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Gestaltpädagogik im transnationalen Studium


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und, falls angebracht, kommuniziert werden. Es besteht also eine genaue Übereinstimmung zwischen dem körperlichen Empfinden, dem Gewahrsein und den Äußerungen gegenüber dem Klienten.“5

      Die Bereitschaft zur ungeschützten Transparenz ist, wie auch im Zitat angedeutet, selbstverständlich nicht identisch mit hemmungsloser Selbstoffenbarung des Therapeuten in der Kommunikation mit dem Klienten. Ruth Cohn hat in diesem Zusammenhang treffend von „selektiver Authentizität“ gesprochen, die sie auch als pädagogische Haltung versteht. Sie ist gegründet in der Offenheit der Selbstwahrnehmung und ist von der bloßen Attitüde der Menschenfreundlichkeit gerade durch ein Zulassen auch „unerwünschter“ Regungen wie durch verantwortliche Auswahl und Differenziertheit ihrer Mitteilung zu unterscheiden. Auch ist, obgleich dies oftmals nicht genügend betont wird, im Konzept der Empathie nicht nur die menschliche Möglichkeit angesprochen, sich selbst im Anderen wieder zu erkennen, sondern Empathiefähigkeit impliziert auch, den Anderen im Anderen zu erfahren und dieses auszuhalten. So wird auch die Grenze zum Anderen transparent, d. h. zugleich durchlässig und wahrnehmbar.

      In der Ausarbeitung eines Verständnisses der hilfreichen Beziehung, die nicht bemächtigend und objektivierend, sondern offen und begegnend ist, verbunden mit einer genauen Beschreibung von Grundhaltungen, die diese ermöglichen sowie des Aufweisens methodischer Wege zu ihrem Erwerb, liegt für mich die Hauptbedeutung des personenzentrierten Ansatzes von Rogers. Dessen Relevanz für das Verständnis der pädagogischen Beziehung ist meines Erachtens offenkundig und unbestritten, wenngleich natürlich nicht alle Aspekte des Pädagogischen darin aufgehoben sind.

      Es bestehen im Übrigen Übereinstimmungen nicht nur mit Martin Bubers philosophischem Konzept der Begegnung, sondern auch mit Otto Friedrich Bollnows Bemühungen, die „gefühlsmäßigen Grundlagen der Erziehung“ genauer zu beschreiben, wie er es in seinem Buch „Die pädagogische Atmosphäre“ von 1964 getan hat. Viele Pädagogen meiner Generation konnten in den 1970er Jahren Rogers leichter und besser rezipieren als die existenzphilosophischen Texte zur Pädagogik in ihrer spezifischen Sprache der Schwere und Bedeutsamkeit.

      4.3 Demgegenüber ist es der von Fritz und Lore Perls entwickelte und in Zusammenarbeit mit Paul Goodman theoretisch fundierte Ansatz der Gestalttherapie, der das dritte für mich wesentliche Moment der Humanistischen Psychologie besonders ins Zentrum stellt.

      Das ist die Betonung des Gewahrseins, der „awareness“, der phänomenologischen Wahrnehmungsoffenheit. In ihm wird letztlich auch Erkenntnis als Begegnung aufgefasst. Heik Portele hat einmal die Gestalttherapie in Abgrenzung von anderen therapeutischen Richtungen nach ihrem jeweiligen sprachlichen Grundgestus folgendermaßen zu fassen gesucht:

      „Der Freudsche Therapeut sagt: ‘Assoziiere, ich werde Deine geheimnisvollen Triebmechanismen aufdecken.’ - Reich: ‘Befreie Dich von Deinem Panzer!’ - Rogers: ‘Ich versteh Dich, ich weiß, wie das ist.’ - Und Perls: ‘Schau doch richtig hin.’“6

      Das klingt vielleicht trivial, erweist sich aber immer wieder als hochbrisant, denn das „genaue Hinschauen“ im Sinne von Perls verlangt uns ab, unsere habituellen Wahrnehmungsroutinen hinter uns zu lassen, die objektivierende und analysierende Distanznahme eine Zeitlang auszusetzen und uns dem zu überlassen, was dann geschieht. Perls und Goodman prägten für eine solche phänomenologische Erkenntnishaltung den Begriff des Einlassens auf den mittleren Modus, einen Zustand zwischen Tun und Erleiden, mit dem sie das Phänomen basaler Spontaneität des lebendigen Organismus verbunden sehen.

      „Spontaneität ist das Gefühl, den gerade ablaufenden Organismus Umwelt-Prozeß handelnd zu erleben, nicht nur Gestalter oder das Gestaltete zu sein, sondern darin zu wachsen. Spontaneität ist nicht gelenkt oder selbstlenkend, noch ist sie ein Dahingetragenwerden, wobei man im Grunde unbeteiligt wäre, sondern sie ist ein Entdecken und Erfinden, während man unterwegs ist, sich einlässt und anerkennt. Das Spontane ist zugleich aktiv und passiv, sowohl das, wozu man bereit ist, wie auch das, was einem zustößt. Oder besser, es ist ein mittlerer Modus zwischen Tun und Erleiden, eine schöpferische Unparteilichkeit, ein Desinteresse, nicht in dem Sinne, dass man nicht erregt oder nicht schöpferisch wäre, denn Spontaneität ist dies beides in außerordentlichem Maße, sondern als Einheit vor (und nach) der Trennung von Aktivität und Passivität, die beides einschließt.“7

      Mit der Bemühung um die Beschreibung und Realisierung nicht bemächtigender Grundvorgänge der Wahrnehmung wie des Erkennens verknüpft sich bei Perls eine Tendenz zur polemischen Abwertung der kulturell-dominanten Haltung der reflexiven Distanznahme als einer habitualisierten Form der Kontaktvermeidung, deren Beweggrund die Angstabwehr sei.

