Michael Weger

Octagon


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und seine Antwort fiel, in Form von großen Augen und zögerlichem Nicken, wenn auch stumm, so doch allemal liebenswert aus.

      Sie hatten sich zum Essen im Arkadencafé verabredet.

      Nach umfangreichen Renovierungen in den Achtzigerjahren nahm das Café mit seinem stilvollen Ambiente aus historischer und moderner Architektur das halbe Erdgeschoss des Schlosses Goldegg ein. Das aus dem vierzehnten Jahrhundert stammende Anwesen im österreichischen Salzkammergut bot als Kultur- und Seminarzentrum den idealen Rahmen für Tagungen. Paul war ein paar Minuten zu früh im Café und wählte einen Tisch an einem der seitlichen Rundbogenfenster.

      Lena hingegen erschien auf die Minute pünktlich und hatte ein enges, schwarzes Abendkleid angelegt.

      Sie sah atemberaubend aus.

      In Leinenhose mit dunkelblauem Hemd fühlte sich Paul ihr gegenüber gleich zu leger gekleidet, gestand sich diese Nachlässigkeit aber im Schwung seines erstarkten Selbstvertrauens durchaus zu.

      Zum Essen bestellten sie zur Feier des Tages einen Brunello di Montalcino und schon nach dem ersten Glas spürten beide die wohlige Wirkung des schweren Weins.

      Das Gespräch fand schnell jene Tiefe, nach der sich Paul in vielen Situationen mit Bekannten oder Freunden oft vergeblich sehnte. Und auch Lena schien die Unterhaltung zu genießen. Sie lachte und flirtete unverhohlen mit ihm, während sie immer wieder kurze Worte an die verbliebenen Tagungsteilnehmer richtete, die gekommen waren, um sich von ihr dankend zu verabschieden.

      Auch Paul erhielt noch einiges an Anerkennung und bedankte sich seinerseits voll Freude.

      Lena erzählte davon, dass ihr in diesem Monat noch die Abschlussprüfung des Medizinstudiums an der Universität Wien bevorstand. Sie hatte das Studium in Rekordzeit absolviert und geplant, sich im Anschluss alternativen Heilmethoden zuzuwenden. Die Organisation der Jahrestagung zu diesem Thema war ihr nur kurzfristig in den Schoß gefallen.

      Ein befreundeter Arzt konnte die Aufgabe – der um Wochen zu frühen Geburt seiner Tochter wegen – nicht mehr wahrnehmen. So kurz vor der Prüfung würde die Zeit nun, mit dem vielen Lernstoff, den Lena noch zu bewältigen hätte, etwas knapp werden, doch war sie überzeugt, ihren Abschluss mit Bravour zu bestehen.

      Paul genoss das Gespräch und fühlte sich immer mehr zu ihr hingezogen. Dennoch schreckte ihn ihr ausgeprägter Ehrgeiz etwas ab.

      2

      Nach dem Essen standen die beiden an der Balustrade der Terrasse. Das Schloss war auf einen Felsvorsprung des Salzburger Sonnenplateaus gebaut und bot bezaubernde Ausblicke.

      Sie hatten sich kleine Cocktails aus dem Café mitgenommen und genossen zum ersten Mal an diesem für beide gleichermaßen aufregenden Tag ein paar Momente der Stille.

      Die österreichische Landschaft mit ihren Bergen, verzweigten Auen und Bächen lag ihnen zu Füßen. Während die Sonne langsam hinter den westlich gelegenen Gipfeln verschwand, spiegelten sich die Strahlen auf den sanften Wellen des Goldegger Sees.

      Ein lauer Spätsommerwind spielte um Lenas dunkles Haar.

      Paul war zufrieden. Ihre direkte Art hatte ihn den Abend über zwar immer wieder um Worte ringen lassen, doch fand er sich unter zunehmendem Einfluss des Alkohols immer besser damit zurecht. Nun genoss er ihre Nähe und vor allem das nachhallende Gefühl eines großen Erfolges.

      Der Vortrag auf der renommierten Tagung war ihm schon in den vergangenen Wochen wie eine Meisterprüfung erschienen. Er hatte sich gründlich darauf vorbereitet und war doch von erheblichen Selbstzweifeln geplagt gewesen.

      Vier Jahre lang war er bereits erfolgreich als Psychotherapeut in der Kölner Gemeinschaftspraxis seines Mentors Doktor Carl Seyfried tätig. Die reiche Erfahrung hätte sein Selbstvertrauen eigentlich ausreichend stärken sollen. Umso mehr fragte er sich, warum ihn der Auftritt vor der durchweg wohlwollenden Zuhörerschaft wieder dermaßen verunsichert hatte.

      Nun stand er neben Lena auf der Terrasse und die Gerüche des Landes, das sich zur Nacht bettete, vermischten sich mit dem zarten Duft ihres Parfüms.

