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Historische Begegnungen


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aus eidgenössischer Sicht wird nicht nur aus der ihr zugeschriebenen Rolle in der Blutrache genährt. Agnes erhielt auch das Etikett der bösen Stiefmutter. Dies rührt aus dem wahrscheinlich erzwungenen Eintritt ihrer Stieftochter Elisabeth in das Kloster Töss bei Winterthur. Nachdem ein Heiratsprojekt Elisabeths mit König Wenzel von Böhmen gescheitert war und die Habsburger die Thronfolge des Karl Robert Anjou in Ungarn anerkannt hatten, hatte die ungarische Prinzessin ihre Bedeutung als politisches Pfand verloren, konnte sogar zur Hypothek werden. Ein Verschwindenlassen hinter Klostermauern war daher naheliegend. Die Chronik von Töss, wahrscheinlich im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts entstanden, schiebt Agnes die Hauptrolle in dieser Versorgung der Stieftochter ins Kloster zu. Agnes als politischer Arm der Habsburger im Westen könnte diese Rolle durchaus gespielt haben. Allerdings förderte Agnes neben Königsfelden auch das Kloster Töss stark.

      Das Bild der politischen Agnes wird in der habsburgnahen vorländischen Chronistik des 14. Jahrhunderts angedeutet – bei Matthias von Neuenburg und Johannes von Winterthur, die beide die Zeit der Agnes noch zu Lebzeiten erfuhren –, aber noch wenig herausgearbeitet. Die frühe eidgenössische Chronistik – die Chronik der Stadt Zürich und die Berner Chronik des Konrad Justinger – hebt die Schiedstätigkeit der Habsburgerin erstmals deutlich hervor. Aus dieser politisch weisen Frau wurde an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert in der eidgenössischen Geschichtsschreibung die listige und böse Frau. Die Grundlage dazu legte der Zürcher Chronist Heinrich Brennwald in seiner Chronik im Jahr 1515. Brennwald würdigt zwar noch die Schiedstätigkeit der Agnes, schreibt ihr aber eine wesentliche Rolle in der Blutrache nach 1308 zu. Brennwalds Darstellung wurde dann von Johannes Stumpf und Aegidius Tschudi noch markant ausgeweitet. Bei Tschudi wird auch ihre Tätigkeit als Schiedsrichterin negativ bewertet: Sie habe immer nur den Vorteil ihres Hauses im Blickfeld gehabt. Damit war das Bild der Agnes in der Schweizer Geschichte festgeschrieben. Erst die moderne, auf Urkunden basierende Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert begann das Bild zu korrigieren. Der Biograf Hermann von Liebenau schoss dabei mit seiner fast hagiografischen Lebensgeschichte 1868 über das Ziel hinaus. Die Schweizer Geschichtsschreibung Ende des 19. Jahrhunderts würdigte Agnes schliesslich als kluge habsburgische Politikerin, ein Bild, das nach wie vor gültig ist. Aus heutiger Sicht wird man zudem ihre besondere Rolle als Frau hervorheben. Aufgrund ihrer Herkunft und ihres Status konnte sie sich als eigenständige Frau in den Herrschaftsstrukturen der Zeit behaupten – auf Augenhöhe mit den Mächtigen der Zeit. Ganz wenige Frauen haben dies geschafft.

      Literatur

      – Boner, Georg: Königin Agnes von Ungarn. In: Brugger Neujahrsblätter 1964, 3–30. Brugg 1963.

      – Boner, Georg: Die politische Wirtksamkeit der Königin Agnes von Ungarn. In: Brugger Neujahrsblätter 1965. Brugg 1964, 3–17.

      – Geschichte des Kantons Zürich, Band 1, Frühzeit bis Spätmittelalter. Hg. von der Stiftung Zürcher Kantonsgeschichte. Zürich 1995.

      – Kurmann-Schwarz, Brigitte: Die mittelalterlichen Glasmalereien der ehemaligen Klosterkirche Königsfelden. Corpus Vitrearum Medii Aevi Schweiz II. Bern 2008.

      – Largiadèr, Anton: Bürgermeister Rudolf Brun und die Zürcher Revolution von 1336. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Band 31, Heft 5. Zürich 1936.

      – Largiadèr, Anton: Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich, Band 1. Zürich 1945.

      – Liebenau, Hermann von: Urkundliche Nachweise zu der Lebensgeschichte der verwitweten Königin Agnes von Ungarn 1280–1364. In: Argovia 5. Aarau 1866, 1–192.

      – Liebenau, Hermann von: Lebens-Geschichte der Königin Agnes von Ungarn, der letzten Habsburgerin des erlauchten Stammhauses aus dem Argaue. Regensburg 1868.

      – Liebenau, Hermann von: Hundert Urkunden zu der Geschichte der Königin Agnes, Wittwe von Ungar, 1288–1364. Regensbrug 1869.

