Andrea Reichart

Nenn mich Norbert - Ein Norbert-Roman


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gut, dann eben nicht Müll. Vorsichtig legte er das Wildschweinwrack in die Tüte zurück, griff nach dem Sack mit dem Futterrest und ging in die Küche.

      Das Kochen war immer Bettinas Domäne gewesen, die ganze Küche eigentlich, und bis auf rudimentärste Bratkartoffel- und Spiegeleiübungen oder Mikrowellen-Experimente hatte Norbert sich geweigert, in die Fußstapfen seiner Frau zu treten. Dennoch ahnte er, wo Schüsseln stehen mussten. Eine füllte er mit Wasser und stellte sie in die Nähe der Küchentür.

      Mühsam entknitterte er den großen Futtersack und sah hinein. Vorsichtig holte er eine Handvoll Flocken heraus. Müsli. Dieser Hund fraß Müsli? Doch nicht etwa mit Milch? Er versuchte herauszufinden, wie das Trockenfutter zu reichen sei. Aha, mit Wasser übergießen. Eine Tasse Futter, eine halbe Tasse Wasser.

      Er mixte mit gemischten Gefühlen die seltsame Pampe und stellte die Schüssel vor den Hund. Nichts geschah.

      „Guten Appetit!“, sagte Norbert lächelnd. Keine Reaktion.

      „Fehlt dir was?“ Er nahm die Schüssel hoch und sah sich den aufquellenden Brei an. Er stellte sie wieder hin.

      „Lass es dir schmecken!“, sagte er. Dann versuchte er es mit „Happi happi!“ und schließlich mit einem motivierenden „Hau weg, den Müll!“

      Der Hund wartete eindeutig auf ein Zeichen.

      „Friss!“, befahl er ihm also und zeigte energisch auf das nasse Futter. Und der Hund fraß. Nein, er atmete es ein. Zwei Sekunden später war alles fort, der Hund aber nicht, und die Lektion gelernt. Eine Tasse reichte nicht.

      Das Ganze also nochmal.

      Nachdem die ersten beiden Portionen blitzschnell in dem ausgemergelten Körper verschwunden waren, ohne auch nur die leiseste Spur zu hinterlassen, ließ er sich nun mit der dritten ein wenig mehr Zeit, und so beließ Norbert es dabei.

      Dann ging er ins Wohnzimmer, knipste die Lampe neben seinem Sessel an und wollte sich gerade gemütlich hinsetzen, als sein Blick auf seinen Anzug fiel. Er war noch immer von oben bis unten mit Matsch beschmiert. Das konnte man ändern.

      Ohne sich um den Hund zu kümmern, der schweigend in der Küche stand, ging er hoch in sein Zimmer und unter die Dusche. Das würde jetzt so etwas wie eine Feuerprobe. Wenn der Hund in Ordnung war, dann würde sein Erdgeschoss nach der Dusche noch genauso aussehen wie vorher. Norbert war sicher, dass der Hund eine Menge zu erschnüffeln hatte, und er wollte ihm das Entdecken nicht unnötig erschweren. Seine bloße Anwesenheit schien den Hund anzuspannen, und er kannte es von sich selbst: Unbeobachtet entspannte man sich leichter.

      Als er wieder nach unten kam, befürchtete er trotzdem Schlimmstes, dafür hatten die Hunde-Dokus gesorgt. Unter der Dusche war seine Phantasie Amok gelaufen, und er hatte sich mehr beeilt als üblich. Umsonst. Alles war vollkommen unverändert, außer dass in der Küche kein magerer Hund mehr wartete.

      Fast bescheiden hatte er sich in seinem Körbchen, das noch mitten im Flur stand und ihn sicher an bessere Zeiten erinnerte, zusammengerollt. Er öffnete nur kurz die Augen, als Norbert die Treppe herunter kam. Dann fielen sie ihm wieder zu, und mit einem hörbaren Seufzer schlief er ein.

      Norbert dagegen holte das Hunde-Büchlein aus seiner Jackentasche und nahm gleich vom Schreibtisch eine Lupe mit. Dann entfachte er ein Feuer im Kamin, goss sich ein Glas Rotwein ein und machte es sich endlich bequem.

      „Nenn mich Norbert!“, las er noch einmal.

      „Mich auch“, schmunzelte er und begann zu lesen.

      Kapitel 11

       „Hallo, mein Name ist Norbert. Lass mich nie von der Leine!“

      Verdammt, wo war die Lupe. Aha, da. Also nochmal.

       „Hallo, mein Name ist Norbert. Lass mich nie von der Leine!“

      „Doch ein Flitzer. Tja, Junge, Pech gehabt“, murmelte Norbert.

