Andrea Reichart

Nenn mich Norbert - Ein Norbert-Roman


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sich der Veterinär. „Hier weiß die eine Hand nicht, was die andere tut. Stellen Sie sich mal vor, Sie wären nur eine halbe Stunde später gekommen, dann hätten Sie aber blöd geguckt, woll?“

      ‚Soll das Tierarzthumor sein?‘, ärgerte sich Norbert, während er versuchte, seine Stimme ruhig und entspannt klingen zu lassen, damit er das scheue Tier, das sich vorsichtig näherte, nicht erschreckte.

      „So ist brav, Norbert, komm her, Norbert!“, murmelte er leise und spürte die kalte Nase des Hundes, der vorsichtig seine Finger beschnüffelte. Was er über Hunde wusste, hatte er aus dem Fernsehen. Er hatte nie einen gehabt und auch nie einen gewollt. Dennoch rührte ihn etwas an diesem Tier auf eine Art, die er nicht hätte beschreiben können. Vielleicht, weil der arme Kerl genauso einsam schien wie er selbst?

      Norbert schickte Bettina die rasche Bitte, sie möge dafür sorgen, dass der Hund seine Finger nicht abbiss. Und tatsächlich, das tat er auch nicht. Im Gegenteil. Er begann zu schnüffeln und suchte die andere Hand, in der Norbert noch das Büchlein hielt. Ganz vorsichtig begann er mit dem Schwanz zu wedeln, und schien von dem Geruch der Hände, die Norbert nun abwechselnd so gut es ging durch die Maschen des Zwingergitters schob, gar nicht genug bekommen zu können.

      „Ja, er erkennt sie, keine Frage“, murmelte der Mediziner und kratzte sich am Kopf. „Wird Zeit, dass das Tier hier raus kommt. Zwei Wochen sind für so einen Hund ohnehin schon zu lange, habe ich gleich gewusst. Ich verarzte seine Wunde nur eben, ist nicht so schlimm, wie sie aussieht. Ein paar Tage, dann ist er wieder völlig ok. Machen Sie mal weiter, das lenkt ihn ab.“ Der Arzt sprach beruhigend auf den Hund ein, aber dieser ignorierte ihn völlig. Er schien sich vollkommen auf Norberts Finger zu konzentrieren und schnüffelte mit einer Intensität an ihnen, als ginge es hier um sein Leben.

      „So, fertig“, murmelte der Wundenfachmann und packte seine Utensilien weg. „Ich gehe jetzt mit Ihnen nach vorne, damit die alles klar machen können, woll? Wenn sich die Wunde nicht entzündet, spricht in einer Woche kein Mensch mehr darüber. Glück gehabt, Kleiner“, tätschelte er den Hund. „Dein Gegner hatte nicht so viel Glück.“ Dann öffnete er die Zwingertür und hatte Mühe, den Hund zurückzuschieben, der offensichtlich nichts lieber wollte, als sofort zu seinem neuen Besitzer auf die andere Seite des Gefängnisses zu wechseln.

      „Nee, nee, du bleibst noch ein bisschen hier, woll?“

      Norbert fing den fassungslosen Blick des Hundes auf, der nervös hin und her zu laufen begann und ihn dabei nicht einen Augenblick aus den Augen ließ.

      Er hielt noch einmal seine Hände vor das Gitter und sagte: „Ich erledige nur ein paar Formalitäten. Bin gleich zurück. Pass du fein auf!“ Er kam sich schon ein wenig komisch vor, wie er da vor einem wildfremden Hund kniete und mit ihm redete, als könne er ihn verstehen, aber etwas Besseres war ihm nicht eingefallen.

      Aufmerksam hatte der Hund seinen Worten gelauscht, und sich dann zögerlich hingelegt. Nicht entspannt zusammengerollt, sondern so, als führe er ein Kommando aus, als sei er nur bereit, sich für eine kurze Weile zu gedulden.

      Norbert stand auf und folgte dem Tierarzt, drehte sich noch einmal um und sagte mit einem erhobenen Zeigefinger: „Warte!“ Wenn diese blöden Hundesendungen für irgendetwas gut gewesen waren, dann dafür, dass er wusste, dass gut erzogene Hunde auf präzise formulierte Kommandos reagierten. Offensichtlich gehörte ‚Warte‘ mit der Geste, die er instinktiv gewählt hatte, zum Repertoire dieses Tieres.

      Norbert kam sich vor wie der Hundeprofi persönlich, als er sah, wie ‚sein‘ Hund gehorchte. Jetzt würde er draußen dafür sorgen, dass der arme Kerl nicht zu lange dort ausharren musste.

      Kapitel 9

      Schmerz. Angst. Geräusche. Fremde Männer. Leise Stimme, Beruhigung, Angst, Beruhigung.

      Und dann… Ein Wort.

      Ein Geruch, ganz klein. Kaum da. Aber vielleicht doch da? Bei dem Mann und dem Wort?

