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Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie


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aus, groß und klein, hoch und tief, nah und fern, abstoßen und anziehen, geben und empfangen usw. »Polarität ist der Ariadnefaden im Labyrinthe der Welt.« (GS 10, 432) Pole sind nach Friedlaenders Definition exakt entgegengesetzt wie plus und minus, sie sind »oppositiv (spiegelhaft) homogen« (GS 10, 135), sie sind identisch, aber mit umgekehrtem Vorzeichen. Polarität ist nicht nur eine philosophische Theorie, die eine interessante Geschichte und Interpretation hat (Thiel 2012, 27 ff.), sondern wissenschaftlich in allen Wissensgebieten nachzuweisen (Höhl/Kessler 1974; Köhne 1981, 1983), wie z. B. in der Quantenphysik (Welle-Teilchen-Dualismus; Komplementaritätsprinzip, Nils Bohr) oder der Struktur der DNA mit 64 polaren Kombinationsmöglichkeiten. Aber Friedlaenders philosophischer Blick richtet sich vor allem auf die Mitte der Polaritäten, auf deren Indifferenz:

      »Seit Alters her hat man beim Polarisieren mehr auf die Pole als auf deren Indifferenz geachtet. In dieser aber steckt das eigentliche Geheimnis, der schöpferische Wille, der Polarisierende selber, der objektiv eben gar nichts ist. Ohne ihn aber gäbe es keine Welt.« (GS 10, 436)

      Diese Indifferenz ist die schöpferische Zentraldimension der Wirklichkeit, genauer die »Immension aller Dimension« (GS 10, 440), die Friedlaenders Denken in immer neuer Variation unermüdlich umkreist. Das prinzipielle Problem dabei ist, dass es sich eben um nichts Differenziertes, Unterscheidbares handelt, das darum negativ als Nichts missverstanden wird: »Es herrscht ein Lebens- und Denkfehler: man verwechselt das Nichts von plus und minus mit dem minus.« (GS 10, 133). Die »monströse Überschätzung des Differenzierten« (GS 10, 120) führt zum Ignorieren der indifferent-zentralen Wirklichkeit, dessen, was wirklich wirkt:

      »Grade das Nichts des Unterschieds ist dessen Schöpfer, die Realität der Realitäten, verglichen mit welche Unterschiede bereits subaltern sind, späte Sinnenfälligkeit. Gerade das objektive Nichts ist das subjektive Herz der Welt.« (GS 10, 120)

      3.1 Mystische (Theo)-Logik

      Betreiben wir nun etwas mystische (Theo)-Logik im Sinne von Meister Eckhart und Friedlaender. Wer oder was auch immer sich von der differenzierten Welt der Phänomene, des Relativen durch Ununterschiedenheit unterscheidet, steht dazu in einem Verhältnis, dass das herkömmliche Denken transzendiert und die logischen wie auch sprachlichen Ausdrucksformen übersteigt. Wir kommen in den Bereich des Paradoxen (griech. para dokein kann als das Denken übersteigend interpretiert werden). Denn das normale Denken, der Intellekt, beruht auf dem Prinzip des Unterscheidens. Ich habe das in einem Aufsatz mit dem merkwürdigen Titel »Von der Unfähigkeit des Intellekts das Absolute zu erkennen oder der Wettlauf zwischen Hase und Igel« (1996 veröffentlicht, 1989 verfasst) versucht zu erklären. Das intellektuelle Unterscheiden funktioniert wie das visuelle Unterscheiden, das Sehen, nach dem Vordergrund/Hintergrund-Prinzip. Wenn im Vordergrund etwas erkannt wird, etwas als Figur Gestalt wird, worauf sich das unterscheidende Erkennen und Wahrnehmen scharf stellt, dann wird immer etwas nicht erkannt, nämlich der Hintergrund, der unscharf und diffus wird.

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      An der bekannten Rubinischen Kippfigur kann das gut eingesehen werden. Entweder man sieht die Vase oder die zwei Gesichtsprofile. Beides zugleich können wir nicht sehen. Anders ausgedrückt: Das Ganze, das Absolute, wird durch unser unterscheidendes Erkennen immer in zwei unterschieden.

      Dieses Ganze oder Absolute kann im Zusammenhang der Vordergrund/ Hintergrund-Differenzierung als der Grund verstanden werden. Das ist für mein Verständnis der Gestalttherapie wie auch von Zen und christlicher Mystik von zentraler Bedeutung. Wie vorne und hinten sind Vordergrund und Hintergrund polar, entsprechen der polaren Differenzierung. Der Grund ist kein mit dem unterscheidenden Intellekt erkennbares Phänomen. Er entspricht der Mitte der polaren Differenzierung, der schöpferischen Indifferenz. Er ist das, was sich in Vordergrund und Hintergrund differenziert. Im Daoismus wird der Grund durch den leeren Kreis symbolisiert, der sich als Phänomen in die Polarität von Yin und Yang differenziert.

