohne anleitende Erklärungen alleingelassen und ist es ihnen zudem untersagt, einander zu fragen und zu helfen, bringen diese Kinder folgende Einstellung mit nach Hause: »Ich kann es nicht, ich bin dumm.« Dies ist eine verheerende Sicht, die kleinen Kindern mitgegeben wird auf den Weg in die Schule und in ein Leben, das immer mehr mit lebenslangem Lernen verbunden ist.68
Der Erwerb von Wissen und Kompetenz führt letztlich dazu, ein Gefühl von Sicherheit zu schaffen, das hilft, der immer wieder auftauchenden individuellen Angst zu begegnen,69 und zu einem Schatz an erreichten Erfolgen