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Historische Begegnungen


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wusste Conrad Grebel, wie problematisch die Stipendien waren, von denen er lebte. Dem Humanisten und Stadtarzt von St. Gallen, Vadian, der in Wien sein Lehrer gewesen war und seine Schwester Martha geheiratet hatte, klagte Grebel – in Latein – noch aus Paris sein ganzes Leid. Im bereits erwähnten Brief vom 14. Januar 1520 heisst es da über seinen Vater: «Er weiss nicht, was ich durch seine Schuld leide, seitdem er mich zuerst vom Kaiser und dann vom französischen König füttern lässt. Hätte er mich nur gelehrt, nach Väterart mit wenigem selbstverdienten Gelde auszukommen (ich hoffe nur, dass er von verbotenen Geschenken nichts empfangen hat), und hätte er gewollt, dass ich die Federn nicht höher strecke als das Nest, so würde mir nicht öffentlich und hinter dem Rücken Böses nachgesagt […]. Dann müsste ich nicht, wenn solche Gespräche geführt werden, bald erröten, bald erbleichen; so könnten nicht päpstliche Ritter und andere Leute immer sagen, mein Vater begünstige einseitig die Interessen des französischen Königs. […] Des Volkes Reichtum saugt der König aus und raubt ihm aus dem Munde wie ein Wolf die Nahrung, mit der ich mich glänzend ziere, im Überfluss lebe und einst, wenn das Gemeinwesen mich zu Würden und Ehren erhebt, zu Gott weiss was gezwungen werde.»

      Es spricht manches dafür, dass Conrad Grebel sich im ersten Winter 1518/19 in Paris wegen des feuchten, kalten Zimmers eine Polyarthritis zuzog, auf jeden Fall klagte er noch im Juli 1521 gegenüber seinem Schwager Vadian über Gelenkschmerzen in Füssen und Händen gleichzeitig. Die kehrten mit Unterbrüchen ständig wieder. Manchmal war er für lange Tage ausserstande zu irgendwelcher Tätigkeit.

      Zurück in Zürich, musste er bei Abwesenheit seines Vaters unvermeidlich in dessen Eisengrosshandelsgeschäft aushelfen. Er hatte in Paris Griechisch gelernt und las nun nebenbei weiter Epigramme, arbeitete auch an einem erläuternden Buch zu Homers Werken. Doch war er ziemlich verzweifelt, in Zürich das unabhängige Leben nicht mehr fortführen zu können. Er wünschte sehnlichst, sein Studium fortzusetzen. Der unzufriedene Vater drängte ihn zur Wahl einer Universität im päpstlichen Machtbereich, Pisa oder Bologna. Dies in Sachsen, das heisst im lutherischen Wittenberg, zu tun, blieb Conrad Grebels unerfüllbarer Wunsch. Aussicht auf ein Stipendium gab es nur von Seiten des Papstes – und solches Geld wollte Conrad Grebel nicht mehr annehmen müssen. Nicht nur wegen der causa Luther.

      Eigenes Geld stand dem Vater offenbar nicht zur Verfügung, sogar seinem Schwiegersohn Vadian musste Junker Jakob Grebel die Mitgift lange schuldig bleiben. Das Eisengeschäft ging in jenen Jahren schlecht: Wegen der Pest von 1519/20 und dann wegen des Kriegs in Norditalien 1521 scheint es schwierig geworden zu sein, noch genügend Nachschub an Roheisen zu erhalten. Umgekehrt war Junker Jakob Grebel als Mitglied des Kleinen Rats zu einem seiner Geltung entsprechenden Lebensstil verpflichtet – mit Pferden für diplomatische Reisen sowie Gelagen und Geschenken zur Sicherung der periodischen Wiederwahl. Er gehörte der Konstaffel an, der Stubengesellschaft der Vornehmsten in der Stadt.

      Das Geld war schon in Paris zum Hauptstreitpunkt zwischen Conrad Grebel und seinem Vater geworden. Aufgrund der Berichte über unvorsichtigen Umgang mit Geld hatte der ihm nämlich einen Teil des französischen Stipendiums – 400 Gulden – gar nicht mehr zukommen lassen. Ursprünglich erschien das als Erziehungsmassnahme. Er enthielt ihm dieses heikle Geld auch in Zürich weiter vor, vielleicht aus Angst, es würde unnötig zu reden geben und ihm als Ratsherrn in der sich 1521 zuspitzenden Auseinandersetzung um die aussenpolitische Ausrichtung der Stadt schaden.

      Vieles deutet aber darauf hin, dass Junker Jakob Grebel 1519/20 diese Summe benutzte, um Löcher im Eisenhandelsgeschäft zu stopfen oder die mit grossen Ausgaben verbundene Hochzeit seiner Tochter Martha mit Vadian am 19. August 1519 auf Schloss Wädenswil auszurichten – zu der nota bene Conrad Grebel, der die Verbindung der beiden überhaupt gestiftet hatte, mangels Geld nicht mal hatte anreisen können. Die Sache belastete die Vater-Sohn-Beziehung schwer. Im Bedürfnis, sich abzugrenzen und der Empörung Luft zu verschaffen, zog Conrad Grebel trotz Vadians Ermahnungen zu strengem Stillschweigen alle seine Freunde ins Vertrauen, darunter auch Zwingli. Der vergass die Sache nicht und machte das ihm anvertraute Geheimnis 1526 zum Hauptanklagepunkt gegen den einflussreichen Ratsherrn, obwohl Junker Jakob Grebel die Summe inzwischen wieder zurückgelegt hatte – die 400 Gulden fanden sich bei seiner Verhaftung im Herbst 1526 in einem Beutel, sorgsam aufbewahrt bei ihm zu Hause. Formal gesehen war er nur Treuhänder dieses Geldes gewesen, das rechtmässig seinem Sohn gehörte.

