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Historische Begegnungen


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      Für diese Kraftprobe wegen der Tauffrage hätten Conrad Grebel und Felix Manz keinen schlechteren Zeitpunkt finden können. Trotz den erfolgten Todesurteilen Ende September 1524 schien der Ittinger Sturm vom Juli für die Innerschweiz noch längst nicht erledigt. Schon die durch die Reformation möglich gewordenen Hochzeiten von Nonnen und Pfaffen sowie die bäuerlichen Zehntenstreiks, erst recht aber die als Frevel gewertete Verbrennung der Heiligenbilder waren für viele Eidgenossen nicht nachvollziehbar.

      Am 25. Februar 1524 hatte Papst Clemens VII. in einem Schreiben an die eidgenössische Tagsatzung zur «Vertilgung der Häretiker» aufgerufen und zum Kampf gegen «das Treiben der unfrommen Geistlichen». Ein erneutes päpstliches Schreiben am 19. April 1524 warnte vor dem «Pestgift, das in die Seelen der Gläubigen gesät» werde. Unverhohlene Morddrohungen gegen Zwingli wurden aus Zug und Luzern gemeldet. Das alles wurde in Zürich bekannt. Die Spaltung der Eidgenossenschaft drohte.

      Eine Panik in Rapperswil im November 1524 schien den Krieg schliesslich unvermeidlich werden zu lassen. Auf einmal wurde herumerzählt, Zürich stehe kurz davor, mit zwei Kriegsschiffen – andere sprachen von vier oder fünf Schiffen, alle mit Geschützen gerüstet – in See zu stechen, um Rapperswil zu bekriegen. In Luzern wurden Truppenaushebungen in einem nie vorher erfolgten Ausmass vorgenommen.

      Möglicherweise ging die Rapperswiler Panik auf ein Durchsickern geheimer Zürcher Strategiestudien zurück. Der sogenannte Plan zu einem Feldzug, bei dessen Formulierung Zwingli offenbar einen gewichtigen Anteil hatte – die Schrift gilt als Teil seiner gesammelten Werke –, enthielt zahlreiche diplomatische Schritte und sah für den Fall eines Angriffs des Gegners vor, diesen mit einem «Gegenzug» in sein unverteidigtes Gebiet zu treffen. Geplant wurde auch eine – monströse – Blitzaktion zur Entführung der Frauen und Kinder der Mächtigen im Hauptort Schwyz. Lastete Zwingli womöglich dieses mutmassliche Informationsleck insgeheim gar Junker Jakob Grebel an, dem Vater Conrad Grebels?

      Nur die aussenpolitische Konstellation verhinderte den Ausbruch eines offenen Religionskriegs schon zu jenem Zeitpunkt: Die katholischen Eidgenossen hatten Tausende von Kriegern als Söldner auf Seiten des französischen Königs in Italien stehen, der das Herzogtum Mailand wieder in seine Gewalt zu bringen suchte. Dadurch waren den Innerschweizern einstweilen die Hände gebunden.

      In der Schrift «Wer Ursache gebe zu Aufruhr» spitzte Zwingli seine strikten Gehorsam einfordernden Argumente im Dezember 1524 noch zu. Seinen radikalen früheren Anhängern warf er polemisch «Affenspiele» vor. «Mal wollen sie keine Obrigkeit haben; mal wollen sie die Obrigkeit haben; doch sei keiner ein Christ, welcher ein Oberer sei. Bald wollen sie eine eigene Kirche haben […] Und solche Affenspiele bringen sie täglich mehr hervor als Afrika seltsame Tiere.» Wohl speziell an Conrad Grebel gerichtet, dessen melancholische Seite er stets für eine Schwäche gehalten hatte, schrieb Zwingli in Aufkündigung der letzten verbliebenen Freundschaft: «Und heisst sie das ein armes, verwirrtes, bitteres Gemüt: spiritus, Geist, der doch nicht anderes ist als ein saturnisches, melancholisches Fleisch […].»

      Damit waren die Eidgenossen keinesfalls zu beruhigen. Das wurde offenkundig, als die Gesandten der sechs Orte Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Freiburg an der Tagsatzung in Bern vom 30. Dezember 1524 den übrigen eidgenössischen Orten eine «Instruktion» übergaben, in der sie die Abstrafung weiterer Verantwortlicher für den Ittinger Sturm verlangten. Dieses Schreiben las sich wie eine letzte Mahnung vor einer Kriegserklärung. Darauf begaben sich die Gesandten von Bern, Glarus, Basel, Solothurn, Schaffhausen, Appenzell und St. Gallen am 13. Januar 1525 nach Zürich, um zu schlichten.

      Verbote und Verfolgung

      Ausgerechnet in dieser brenzligen Lage um die Jahreswende 1524/25, als der Zürcher Rat und ihr erster Prediger Zwingli peinlich darauf achteten, keinen weiteren Anlass zur Verstimmung der Eidgenossen zu geben, verlangten Conrad Grebel und seine Freunde, von politischen Rücksichten unbekümmert, die Abschaffung der Kindertaufe. Sie predigten gegen eine Wand der Ablehnung. Am 18. Januar 1525 stellte der Zürcher Rat die Verweigerung der Kindertaufe und jede Aufforderung zum Verzicht auf sie unter Strafe. Die erste Taufdisputation, die am Vortag, dem 17. Januar 1525, stattfand, war ergebnislos verlaufen.