      – Meyer, Bruno: Die Bildung der Eidgenossenschaft im 14. Jahrhundert. Vom Zugerbund zum Pfaffenbrief. Zürich 1972.

      – Nevsimal, Alfred: Königin Agnes von Ungarn. Leben und Stellung in der habsburgischen Politik ihrer Zeit. Dissertation Universität Wien. Wien 1951 (Typoskript).

      – Regli, N.: Das Bild der Königin Agnes von Ungarn in der schweizerischen Geschichtsschreibung. Lizentiatsarbeit Universität Zürich. Zürich 1970 (Typoskript).

      – Schneider, Jürg E.: Bürgermeister Rudolf Brun, 1336–1360. In: Geschichte der Schweiz. Fenster in die Vergangenheit I, Heft 32. Hg. von der Gesellschaft für militärhistorische Studienreisen. Zürich 2011, 73–79.

      – Stettler, Bernhard: Habsburg und die Eidgenossenschaft um die Mitte des 14. Jahrhunderts. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 23. Jahrgang. Basel 1973, 750–764.

      – Teuscher, Simon; Moddelmog, Claudia (Hg.): Königsfelden. Königsmord, Kloster, Klinik. Baden 2012.

      – Zürich 650 Jahre eidgenössisch. Hg. vom Staatsarchiv des Kantons Zürich und von der Zentralbibliothek Zürich. Zürich 2001.

      Der Reformator gegen

      den Radikalen

      Ulrich Zwingli

      UND

      Conrad Grebel

Ulrich Zwingli und Conrad Grebel

      Wie revolutionär durfte die Zürcher Reformation sein

      Peter Kamber

      Zwingli gab sich kühl, als der Täufer Conrad Grebel am 8. Oktober 1525 in der Nähe von Hinwil im umkämpften Zürcher Oberland durch Landvogt von Grüningen verhaftet und in den Neuen Turm in Zürich eingeliefert wurde: «Der Unglücksmensch suchte ja immer ein Schauspiel mit traurigem Ende, jetzt hat er es.» Über mehrere Monate lagen Conrad Grebel und sein am 31. Oktober 1525 ebenfalls eingefangener Freund Felix Manz mit zahlreichen anderen Täufern und Täuferinnen im Neuen Turm, der an der damaligen Stadtmauer hinter dem Predigerkloster stand – bis ihnen allen am 21. März 1526 eine spektakuläre Flucht gelang. Mit einem losen Brett, das sie aus dem Fussboden gerissen hatten, stiessen sie in der Nacht ein loses Brett in der Decke weg, halfen einander gegenseitig ins obere Stockwerk, von wo sie sich aus einer schmalen Fensteröffnung über die Aussenmauer abseilen konnten.

      Auf der Flucht erlag Conrad Grebel, der pazifistische täuferische Prediger gegen die Obrigkeit, im Sommer 1526 bei seiner ältesten Schwester Barbara in Maienfeld im Bündner Rheintal der Pest. Ohne diesen frühen Tod wäre es ihm gleich ergangen wie seinem Freund Felix Manz. Der wurde im Dezember 1526 einmal mehr gefangen genommen und auf Betreiben von Ulrich Zwingli am 5. Januar 1527 in Zürich hingerichtet – durch Ertränken in der Limmat. Auch manche Hexen und die Kindsmörderinnen starben so, aber die Strafmassnahme gegen die Täufer erschien zusätzlich als Symbol: In ihrem Taufwasser sollten sie zugrunde gehen, die daran festhielten, Jesus und seine Apostel hätten gewollt, dass zur Einsicht gebrachte Erwachsene getauft würden, nicht ahnungslose Neugeborene.

      Conrad Grebel, Sohn eines Mitglieds des regierenden Kleinen Rats, und Felix Manz, das illegitime Kind eines Chorherren am Grossmünster, der schon vor der Reformation verstorben war, waren die prominentesten jungen Stadtzürcher im Kreis jener Radikalen, die im Januar 1525 in der Limmatstadt die Taufbewegung begründeten und sich mit diesem Schritt, nach langem Richtungsstreit, endgültig mit Zwingli überwarfen. Sie wollten die Kirche vom Staat lösen, um als Gemeinschaft Gleicher ohne Hierarchie helfend füreinander einzustehen, auch in der Not zu teilen, was sie besassen. Auch sollte jeder und jede predigen und aus den Evangelien vortragen dürfen. In der Glaubenstaufe sahen sie ein einigendes Zeichen.

      Hoffnung einer Jugend

      Conrad Grebels Geburtsdatum ist nicht bekannt, aber 1504 waren er, sein jüngerer Bruder Andreas sowie drei seiner Schwestern, Barbara, Euphrosine und Martha, schon auf der Welt. Grebel dürfte etwa 15 Jahre jünger