      Aufstehen, riechen, riechen, riechen. Ja. Der Geruch. Sie. Ja. Sie. Ein Wort. Noch ein Wort. Ja. Sie. Ja. Der Geruch. Mehr? Hingehen, riechen, ja, sie, ja, sie. Da! Mehr sie. Ja, riechen. Oh ja. Freuen. Ein Wort. Ja. Warten. Ja. Geruch. Ja. Warten. Aber der Mann?

      Egal. Der Geruch. Warten. Sie. Vielleicht.

      Kapitel 10

      Norbert musste schmunzeln. Das würde noch eine Menge Spaß geben, dass sie beide denselben Namen hatten. Nicht zwischen ihm und dem Hund, sie würden damit gut klarkommen, sondern allgemein. Er würde ihn ja in Zukunft überall mit hinnehmen müssen, konnte den armen Kerl ja nicht alleine zuhause liegen lassen. ‚‚Mein Hund‘, das klingt gut‘, dachte Norbert zufrieden und verdrängte ohne Mühe, dass er im Grunde nicht den blassesten Schimmer hatte, wie man mit Hunden umgehen musste.

      „Lern was darüber“, hatte Bettina ihn immer wieder angefleht, „bereite dich vor. Tu es mir zuliebe, ja?“

      Norbert gehörte nicht zu der Sorte Männer, die ihrer sterbenden Frau einen Wunsch abschlagen konnten, und als er ihr nicht nur endlich versprochen hatte, sich einen Hund zuzulegen, sondern auch noch, das Thema richtig ernst zu nehmen, hatte er gemerkt, wie sie sich entspannte, so als habe sie es endlich geschafft, für ihn die bestmögliche Vorsorge zu treffen.

      Es gab so viel, was sie verbunden hatte, aber nach ihrem Tod hatte er immer dann das Gefühl, sie sei ihm besonders nahe, wenn er sich mit dem Thema ‚Hund‘ beschäftigte. Vor allem dieser witzige Hundepsychologe im Fernsehen hatte es ihr angetan. Quasi ‚in Memoriam‘ versuchte Norbert nun seit ihrer Beerdigung keine seiner Sendungen zu verpassen. Vermutlich noch so etwas, worüber sich ein Psychologe erfreut die Hände gerieben hätte. Manchmal meinte er nämlich, Bettina zu hören, wenn sie nickend „Genau!“ rief, sobald er wieder irgendeinen Tipp gab, der aus einem Wolf ein Lamm machte. Und irgendwie schien sie ihm dann einfach weniger verloren gegangen zu sein.

      Norbert hatte sogar angefangen, Karten für die Veranstaltungen zu kaufen, mit denen dieser Typ tourte. Bei der ersten Show hatte er zwischen gut achthundert begeistert lachenden Hundefans in einem Theater gesessen und gehofft, niemand würde ihn ansehen und merken, wie ihm die Tränen in den Hemdskragen liefen. Bettina hatte sich immer gewünscht, ihn live zu erleben, aber dazu war es nicht mehr gekommen. Nun ließ Norbert keinen Auftritt aus und kam sich vor wie ein Groupie, wenn er um Karten anstand, sich in den Pausen an Büchertischen hin- und herschubsen ließ und nach langen Arbeitstagen zuhause sein ‚Der tut nichts‘-T-Shirt anzog.

      Als er merkte, dass die Tierheim-Formalitäten doch länger dauern würden, sorgte Norbert dafür, dass man ihn zu dem Tier ließ, es anleinte und ihm übergab. Sollte es ruhig dabei sein, wenn er die womöglich wichtigste Weiche seines Lebens stellte.

      Und so hatte der magere Hund, vor dem sie hier alle seit der Beißerei einen Heidenrespekt hatten, in aller Gemütsruhe dicht neben seinem Bein gelegen, während er dort saß und Gespräche mit der Tierheimleitung führte, Geld überreichte und Zubehör quittierte, das die Vorbesitzer, diese Lumpen, ihm hinterlassen hatten.

      „Wenn Sie mit den Vorbesitzern Kontakt aufnehmen möchten, sind wir befugt, Ihnen die Kontaktdaten zu übergeben“, sagte die Dame. Sie lächelte den Hund an, der sie aufmerksam beobachtete.

      „Nein, danke“, sagte Norbert und fühlte Groll in sich aufsteigen.

      „Was sind das bloß für Leute, die ihren Hund einfach abgeben!“

      „Urteilen Sie nicht voreilig. Es gibt immer Situationen im Leben, die eine solche Entscheidung erzwingen können“, formulierte sie vage und erinnerte sich an den Tag, als man ihr das Tier übergeben hatte. Wenn er allerdings keine Informationen haben wollte, auch gut. Dann würde sie auch keine Details ausplaudern.

      „Können die den Hund zurückfordern?“, fragte Norbert.

      „In diesem Fall kann ich Ihnen versichern, werden sie das nicht tun.“

      Norbert konnte sich gut vorstellen, wie Bettina spukend über ihn herfallen würde, sollte er auf die Idee kommen, diesen Hund je wieder hierher zurückzubringen,