      Vielleicht reicht unser Unterbewusstsein mitunter ja doch in die Zukunft und hat schon erahnt, dass noch einiges mehr im Spiel war, dachte er jetzt mit einem Lächeln.

      Lena griff in ihre Tasche und legte einen schwarz schimmernden Stein vor ihn auf die Balustrade. Das rundliche, fast faustgroße Objekt wies einen schneckenartigen Einschluss in gold-gelber Farbe auf. Sie schwieg.

      Paul blickte sie fragend an.

      „Ich habe zwei davon. Einer war wohl für dich bestimmt“, sagte sie sanft und wandte sich ihm zu. „Mein Bruder hat sie von einer Weltreise mitgebracht. Das war vor drei Monaten. Seitdem trage ich die Steine bei mir. Er hat mir empfohlen, einen davon einem Menschen zu schenken, der meine Seele berührt. Gut für’s Karma, meinte er.“ Sie lächelte kurz, sah Paul in die Augen und fuhr mit ernster Miene fort: „Weißt du, ich bin in einer Beziehung.“

      Paul war einmal mehr überrascht von ihrer direkten Art. „Mit einem verheirateten Mann. Und niemand darf etwas davon wissen“, ergänzte sie mit sarkastischem Unterton. „Doch dieser Mann berührt mich nicht. Nicht mehr. Es ist der Arzt, für den ich die Leitung der Tagung übernommen habe. Mehr muss ich wohl nicht sagen.“

      Paul blickte auf die gekräuselten Wellen des Sees, die im letzten Sonnenlicht glitzerten.

      „Du musst jetzt nicht antworten“, sprach sie weiter, „ich wollte einfach, dass du weißt, ich bin nicht frei und zugleich wollte ich dir den Stein schenken und dir erzählen, welche Bewandtnis es damit hat. Nach deinem Vortrag dachte ich, es könnte eine heiße Nacht werden. Aber mittlerweile bist du mir zu schade für eine Nacht.“

      Paul verschlug es wieder die Sprache. Es mangelte ihm einfach an Übung im Umgang mit Frauen, die sich kein Blatt vor den Mund nahmen. Vor allem, wenn er sie gleichermaßen attraktiv wie faszinierend fand. Allzu oft stand ihm dann seine Schüchternheit im Weg.

      „Was“, fragte er ausweichend, „hat es nun mit dem Stein auf sich?“

      Lena empfand Pauls Unsicherheit längst als anziehend.

      „Mein Bruder kam völlig verändert von dieser Reise zurück“, begann sie lächelnd zu erklären. „Es war, als wäre ein Feuer in ihm entfacht. Er war voller Selbstvertrauen und zugleich ruhig und ausgeglichen, wie ich es nie zuvor an ihm erlebt hatte. Er berichtete von einer Art Tempelschule, auf die er irgendwo in der Welt per Zufall gestoßen war. Dort würde man, sofern man einen der Steine vorweisen könnte, freundlich aufgenommen und durchliefe in acht Stationen eine Form von uraltem Übungszyklus. Weibliche und männliche Meister lehrten einen, die archetypischen Charakteranteile des eigenen Wesens zu ergründen. Schließlich würde man den Tempel als neuer Mensch verlassen. Er meinte, es wäre die aufregendste Selbsterfahrung, die er je erlebt hätte. Und er sprach davon, seine Mitte und seine Berufung gefunden zu haben.“ Lenas Blick streifte in Gedanken versunken über die dämmrige Landschaft.

      „Mehr konnte ich ihm nicht entlocken“, fuhr sie fort. „Auf alle weiteren Fragen gab er nur zur Antwort: Das müsse jeder für sich selbst herausfinden. Allen Menschen, die diesen magischen Ort oft erst nach Monaten verließen, wäre es ausdrücklich aufgetragen, nichts als diese Steine aus dem umliegenden Landstrich mitzunehmen und sie an würdige Menschen weiterzugeben. Die fänden dann zur rechten Zeit von selbst ihren Weg dorthin. Alles andere müsse ein Geheimnis bleiben.“ Sie strich sich eine dunkle Strähne aus dem Gesicht. „Das war die Geschichte der Steine. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Aber da mich dein Vortrag heute so oft an die Erzählung meines Bruders erinnert hat, dachte ich, das kann kein Zufall sein. Wie auch immer, dieser hier ist für dich.“, sagte sie in einem abschließenden Tonfall mit ihrem schönsten Lächeln.

      3

      Lenas Geschenk fand seinen Platz als Briefbeschwerer auf Pauls Schreibtisch in der Kölner Praxis.

      Der Abend mit ihr lag nun über zwei Monate zurück und es verging kaum ein Tag, an dem Paul nicht