      Der Grund ist ein in Philosophie und Religion nicht selten zentraler Terminus. Ich beschränke mich hier auf das Verständnis bei Meister Eckhart. Bei Eckhart ist der »grunt« von entscheidender Bedeutung für das Verhältnis von Gott und Welt sowie die mystische Gotteserfahrung. Ernst Waldschütz hat dem »Denken und Erfahren des Grundes« (1989) bei Eckhart ein gründliches Buch gewidmet. Der Grund ist nach Waldschütz »das Allerselbstverständlichste, das oft gerade nicht bemerkt wird – doch Eckhart ruft es in Erinnerung.« (ebd. 120) Der »grunt«, den er auch als »boden reif aller creaturen« (DW I 225, 5 f.) bezeichnet, ist so grundlegend, dass ihn Eckhart einfach »isticheit« nennt, was Waldschütz mit dem Begriff der »So-heit« im Buddhismus (ebd. 325) in Beziehung setzt. Weiter sieht er bei Eckhart eine den grundsätzlichen Gegensatz von Subjekt und Objekt transzendierende Auffassung, die an die »Nondualität« (Loy 1988) erinnert, die für fernöstliche Spiritualität kennzeichnend ist: »Die Einheit des Grundes bedeutet, dass ein Denken in der Zweiheit von Subjekt und Objekt nicht nur nicht möglich, sondern völlig inadäquat ist.« (ebd. 341) »Mit der Objektivität des vorstellenden Denkens verschwindet auch die Subjektivität und es tritt etwas Neues ein, jenseits dieser Zweiheit, besser: diese Zweiheit immer schon unterlaufend und in einer ursprünglichen Einheit versammelnd.« (ebd. 333)

      Die Einsichten von Eckhart und Friedlaender zu Gott und schöpferischer Indifferenz übersteigen die Prinzipien der klassischen aristotelischen Logik. Sich durch »Ununterschiedenheit unterscheiden« transzendiert das fundamentale logische Prinzip des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten: »Tertium non datur.« (Ein Drittes gibt es nicht.) Was ununterschieden, indifferent ist, das ist identisch, dasselbe. Das besagt der »Satz der Identität des Ununterscheidbaren«, Principium identitatis indiscernibilium. Und daher kann es sich nicht unterscheiden. Sonst wäre es unterschieden, different, anders. Und eben nicht ununterscheidbar. Die mystische Logik von Eckhart und Friedlaender besagt nun, dass der Satz der Identität wie auch der Satz vom ausgeschlossenen Dritten hier nicht gilt. Eine Entsprechung in der Zen-Philosophie ist die Logik des »soku-hi«, was man als »Ist gleich-Ist nicht-Logik« übersetzen könnte, die sich auf das berühmte logische Tetralemma des buddhistischen Philosophen Nagarjuna (2./3. Jh. n. Chr.) zurückführen lässt (Frambach 1994, 318 f.).

      Interessant, dass der logische Grundsatz des »Tertium non datur« auch anders ausgedrückt werden kann. Im Englischen ist die Bezeichnung »Law of the Excluded Middle« üblicher, womit das inhaltlich identische »Prinzip des zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen stehenden ausgeschlossenen Mittleren« (principium exclusi tertii sive medii inter duo contradictoria) wiedergegeben wird.

      »Mitte! Das ist ein Zauberwort« (F/K 1986, 220), schreibt Friedlaender in einem Brief an seinen Freund, den Zeichner Alfred Kubin. Nebenbei: Auch Perls spricht schlicht vom »Finden einer Mitte« (1969, 32) als dem Ziel von Therapie. Und Friedlaender behauptet nun eben dies, dass diese Mitte logisch nicht ausgeschlossen ist, sondern dass sich in ihr das schöpferische Prinzip der Welt verbirgt. Was es dafür braucht, dies zu erkennen, ist eine grundlegend veränderte geistige Sichtweise. Friedlaender sieht seine Philosophie als Anleitung zu einer »Orthopädie des Lebens, das noch immer verrenkt ist« (F/K 1986, 210). Er will die Perspektive prinzipiell, von Grund auf, in ihre polar ordnende Mitte renken:

      »Das Fundament der Dinge ist daher nicht ihre untere Grund-, sondern ihre zentrale Mittellage, die Dinge sind polar. Das ›Unten‹ ist die Mitte des polaren ›Oben‹.« – »Man meint, das sei ein Gegensatz: hie Wesen, dort Erscheinung; hie ›Jenseits‹, dort ›Diesseits‹: – aber der Gegensatz besteht allein in der Erscheinung, im ›Diesseits‹: das ›Wesen‹ dagegen ist kein ›Jenseits‹, es ist das Inmitten, es ist der schöpferische Berührungspunkt der unterschiedenen, vereinzelten Erscheinungen. Es ist nichts, das heißt nichts Unterscheidbares. Alles andere Verstehen des Nichts ist Missverständnis.« (GS 10, 139 u. 129)

      Friedlaender wird nicht müde, in immer neuen Variationen auf diese Mitte der schöpferischen Indifferenz hinzuweisen, die sich aber, nach meinem Verständnis, dem Erkennen des unterscheidenden Intellekts entzieht. Nicht dem Erkennen insgesamt! Aber es bedarf einer neuen Weise des Erkennens, der Einsicht. Dazu später mehr.

      Bei Nikolaus von Kues oder Nicolaus Cusanus (1401–1464), dem