       Diese Sicht enthält meines Erachtens ein sehr wahres, aber genauso ein vereinseitigend falsches Moment. Soweit der Modus der reflexiven Distanznahme Herrschaft über den anderen ausübt, ist auch der Perlssche Rebellionsimpuls legitim. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass das Zulassen des mittleren Modus nicht in eine Alternative zur reflexiven Distanznahme verwandelt werden darf, sondern dass es gilt, das Verhältnis beider Zugangsmodi zur Wirklichkeit, die dem Menschen möglich sind, produktiv zu reorganisieren. „Neben“ statt „anstelle von“ ist die Gedankenfigur, die ich dabei im Auge habe. Dieser Anspruch lässt sich in unterschiedlicher Ausprägung zwar und nur bei genauem Hinsehen bei allen Autoren der Humanistischen Psychologie aufspüren – allerdings besonders dort, wo der Dialog mit der Wissenschaft gesucht und nicht für obsolet erklärt wird.

      Wahrnehmungsoffenheit nach innen und außen ist nicht nur für die intersubjektive Beziehung, sondern auch für die Kunst des Unterrichtens von Bedeutung. Ich habe dies in meiner Arbeit über bildendes Lehren und Lernen8 am Beispiel Wagenscheins und an Ansätzen aus der Grundschulpädagogik herausgearbeitet und sie zugleich als das Herzstück des gestaltpädagogischen Ansatzes beschrieben, dem ich mich besonders verbunden fühle.

      4.4 Was ich vom Ansatz der TZI gelernt habe - ich hatte das Glück, ihn durch Ruth Cohn persönlich als Teilnehmerin eines ihrer ersten Seminare in Deutschland kennen zu lernen - ist demgegenüber etwas bescheidener, aber von großer pragmatischer Bedeutung. Es ist das Gespür für die Dynamik einer Lerngruppe, das Vertrauen in ihre Selbstorganisationsfähigkeit, die Bereitschaft, Macht abzugeben und ein Gefühl für das, was sie dynamische Balance nennt. Hüter der dynamischen Balance zu sein, wie Ruth Cohn die Funktion des Gruppenleiters beschreibt, habe ich für mich in der Universität vor allem darauf bezogen, den Dualismus von Personenorientierung einerseits und Sachorientierung andererseits, von Erfahrungs- und Theoriebezug, aber auch von persönlicher Begegnung mit Menschen und des ebenso erforderlichen bewertenden Distanzverhältnisses in Vorstellungen von der Möglichkeit eines fluktuierenden Wechsels einzubetten. Um diese begrifflich zu erfassen bedurfte ich persönlich allerdings auch des Weges oder Umweges über erkenntnistheoretische Grundfragen. Das Kernstück der Theorie der TZI, das berühmte Dreieck in der Kugel, lädt nämlich m. E. allzu sehr dazu ein, mit einem einfachen Bild und griffigen Formeln die schwierigen Fragen des Lehrens und Lernens für beantwortet zu halten.

      5. Gedanken zur Aktualität der Humanistischen Psychologie für die Pädagogik

      Wenn ich nun abschließend versuche, die allgemein als charakteristisch dargestellten wie die mir persönlich besonders bedeutsamen Aspekte der Humanistischen Psychologie mit Blick auf die Pädagogik zusammenzuschauen, erscheinen mir folgende drei Punkte zentral:

      1. Für die pädagogische Forschung, auch zur Zeit der neuen Blüte der Entwicklung und Verwendung qualitativer Methoden zur Erforschung des Subjekts und seiner interdependenten Bezüge bleibt die Warnung der Humanistischen Psychologen aktuell, dass die notwendige methodische Sicherung der Erkenntniswege immer auch der Gefahr ausgesetzt ist, als ein raffiniertes Instrumentarium einer Bemächtigungshaltung verwendet zu werden. Forschungsmethoden, auch qualitative, sind doppelgesichtig. Sie dienen dazu, den Erkenntnisweg transparent und nachvollziehbar zu machen, und zugleich legen sie dem Forscher mit der Notwendigkeit der Distanznahme auch immer nahe, sich von dem erforschten Gegenüber nicht selbst berühren zu lassen. Die Forscher schneiden sich damit aber allzu leicht von der Wahrnehmung ihrer eigenen subjektiven Resonanz ab, die in der Sicht der Humanistischen Psychologen als eine Erkenntnisquelle ersten Ranges zu werten ist und auch in Forschungszusammenhängen ihren Stellenwert