einsichtig, dass die Erkenntnisbemühung der Physiker im Bereich kleinster Teilchen formal voraussagbar notwendigerweise zu diesem Ergebnis gelangen musste. Eine letzte eindeutige Einheit, Ganzheit, ist prinzipiell nicht restlos zu erkennen, weil Einheit, Ganzheit grundsätzlich als differenziertes Phänomen nicht zu erkennen ist. Wir erkennen nie restlos, ganz absolut, weil wir eben nur auf dem Hintergrund des Restes erkennen. Unser Erkennen ist prinzipiell unscharf. Die »Heisenbergsche Unschärferelation« ist nicht auf die subatomare Physik beschränkt, sondern ist ein erkenntnistheoretisches Grundfaktum. Im Bereich der Mathematik z. B. findet sie ihre logische Entsprechung im sogenannten »Unvollständigkeitstheorem« des Mathematikers Kurt Gödel, der nachwies, dass jedes logische System eine logische Voraussetzung haben muss, die selbst nicht logisch beweisbar ist. Auf Grund der Einsicht in die prinzipielle Polarität aller differenzierten Phänomene ist weiterhin von vorneherein klar, dass als letzte Erkenntnis im Bereich der kleinstmöglichen Teilchen die Wahrnehmung zweier sich ausschließender und ergänzender, d. h. komplementärer, polarer Phänomene übrig bleiben muss. Das, was polar als subatomares Teilchen- oder Wellenphänomen differenziert erkennbar wird – wie auch beim Licht – ist in seiner Einheit Ganzheit, indifferent. Es ist kein differenziertes Phänomen und damit dem forschenden Blick des Intellekts entzogen. Teilchen und Welle sind die polare, komplementäre Differenzierung desselben, das in seiner Identität indifferent unerkennbar ist. Was das »an sich« ist, das sich da in seinen polaren Phänomenen zeigt, lässt sich nicht erkennen und daher auch nicht sprachlich ausdrücken und begrifflich definieren. Die Physik hat die Materie bis in den subatomaren Bereich hinein verfolgt, drückte es einmal ein Physiker aus, und dann die Spur verloren. Dieses Verlieren der Spur wird durch die Einsicht in die prinzipielle Polarität der phänomenalen Realität erklärbar, als das Erreichen der intellektuellen Erkenntnisgrenze des differenzierenden naturwissenschaftlichen Erkennens im Mikro-Bereich. Das »Ding an sich« ist prinzipiell unerkennbar, wie das schon Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft intellektuell schlüssig nachwies, und zwar bezogen auf die Wahrnehmung aller Phänomene. Das »Ding an sich«, die Ganzheit, Einheit der Realität, ist das intellektuell unerkennbare Noumenon, das sich, können wir Kant mit Friedlaender präzisierend ergänzen, als Phänomen immer nur in seinem polaren Doppelaspekt zeigt. Diese Sichtweise der philosophischen »Metaphysik« Friedlaenders findet in den Erkenntnissen der exakten »Physik« ihre klare Bestätigung.« (Frambach 1996, 57 f.)
Thomas Görnitz hat sein Verständnis der Quantenphysik (2006) weiterentwickelt und auf dem Konzept der Quanteninformation ein umfassendes, über den materiellen Bedeutungsbereich der Physik hinausgehendes Wirklichkeitsverständnis konzipiert. Zusammen mit seiner Frau Brigitte Görnitz, Tierärztin wie auch Psychologin und Psychoanalytikerin, hat er in zwei didaktisch sehr gut formulierten Büchern (2008; 2009) innovative Sichtweisen beschrieben, die vielperspektivisch das Ganze der Realität erfassen. Zentral ist für sie der Begriff Protyposis:
»Für diese abstrakte und absolute Quanteninformation, die kosmisch begründet und noch bedeutungsfrei ist, führen wir einen neuen Begriff ein: Protyposis. (Er basiert auf dem Griech.: typeo – ich präge ein). Diese noch bedeutungsfreie Quanteninformation ist etwas, dem sich eine Form, eine Gestalt, schließlich sogar eine Bedeutung einprägen kann.« (Görnitz/Görnitz 2008, 7)
Diese allem zu Grunde liegende absolute Quanteninformation der Protyposis realisiert sich konkret als Materie, Energie und Bewusstsein, ähnlich wie Wasser sich als Flüssigkeit, Eis oder Dampf realisiert.
»Wir Menschen stehen, soweit wir die kosmische Evolution überblicken können, am gegenwärtigen Ende der Entwicklungslinie der Ausdifferenzierung der Protyposis, die man als das Weltsubstrat – eine abstrakte kosmische Quanteninformation – ansehen kann, die in uns Menschen dazu kommt, über sich selbst nachzudenken.« (ebd. 320) Und weiter: »Die Protyposis, die abstrakte kosmische Information, ist das Abstrakteste, was denkbar ist. Damit kommt sie von allen uns denkbaren naturwissenschaftlichen Begriffen sowohl dem am nächsten, was im Buddhismus als die »Leere«, als auch dem, was bei Platon das »Eine« genannt wird.« (ebd. 331)
Mir scheint, dass Friedlaenders schöpferische Indifferenz und polare Differenzierung, mehr noch als andere mystisch-philosophische Konzepte, wie z. B. wie der »grunt« bei Eckhart, mit diesen auf naturwissenschaftlichen Fakten basierende Theorien gut in Beziehung gesetzt werden kann. Interessant ist hier die Äthertheorie, die Friedlaender von seinem Kant-Vermittler Ernst Marcus (1969/80) übernimmt, der sie wiederum aus dem Opus Postumum von Kant herleitet. Darauf kann hier nur mit diesen wenigen und darum sehr leicht misszuverstehenden Sätzen als Möglichkeit hingewiesen werden, die einer gründlichen Untersuchung bedarf.
