die man in zwischenmenschlichen Beziehungen einnimmt. […] Aber die Persönlichkeit ist im Wesentlichen nur ein verbaler Ausdruck des Selbst.« (Perls / Hefferline / Goodman 2006, Bd. I, 223 f.) Die Persönlichkeits-Funktion wird also durch die Antwort des Subjektes auf die Frage »Wer bin ich?« ausgedrückt. Es ist der Bezugsrahmen für die Grundeinstellungen des Individuums (Bloom 1997).
Im Widerspruch zu dem, was man aus Parallelen mit psychodynamischen Theorien schließen könnte, ist die Persönlichkeits-Funktion kein normativer Aspekt der psychischen Struktur. Die Persönlichkeits-Funktion drückt die Fähigkeit aus, auf der Grundlage einer bestimmten Definition des Selbst mit der Umwelt in Kontakt zu treten. Wenn ich mich zum Beispiel für schüchtern und verklemmt halte, gehe ich ganz anders in Kontakt mit meiner Umwelt als jemand, der sich selbst als draufgängerisch und extrovertiert definiert. Dieses Konzept erinnert an G. H. Meads (1934) empirisches »Mich«, dessen Theorie Paul Goodman beeinflusst hat (siehe Kitzler 2007). Die Persönlichkeits-Funktion beeinflusst, wie wir unsere sozialen Rollen gestalten (zum Beispiel Student, Eltern usw. werden), wie wir vorhergehende Kontakte assimilieren und uns kreativ an die durch Wachstum auferlegten Veränderungen anpassen.
Einer der grundlegenden Aspekte, auf die eine TherapeutIn achten muss, ist also die Funktionsweise des Selbst auf der Ebene der Persönlichkeits-Funktion. Zum Beispiel verwendet ein achtjähriger Junge spontan eine seinem Alter angemessene Sprache. Wenn er sich in der Sprache der Erwachsenen ausdrückt, kann dies als Merkmal einer gestörten Persönlichkeits-Funktion interpretiert werden (da es eine Modalität ist, mit der Umwelt in Kontakt zu treten). Dasselbe kann man von einer Vierzigjährigen sagen, die wie eine Sechzehnjährige spricht, von einer Mutter, die sich ihren Kindern gegenüber wie eine Freundin oder Schwester verhält, von einer StudentIn, die sich wie eine ProfessorIn benimmt oder von einer PatientIn, die sich selbst als jemand definiert, der keine Hilfe braucht.
Die Ich-Funktion
Die Ich-Funktion drückt eine andere Fähigkeit des Selbst-in-Kontakt aus: die Fähigkeit, sich mit Teilen des Felds zu identifizieren oder sich von ihnen zu entfremden (Das bin ich, das bin ich nicht). Die Macht zu wünschen und zu entscheiden charakterisiert die Einzigartigkeit individueller Entscheidungen. Es ist der Wille als Kraft, im Sinne von Otto Ranks Denken (1941, 50), die autonom organisiert ist. Sie ist weder ein biologischer Impuls noch ein sozialer Trieb, sondern stellt vielmehr den kreativen Ausdruck der ganzen Person dar (Müller 1991, 45).
Die Ich-Funktion greift also dadurch in den Prozess der kreativen Anpassung ein, dass sie Entscheidungen trifft, sich mit manchen Teilen des Felds identifiziert und sich von anderen Teilen entfremdet. Das Ich ist die Funktion des Selbst, die dem Individuum das Gefühl vermittelt, aktiv und absichtsvoll zu sein. Diese Intentionalität wird vom Selbst spontan ausgeübt, das sie mit Stärke, Bewusstheit, Erregung und der Fähigkeit entwickelt, neue Gestalten zu schaffen. »Es ist absichtsvoll, im aktiven Modus, sensorisch wach und motorisch aggressiv und sich seiner Selbst unabhängig von der Situation bewusst« (Perls / Hefferline / Goodman 2006, Bd. I, 220). Gemäß dem Werk Gestalttherapie sind es genau diese charakteristischen Merkmale der Ich-Funktion, die uns dazu bringen, dass wir das Ich als Agens des Erlebens betrachten. Haben wir diese Abstraktion erst einmal vorgenommen, denken wir uns die Umwelt nicht länger als einen Pol von Erfahrung, sondern als eine weit entfernte Außenwelt, sodass wir Ich und Umwelt leider nicht als Teile ein und desselben Ereignisses sehen. Die Ich-Funktion arbeitet auf der Grundlage der Information, die von allen anderen Strukturen des Selbst geliefert wird. Die Fähigkeit, spontan zu entscheiden, wird in Übereinstimmung mit der Fähigkeit ausgeübt, mit der Umwelt in Kontakt zu treten, und zwar durch das, was als »innerhalb der Haut« wahrgenommen wird (Es-Funktion), und was durch die Antwort auf die Frage »Wer bin ich?« definiert wird (Persönlichkeits-Funktion). Es ist die Fähigkeit zu introjizieren, zu projizieren, zu retroflektieren und vollständig in Kontakt zu treten.