       „Claudia nennt mich ‚Nobbi‘, ‚Nobs‘ oder ,Pupsi‘.“

      ‚Pupsi? Nur über meine Leiche!‘, dachte Norbert entsetzt. ‚Nobbi‘ würde schon gehen. ‚Nobbi‘ war ok. Claudia hieß sie also, die Verrückte, die ihren Hund einfach so abgab? ‚Claudia‘ klang schon so egoistisch. ‚Claudias‘ gingen schoppen und hielten sich Modehunde, weil es schick war. ‚Claudias‘ gaben ihre Hunde ins Tierheim, wenn sie in Urlaub flogen. ‚Claudias‘ waren unzuverlässig und oberflächlich und gaben ihren Hunden alberne Kosenamen. ‚Pupsi!‘ So ein Schwachsinn. Die Frau sollte erst einmal lernen, mit Sprache umzugehen.

       „Frauchen ist Autorin, und ich liebe sie mehr als mein Leben. Und sie mich auch. Ohne einander sind wir nur halb.“

      Eine Autorin? Norbert stutzte. Er galt als einer der erfolgreichsten Agenten der Literaturszene, und mehr als ein Name auf der Beststellerliste war durch seine Vermittlung in den Handel gekommen. Wenn Claudia Autorin war, dann kannte er sie ja vielleicht?

      Er blätterte in dem Büchlein und suchte Hinweise auf die Verfasserin, aber es war verflucht schwierig und umständlich, mit der Lupe in der Hand zu lesen und zu blättern. Was hatte die Verrückte sich nur dabei gedacht, diesen Text in so einer winzigen Schrift auszudrucken?

      Er fand keinen Hinweis auf ihren Nachnamen und gab die Suche schließlich auf.

       „Frauchen muss mich für zwei Wochen bei Freunden abgeben, und deshalb schreibt sie dieses Buch. Wenn alles gut geht, dann lesen dies höchstens Kai und Silke, und bei denen kann ich bis zum 6. Januar nach Herzenslust im Garten toben, denn ich springe nicht über Zäune und grabe mich auch nicht durch. Ich liebe Bewegung, ich liebe es zu spielen, und ich bin lieb, aufmerksam, gelehrig, absolut nicht aggressiv und sehr ruhig. Ich werde am 6. April 2005 drei Jahre alt.“

      Norbert schluckte. Das Büchlein war geschrieben worden für die Hundesitter, die Urlaubsvertreter, aber Claudia war nicht zurückgekehrt. Norbert spürte, wie er neugierig wurde. Was war geschehen?

       „In diesem Büchlein findest du alles, was du über mich wissen musst. Das soll dir helfen, mir zu helfen, die Zeit zu überstehen, in der meine andere Hälfte nicht bei mir ist. Zwischen Claudia und mir ist es fast so, als könnten wir miteinander sprechen. Ich kenne es von klein auf nicht anders und reagiere auf Worte und Gesten wie ein Taubstummer auf Gebärdensprache. Wenn du versuchst, meine Sprache zu lernen, werde ich versuchen, dir ein ebenso wunderbarer Hund zu sein, wie ich es für Claudia bin. Lies die Kapitel der Reihe nach oder durcheinander, je nachdem, was du suchst. Alles fügt sich am Ende zu einem Bild, und das Bild bin ich.“

      Norbert blätterte. Er überflog ‚Fressen‘ und stellte fest, dass er bisher keinen Fehler gemacht hatte. Zweimal am Tag zwei Tassen Hundemüsli, morgens und abends.

       „Wenn ich etwas will, dann stelle ich mich neben dich und schaue in die Richtung, in der es ist. Ich schaue nur kurz, also pass gut auf. Wenn du nicht reagierst, werde ich dich nicht belästigen. Ich fiepse nicht, ich jaule nicht, ich belle nur beim Spielen. Dasselbe gilt übrigens fürs Rausgehen. Ich werde dir zeigen, dass ich raus möchte, aber nur leise und unaufdringlich. Dann kann es sein, dass ich vor der Tür auf dich warte. Vergiss mich nicht. Ich vergesse mich auch nicht, egal wie weh mir die Blase tut oder wie groß der Druck ist. Sei also so lieb und achte auf das, was ich dir sagen will. Ich achte schließlich auch auf dich.“

      Er blätterte bis zum Kapitel ‚Schlafen‘, denn es war inzwischen spät.

       „Ehe wir uns hinlegen, möchte ich noch einmal die Blase erleichtern. Dazu musst du mit mir nur kurz vor die Tür, ein Spaziergang ist nicht mehr nötig, wenn wir schon dreimal draußen waren. Mir reicht ein Baum in Hausnähe. Dann können wir ins Bett gehen. Du schläfst an der Wand, ich neben deinem Kopf. Oder umgekehrt, wie du willst.“

      „Wie? Neben meinem Kopf? Im Bett?!“ Norbert war entsetzt. Das kam gar nicht in Frage! Pfui! Erst durch Matsche rennen, dann das Kopfkissen teilen? Spinnt die?