3.3.4 Die Mitte der Identität
»Ins Lateinische übersetzt heißt Atom das Unteilbare, Individuum. Wenn wir dem Individuum, d.h. uns selbst, unserem Ich, auf den Grund gehen, kommen wir zur gleichen Weise der Grund-Erkenntnis wie bei Materie und Zeit. Als Individuum, als isolierte unteilbare Einheit gibt es uns nicht. Wenn wir mit der Identitätsfrage: »Wer bin ich?« radikal ins Zentrum unserer Existenz hineinfragen, dann wird unser vermeintlich individuelles Ich entlarvt als egozentrische Illusion. Es ist nicht selbständig, unabhängig für sich existierend, sondern durch polaren Gegensatz bedingt: Subjekt und Objekt, Ich und Du oder einfach Ich und Nicht-Ich. Es löst sich auf, wenn wir versuchen, ihm auf den Grund zu gehen, es aus seinen polaren Existenzbezügen zu lösen und als individuelle, isolierte Einheit zu betrachten. Die Illusion des individuellen Ich löst sich auf in den Grund, die Grund-Wirklichkeit. Der ununterscheidbare transdifferente Grund ist das einzig Unteilbare. Nur Gott ist ein Individuum, ein individuelles Ich. Meister Eckhart sagt es so:
»Ego, daz wort ich, ist nieman eigen
denne gote allein in siner einekeit!« (Pfeiffer 1924, 201)
So bezeichnet Friedlaender aus seiner philosophischen Perspektive die Menschen als »Dividuen« und nur die »schöpferische Indifferenz« als das Individuum, das ICH (GS10, 306 ff. »Das magische Ich« 2001).
Wenn wir mit unserem unterscheidenden intellektuellen Erkenntnisvermögen einem Phänomen, welcher Art auch immer, sei es Materie, Zeit, individuelles Ich, radikal auf den Grund gehen, dann erkennen wir letztlich immer das Gleiche, nämlich eben den Grund. Es bleibt kein letztes unterscheidbares Einzelphänomen übrig, sondern wir werden zur Ununterscheidbarkeit, zur Indifferenz der überpolaren, nicht-dualen Grund-Wirklichkeit geführt. Der undefinierbare Grund ist einerseits Ausdruck der Grenze des dualen unterscheidenden Erkennens, auf die wir stoßen, und damit Ausdruck der Verborgenheit der letzten Realität. Aber diese Erkenntnisgrenze birgt auch die Chance, in ein überpolares Erkennen und Verstehen transformiert zu werden, in dem sich uns die in-dividuelle, überpolare Grund-Wirklichkeit Gottes erschließt – in kontemplativer Schau. (Frambach 1994, 346)
Auch der Grund, der Kern, die Mitte unserer Identität erweist sich bei gründlichem Erforschen nicht als eine letzte individuelle Einheit, sondern wir stoßen zu einer Weite durch, die jenseits aller Gegensätze liegt. Das Individuum, auf das wir treffen, ist die Indifferenz vom Einzelnen im Gegensatz zum Vielen. Die persönliche Individualität des Einzelnen wird nicht ausgelöscht und aufgelöst in einem Einheitsbrei, sondern in und durch die Ununterschiedenheit, die Übergegensätzlichkeit von Einheit und Vielheit, transformiert.
Martin Küpper hat in seiner Studie zu Psychologie und Meditation im Hesychasmus (1983) diese Suche nach der Mitte der Identität in dieser frühen mystischen Tradition des Christentums treffend beschrieben:
»Gleichzeitig sucht der Geist seine Mitte, d.h. seine ursprüngliche Identität. Er hat diese nur in dem Punkt, von dem aus sein ganzes Sein sich entfaltet. Wenn er gegenüber dem Netz von Umweltbezügen die Freiheit des zusehenden Dabeiseins erlangt hat, wird ihm bewusst, dass er nicht in der Trägerschaft dieser Bezüge aufgeht und mit keiner Rolle des Daseins identisch ist. Er hat ein Leben, das von jenen verschieden ist, und eine Mitte, die jenseits ihrer Verknotung liegt. Indem der Geist sie sucht, sucht er gewissermaßen das Herz des Geistes … Er muss also, um seine Mitte zu finden, durch sich hindurch zu einem inneren Jenseits gelangen, das innerlicher ist als er selbst.« (Küpper, 1983, 338)
Dass man, um seine Mitte zu finden, »durch sich hindurch zu einem inneren Jenseits gelangen« muss, das innerlicher ist als man selbst,