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Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie


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1979b, 164)

      Das klingt doch verdächtig nach der schöpferischen Indifferenz von Friedlaender/Mynona. »Ja, schöpferische Indifferenz ist ein mittlerer Modus«, sagt Lore/Laura Perls (1989, 178), auch wenn das von Fritz Perls & Co. nicht explizit formuliert wurde.

      Kreativität und schöpferische Spontaneität sind wesentlich vom Mittleren Modus, von der schöpferischen Indifferenz von Aktivität und Passivität geprägt, z. B. beim Tanzen. Wir bewegen uns und werden bewegt, von der Musik, dem Rhythmus. Oder beim Singen. Wir tönen und gleichzeitig hören wir uns und können so den Ton gestalten.

      Oder in der Spiritualität, in der Meditation, die ich als einen grundlegend schöpferischen Prozess verstehe. Meditieren ist wesentlich davon geprägt, geistig in eine Balance von Aktivität und Passivität zu kommen, wie körperlich in eine Balance von An- und Entspannung. Im Mittleren Modus dieser schöpferischen Indifferenz kann sich das Befreiende ereignen, das wir in der spirituellen Übung suchen. Aber eher dosiert prozesshaft als in spektakulären Durchbruchserfahrungen, auf die spirituelle sensationseeker spekulieren.

      Fritz Perls nennt Friedlaender »das westliche Äquivalent zur Lehre Laotse’s« (1969, 80). So ist es nicht verwunderlich, dass der Mittlere Modus der schöpferischen Indifferenz mit dem Wu-wei des Daoismus verglichen wird (Portele 1992, 105 ff.), das oft paradox mit »Handeln durch Nicht-Handeln« übersetzt wird.« (Frambach 2010, 44 f.)

      »Der mittlere Modus ist somit die grundlegende innere Haltung, die dem Respekt vor der Selbstorganisation alles Lebendigen im Wechselspiel von Chaos und Ordnung gemäß ist.« (Fuhr/Gremmler-Fuhr 1995, 160)

      Gerade das kreative Denken und Erkennen ist nach meiner Selbstwahrnehmung ein Prozess, der sich im Mittleren Modus vollzieht. Man beschäftigt sich aktiv und intensiv mit einem Thema einer Frage, bis man passiv auch unbewusst damit beschäftigt wird. Der Geist pendelt und oszilliert zwischen einem aktiven und passiven Modus, die sich gegenseitig durchdringen.

      7. Das Motiv von schöpferischer Indifferenz und polarer Differenzierung ist geeignet, auch andere gestalttherapeutische Aspekte psychischer Dynamik grundlegender zu verstehen.

      Das gilt z. B. für die neurotischen Vermeidungsmechanismen von Perls (1976, 48 ff.), die Introjektion und die Projektion, sowie die Konfluenz und die Retroflexion, die ich polar als »Verinnerlichen« und »Veräußerlichen«, sowie als »Auflösen« und »Verdichten« begreife, als »je zwei polar-gegensätzliche Möglichkeiten, die reale Auseinandersetzung an der realen Kontaktgrenze zu vermeiden und damit der Realität aus dem Wege zu gehen.« (Frambach 1994, 82)

      »Bei der psychisch ›gestörten‹ Persönlichkeit, die aus dem seelischen Gleichgewicht geraten ist, hat sich gleichsam wie bei einer Wippe die balancierende Mitte verschoben, weil man sich zu einseitig und überwiegend mit nur einem Pol einer psychischen Gegensatzeinheit, wie z. B. Freude und Trauer, identifiziert. Dadurch kippt die innere Balance und es entsteht eine Schieflage, auf der man sich nur in einer anstrengenden Weise aufrechthalten kann, nämlich durch die Ausgleichsbewegung neurotischer Vermeidungsmechanismen. Der existentiell eigentlich ›schwerwiegendere‹ Pol, von dem man aus irgendwelchen Ängsten abgerückt ist, sinkt unter das Bewußtheitsniveau, in den Schatten des Hintergrunds, und der für einen ›leichtere‹ wird vordergründig pseudo-dominant. Die/der eigentlich ›überwiegend‹ Traurige ›neigt‹ dazu, kompensativ eine vordergründig heitere Fassade zu zeigen. Der Weg der Heilung besteht daher grundsätzlich in einem ›Prozeß der Zentrierung‹, in der ›Aussöhnung von Gegensätzen … zu einem produktiven Zusammenspiel« (Perls 1980, 95).