      Es gab noch einen weiteren dramatischen Konflikt: Ohne seinen Eltern auch nur ein Wort zu verraten, hatte sich Conrad Grebel kurz nach der Rückkehr aus Paris in eine junge Frau verliebt. Aller Wahrscheinlichkeit nach war sie zu jenem Zeitpunkt Novizin im Zürcher Oetenbach-Kloster, und eine Tante, die dort als Nonne lebte, deckte diese geheime platonische Liebe. Eine jüngere Schwester Conrads, Euphrosyne, die dasselbe Kloster gewählt hatte, war kurz vor seiner Heimkehr nach Zürich gestorben. Vielleicht stattete Conrad der Tante einen Trauerbesuch ab und sah die junge Frau bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal. In dem Fall hätte sie nach Ablauf des Noviziats seinetwegen auf die Ablegung eines Gelübdes verzichtet und das Kloster verlassen. Wäre sie Nonne geworden, hätte sie erst zwei Jahre später im Zuge der Reformation austreten dürfen – frühestens im Juni 1523.

      Fest steht, dass die beiden den Plan fassten, nach Basel durchzubrennen. Conrad Grebel bereitete alles vor. Er hatte Kontakte zum Basler Buchdrucker Cratander, der händeringend nach Hilfskräften suchte. Der Buchhandel in Basel florierte. Conrad wusste, er könnte als Korrektor für Latein und Griechisch eigenes Geld verdienen – und an der Universität Basel fertig studieren. Noch zögerte er den Absprung hinaus, wegen einer Lungenentzündung seiner Mutter. Im Sommer 1521 reiste die junge Geliebte, die wie seine älteste Schwester Barbara hiess, ihm voraus, mit 50 Gulden, die Conrad Grebel sich unter Vortäuschung falscher Tatsachen beim Sekretär des päpstlichen Legaten verschafft hatte – der glaubte, der junge Mann wolle nun doch mit einem päpstlichen Stipendium in Pisa studieren.

      Allein zurückgeblieben, fühlte sich Conrad Grebel in Zürich wie in der Verbannung. Wenn er ihr nicht auf der Stelle folge, werde er elend sterben, klagte er Vadian. Schliesslich stimmte der Vater, der noch immer nichts von der Existenz jener jungen Barbara wusste, der Abreise des Sohnes nach Basel zu und gab ihm 40 «francos» – umgerechnet 20 Gulden – mit. Offenbar setzte Junker Jakob Grebel nun ganz auf den jüngeren Sohn Andreas als Nachfolger im Eisengeschäft.

      Ein «Oceanus» der Glückseligkeit warte auf ihn, schrieb Grebel dem Schwager Vadian, als er sich auf die Reise machte. In Basel verlebte er wohl die wunderbarste Zeit seines Lebens, blühte gesundheitlich auf und entfaltete in der Buchdruckerei Cratanders, für die auch der Künstler Hans Holbein der Jüngere tätig war, vielfältige Eigeninitiativen. Doch dann starb sein Bruder Andreas am 3. September 1521 plötzlich an unbekannter Ursache. Und da erzwang der Vater die Rückkehr Conrads– als einziger männlicher Erbe. Widerstrebend fügte er sich.

      Noch finden sich keine reformatorischen Töne in den Briefen, noch fühlte er sich als humanistischer Dichter mehr den Musen und Gottheiten der Antike verpflichtet. Erst im November 1521 berichtet Conrad Grebel, dass er und zwei Freunde mit Zwingli einen Plato-Lesekreis gegründet hätten. Noch immer hielt er seine Liebe zur ehemaligen Novizin Barbara geheim. Seine Befürchtung, dass sich Vater und Mutter der Verbindung widersetzen würden, bewahrheitete sich, als er schliesslich alles offenlegte. Da nutzte Conrad Grebel die erste sich bietende Gelegenheit, als sein Vater wegen einer diplomatischen Mission nicht in der Stadt war, und heiratete die junge Frau gegen den erklärten Willen der Eltern am 6. Februar 1522, indem er sie vor aller Augen zum Fraumünster führte.

      Von da an gestalteten Conrad und seine Frau Barbara ihr eigenes, wenn auch kärgliches Leben, offenbar in einem Haus, das ebenfalls der Familie gehörte. Seit November 1522 hatten sie einen Sohn – Theophil. Ein zweiter, Joshua, wurde im August 1523 geboren. Conrad gab Privatstunden in Griechisch, und als die Reformation in jenem Frühling 1522 mit dem Fastenstreit einsetzte, zählte er sogleich zu Ulrich Zwinglis engstem Anhängerkreis. Dies traf auch auf Felix Manz zu, als der in eben jenem Jahr 1522 nach zwei Jahren Studium aus Paris zurückkam. Manz hatte in Frankreich Hebräisch gelernt und vertiefte es in Zürich, zusammen mit Zwingli, der sich damit anfänglich aber noch schwer tat.

      Zwingli – vom humanistischen Kirchenrebell zum Gehorsamsprediger

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