An dieser Stelle ist ein didaktisches Beispiel hilfreich. Ein Gefühl, normalerweise als einheitliches Phänomen wahrgenommen, lässt sich gemäß den verschiedenen Funktionen des Selbst beschreiben. Der Es-Funktion entsprechend werden die Muskeln beim Erleben eines Gefühls als entspannt oder angespannt, die Atmung als frei und offen oder eingeschränkt wahrgenommen. Die Persönlichkeits-Funktion definiert das Gefühl als Teil des Selbst (»Ich gehöre zu den Menschen, die solche Gefühle haben«). Die Ich-Funktion ermöglicht das Entstehen von Erregung im Zusammenhang mit dem Gefühl, zum Beispiel durch Introjektion (das Erleben wird als »Ich bin bewegt, das ist in Ordnung für mich« definiert), durch Projektion (man bemerkt, dass auch in der Umwelt Erregung existiert, indem man z. B. sagt »Ich kann sehen, dass auch andere Menschen bewegt sind«), oder durch Retroflexion (man vermeidet vollständigen Kontakt mit der Umwelt, indem man sich zurückzieht oder die Energie auf das Selbst richtet und z. B. sagt: »Ich möchte alleine damit fertig werden«).
Die Begründer der Gestalttherapie beschreiben diese Ich-Funktionen einerseits als Fähigkeit, in Kontakt zu treten, andererseits als Widerstand dagegen (Verlust der Ich-Funktionen). Dieser doppelte Gebrauch der oben angeführten Begriffe zeigt eine grundlegende Übereinstimmung mit den epistemologischen Prinzipien der Gestalttherapie, die gesunde und pathologische Prozesse nicht voneinander trennt. Die Verwendung desselben Begriffs für Normalität und Psychopathologie mag jedoch zu Verwirrungen führen, wenn man sich nicht eingehend mit den epistemologischen Prinzipien von Prozess und Phänomenologie der gestalttherapeutischen Theorie des Selbst beschäftigt hat.
3.8 Das Erleben von Kontakt – Rückzug aus dem Kontakt
Die Aufmerksamkeit die dem Prozess in der Gestalttherapie gewidmet wird, führt uns dazu, die Entwicklung des Kontakterlebens zu beobachten und so die zeitliche Dimension in Betracht zu ziehen. Tatsächlich sieht normales gesundes Erleben folgendermaßen aus:
Man ist entspannt, es gibt vieles, womit man sich beschäftigen könnte, alles wird akzeptiert und bleibt ziemlich vage – das Selbst ist eine »schwache Gestalt«. Dann übernimmt ein Interesse die Führung, und die Kräfte werden spontan aktiviert, bestimmte Bilder werden prägnanter, und Bewegungsreaktionen werden ausgelöst. An diesem Punkt werden meist auch bestimmte absichtliche Selektionen und Entscheidungen erforderlich. »[…] Das heißt, daß der gesamten Funktionsweise des Selbst Grenzen auferlegt werden, und dabei vollziehen sich gemäß diesen Grenzen Identifikationen und Entfremdungen. […] Und auf dem Höhepunkt der Erregung wird die Intentionalität schließlich losgelassen, und die Befriedigung ist wiederum spontan.« (Perls / Hefferline / Goodman 2006, Bd. I, 219).
Das Selbst wird als Kontaktprozess und als Rückzug aus dem Kontakt definiert. Dieser Prozess führt zu einer Ausdehnung des Selbst, bis es die Kontaktgrenze mit der Umwelt erreicht und sich nach der Fülle der Begegnung zurückzieht. Das Kontakterleben wird in Gestalttherapie als eine Entwicklung beschrieben, die in vier Phasen abläuft: Vorkontakt, Kontaktaufnahme, Kontaktvollzug und Nachkontakt. Jede von ihnen betont einen anderen Aspekt der Figur/Hintergrund-Dynamik.
Die Aktivierung des Selbst wird Vorkontakt genannt. Damit ist der Moment gemeint, in dem Erregungen entstehen, die den Figur/Hintergrund-Prozess in Gang setzen. Nehmen wir als Beispiel für die Entwicklung des Selbst das Hungergefühl. Im Vorkontakt wird der Körper als Hintergrund wahrgenommen, während die Erregung (Hungergefühl) die Figur darstellt. In der darauffolgenden Phase, der Kontaktaufnahme, weitet sich das Selbst in Richtung der Kontaktgrenze mit der Umwelt aus. Dabei folgt es der Erregung, durch die es in einer Sub-Phase der Orientierung dazu animiert wird, die Umwelt auf der Suche nach einem Objekt oder einer Reihe an Möglichkeiten zu untersuchen (Nahrung, verschiedene Nahrungsmittel). Das gewünschte Objekt wird nun zur Figur, während sich das ursprüngliche Bedürfnis oder der ursprüngliche Wunsch in den Hintergrund zurückzieht.
In einer zweiten Subphase der Manipulation »manipuliert« das Selbst die Umwelt, indem es bestimmte Möglichkeiten wählt und andere ablehnt (es wählt zum Beispiel herzhafte, heiße, weiche Nahrung, die reich an Proteinen ist). Außerdem wählt es bestimmte Teile der Umwelt aus und überwindet Hindernisse (es sucht z. B. aktiv nach einem Restaurant, einer Bäckerei, einer Gaststätte, wo es die gewählte Nahrung finden kann).
In der dritten Phase, dem Kontaktvollzug, wird der Kontakt als endgültiges Ziel zur Figur, während die Umwelt und der Körper den Hintergrund bilden.