      Diese Aussöhnung geschieht im Finden der Mitte, der schöpferischen Indifferenz, die den »Magnetismus der Extreme« (F 1926, 32) bewirkt, der widerstreitende Dualitäten zu komplementären Polaritäten integriert. Wendet man Friedlaenders polaren Denkansatz konsequent an, dann ist davon auszugehen, dass die Psyche, wie jedes andere Phänomen auch, prinzipiell polar, paarig, komplementär strukturiert ist. Es gibt keine einzelnen, für sich isolierten psychischen Phänomene, sondern es ist von Gegensatzeinheiten auszugehen, wie z. B. Zuneigung und Abneigung, Freude und Trauer, Durchsetzten und Nachgeben usw. Perls hat diese polare Sicht der Psyche nicht in einer systematischen Weise entfaltet, sie aber doch immer wieder zum Ausdruck gebracht:

      »Wie jedes psychologische Phänomen wird das Selbstwertgefühl als Polarität erfahren. Während oben ein hohes Selbstwertgefühl, Stolz, Ruhm und sich großartig fühlen steht, steht unten: sich schlecht, wertlos, niedrig und klein fühlen.« (Perls 1969, 4)

      Polarität ist für das Verstehen der Psyche von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist insbesondere in allen Ansätzen, die von der Psychoanalyse ausgehen (Jung, Adler, Reich, Szondi u. a.) mehr oder weniger deutlich aufzuzeigen, und vielleicht »eröffnet die Lehre von der Psychodynamik der Polarität die Möglichkeit, eine Gemeinsamkeit in der Neurosenpsychologie verschiedener tiefenpsychologischer Richtungen zu formulieren.« (Schlegel 1982, 275) Eventuell nicht nur dieser. Die polare Ausrichtung von Perls ist eindeutig auf Friedlaender zurückzuführen, der ihm außer dem Prinzip der polaren Differenzierung noch die zentrale Bedeutung der integrierenden Indifferenz vermittelte, und mit diesem Motiv die Denkbewegung seines gestalttherapeutischen Ansatzes anfänglich und entscheidend prägte. Ziel des gestalttherapeutischen Prozesses ist es aus dieser Perspektive, aus einseitiger Fixierung auf Vordergründiges zunehmend zum Grund zu führen, von der Peripherie zu Mitte und Zentrum, indem starre Dualitäten zu flexiblen Polaritäten integriert werden.« (Frambach 1996, 15)

      Schlussüberlegungen

      Wenn es um die Bedeutung von Friedlaenders Philosophie für die Gestalttherapie geht, stellt sich schließlich noch eine Frage: Was hat Fritz Perls wirklich davon verstanden? Wie gut hat er sich in diesen philosophischen Ansatz von schöpferischer Indifferenz und polarer Differenzierung vertieft? Was hat er gelesen? Wenn man einen normalen wissenschaftlichen Maßstab anlegt, dann ist das ausgesprochen dürftig. Perls hat Friedlaender kein einziges Mal wörtlich zitiert. Er hat die meisten Zusammenhänge, die ich anführe, wie den von der 4. Phase im »Fünf-Schichten-Modell« oder des Grundes mit der Schöpferischen Indifferenz, nicht explizit formuliert, geschweige denn ausgearbeitet. Aber das hat er mit seinen anderen Quellen, sei es Gestaltpsychologie, Holismus, Psychoanalyse, Organismustheorie von Goldstein, Phänomenologie, Existenz-Philosophie, Zen, usw. auch nicht getan! An normalen wissenschaftlichen Maßstäben gemessen ist Perls ein oberflächlicher Dilettant. Von Friedlaender hat er wahrscheinlich nur die Schöpferische Indifferenz gelesen. Wie genau, das kann niemand sagen. Was bedeutet es da, dass er sich von seiner ersten bis zu seiner letzten Veröffentlichung einige Male so prägnant und klar zu Friedlaenders Bedeutung für ihn bekennt? »Die Orientierung an der schöpferischen Indifferenz ist einleuchtend für mich. Ich habe dem ersten Kapitel von Das Ich, der Hunger und die Aggression nichts hinzuzufügen.« (1969, 80) Worin besteht der »tremendous impact« (Perls 1969, 74), den Friedlaender auf ihn hatte? Mit normalen wissenschaftlichen Kriterien wird man Perls nicht gerecht. Er war kein Wissenschaftler, kein systematisch gründlich denkender Mensch. Er war vor allem ein psychotherapeutischer Praktiker, ein »Aktionstyp« (Naranjo in diesem Band). Und er hatte ein ausgeprägtes Gespür, einen »Riecher« (Frambach 1996a, 41), »a keen nose« (Stoehr 1994, 81) für fruchtbare geistige Konzepte und Ideen.

      »Fritz war ein ungeduldiger Genius. Sein Gründen in Ideen war niemals tief, aber er wusste augenblicklich was er von einer Theorie anderer nutzen konnte. Er vertraute seiner eigenen Intuition um Dinge auszusortieren, und scherte sich wenig darum die Einsichten zu systematisieren, die er aus anderen Gärten gepflückt hatte.« (Stoehr 1994, 52; Übers. LF)

      Er hat sich intuitiv, fast möchte ich sagen instinktiv, mit diesen verschiedenen Ansätzen befasst, sie aber nie systematisch durchgearbeitet und integriert. Er ist der Typus eines charismatischen Praktikers, aber durchaus nicht ohne einen breiten intellektuellen Hintergrund. Seine provokativ anti-intellektuellen Äußerungen sind nicht als pauschal grundsätzliche Kritik zu verstehen, sondern sind »gegen eine erfahrungsferne Vermeidungs-Intellektualität gewandt, gegen eine entfremdende, aufgesetzte akademische Sprach- und Denk-Dressur.« (Frambach 1996a, 45) Perls war ein schwieriger Charakter, spannungsreich, widersprüchlich und unruhig. Das spiegelt sich auch in seiner Theoriebildung. Vieles