      Am 21. Januar 1525 schliesslich, acht Tage nach dem Besuch der gemässigten Gruppe der Eidgenossen, belegte der Zürcher Rat die Gruppe der jungen Radikalen ihrer abweichenden Meinung wegen mit einem Versammlungs- und Redeverbot. Sie hatten nicht nur eine eigene Bibelschule unterhalten und öffentlich bei jeder Gelegenheit disputiert, sondern unterhielten engste Kontakte zu den zwei in Kirchenfragen rebellischsten Landgemeinden – Witikon, hoch oberhalb der Stadt gelegen, und Zollikon, der stadtnächsten Gemeinde am See. Nun sollten die Nichtzürcher unter ihnen des Landes verwiesen werden, darunter der Prediger Wilhelm Reublin, den die Witikoner Bauern selbst eingestellt hatten und Johannes Brötli, der in Zollikon radikal-evangelisch predigte.

      Ebenfalls in jenen Tagen, am 6. Januar 1525, hatte Conrad Grebels Frau Barbara eine Tochter geboren: Rachel. Sie sei «noch nicht in dem Römischen Wasserbad getauft und geschwemmt», meldete Conrad seinem Schwager Vadian am 14. Januar 1525 herausfordernd. Ahnungsvoll hatte er ihm bereits am 15. Dezember 1524 geschrieben: «Ich meine nicht, dass Verfolgung ausbleiben wird.»

      Nach jenem Verbot vom Samstag, 21. Januar, kamen die Radikalen ein letztes Mal in der Zürcher Wohnung von Felix Manz und dessen Mutter Anna Manz zusammen – ob noch am selben Abend oder einem der folgenden Tage ist nicht bekannt. Da kniete Blaurock, ein verheirateter ehemaliger Priester aus Graubünden, der erst seit wenigen Wochen in Zürich wohnte und eigentlich Georg Cajacob hiess, vor Conrad Grebel nieder und bat darum, so wie es in den Evangelien von Johannes dem Täufer und Jesus geschrieben stand, von ihm getauft zu werden. Mit dabei waren auch der Bündner Andreas Castelberger, Zwinglis langjähriger Buchhändler, sowie der Zürcher Bäcker Heinrich Aberli und zahlreiche andere. Conrad Grebel erfüllte Blaurocks Bitte, goss ihm anscheinend mit einer Schüssel Wasser über das oben kahle Haupt mit den am Rand noch langen, schwarzen Haaren und vollzog das Ritual, das fortan ihren Zusammenhang stiften sollte. Darauf erhob sich Blaurock und taufte alle übrigen. Ohne priesterliche Weihe zogen Conrad Grebel und Felix Manz fortan predigend und taufend über die Lande.

      Zwar brachte die blutige Niederlage des französischen Heers und der eidgenössischen Söldner in der Schlacht bei Pavia am 24. Februar 1525 eine vorübergehende Entspannung der Kriegsgefahr. Der entscheidende Schlagabtausch erfolgte schliesslich 1529 und 1531 in den beiden Kappeler Kriegen. Im zweiten fand Zwingli auf dem Schlachtfeld bekanntlich den Tod.

      Doch das vorübergehende Nachlassen des eidgenössischen Drucks auf Zürich im Jahr 1525 blieb für die Auseinandersetzung zwischen den Täufern und Zwingli selbst folgenlos. Seit dem 18. Januar 1525 drohte denen, die tauften oder sich taufen liessen, die Verbannung. Das wurde im Ratsbeschluss vom 11. März 1525 bestätigt und blieb auch so nach der erneut ohne eine Annäherung der Standpunkte verlaufenen zweiten Taufdisputation vom 20. März 1525. Doch faktisch wurde die Strafe gegen die «Wiedertäufer», wie sie nun polemisch genannt wurden, bereits verschärft: Der Zürcher Felix Manz, der seit Anfang Februar gefangen war, ebenso wie viele andere aus Zollikon, die nicht widerrufen wollten, kamen in unbefristete Beugehaft – zunächst wurden sie wegen ihrer grossen Zahl im ehemaligen Augustinerkloster eingesperrt.

      Conrad Grebel blieb zunächst in Freiheit, weil er Ende Januar nach Schaffhausen auswich – «betrübt, aber in Christo», wie ein Mitstreiter über ihn berichtete. Dort feierte er als Laie Abendmahl, indem er ein Brot zerschnitt und verteilte. Willige taufte er im Rhein – offenbar aber erst, nachdem Wolfgang Uoliman, ein ehemaliger Klosternovize und seit Jahren auf Seiten der Reformation, Grebel dazu gedrängt hatte, wie es der Chronist Kessler überliefert hat.

      In St. Gallen dann, wo Mitstreiter schon erfolgreich vorgearbeitet hatten, zog Conrad Grebel am Palmsonntag, 9. April 1525, mit einer Volksmenge vor die Tore der Stadt und taufte eine grosse Zahl Menschen, die sich aller Kleider entledigten und mit ihm in die Sitter, den örtlichen Fluss, stiegen. Auf diese Wassertaufe geht auch Grebels Ausspruch zurück, mit dem er angeblich Diskussionen mit Gegnern aus dem Weg ging: Er forderte sie nämlich auf, «nackt» zu ihm zu kommen, wenn sie mit ihm reden wollten – das hiess für ihn so viel wie: zuerst das sündige Leben